Weihnachtsbotschaft des Ökumenischen Patriarchen 2015

Protokollnummer: 1172


Weihnachtsbotschaft des Ökumenischen Patriarchen

+   B A R T H O L O M A I O S
durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,
und Ökumenischer Patriarch
allem Volk der Kirche Gnade, Friede und Erbarmen
von Christus, unserem in Bethlehem geborenen Erlöser

Im Herrn geliebte Brüder und Kinder,

wiederum umhüllt die Süße der Heiligen Nacht, in der Christus geboren wurde, die Welt. Und inmitten der menschlichen Mühen und Mühsale, der Krise und der Krisen, der Leiden und der Feindschaften, der Beunruhigungen und der Enttäuschungen erscheint mit derselben Anmut wie eh und je, wirklich und aktuell wie einst das Mysterium der Menschwerdung Gottes, das uns mahnt: „Lernt Gerechtigkeit, Ihr Bewohner der Erde!“ (Isaias 26,9), denn „Heute ist uns der Heiland geboren“ (Lukas 2,11).
Unglücklicherweise aber denken in unseren Tagen viele Menschen wie jener Kindermörder Herodes, der Ruchlose und Bedenkenlose, der seine Mitmenschen auf viele Weisen ins Verderben gestürzt hat. Der von der Ich-Besessenheit verkehrte Geist des Machthabers dieser Welt, den der Mörder Herodes exemplarisch darstellt, sah paradoxerweise in der Geburt eines unschuldigen Kindes eine seine eigene Existenz bedrohende Gefahr. Als das geeignetste Mittel des präventiven Schutzes seiner weltlichen Macht vor der Gefahr, als die ihm die Geburt dieses Kindes erschien, wählte er dessen Vernichtung.
Um den mörderischen Plänen zu entgehen, war das Kind Jesus, von dem die Engel gesprochen hatten, gezwungen, wie wir in unserer heutigen Sprache sagen würden, als „politischer Flüchtling“ nach Ägypten zu fliehen. zusammen mit seiner Mutter Maria, der allheiligen Gottesgebärerin, und ihrem Bräutigam Josef.
In unserer Zeit, die doch als fortschrittlich gilt, werden viele Kinder gezwungen, das Flüchtlingsschicksal ihrer Eltern zu teilen, um ihr nacktes Überleben, das ihnen ihre unterschiedlichen Feinde missgönnen, zu retten. Diese Tatsache ist eine Schande für die Menschheit.
Deshalb verkünden wir auch zum Fest der Geburt des Kindes Jesus, unseres wahren Erlösers und Heilandes, von diesem heiligen, apostolischen und patriarchalen Ökumenischen Thron, dass alle Gesellschaften verpflichtet sind, den Schutz der Kinder zu gewährleisten und ihr Recht auf Leben und Ausbildung zu respektieren, welche nur ihr Heranwachsen und ihre Erziehung in einer traditionellen Familie auf der Grundlage der Prinzipien von Liebe, Mitmenschlichkeit und Solidarität – also auf der Grundlage von Gütern, die uns heute der für uns Fleisch gewordene Herr schenkt - garantieren kann.
Der zur Welt gekommene Erlöser lädt uns alle ein, diese Botschaft des Heils der Menschen anzunehmen. Es ist wahr, dass die Völker in der langen Menschheitsgeschichte viele Wanderungen und Umsiedlungen erlebt haben. Doch wir haben gehofft, die modernen Gesellschaften könnten nach den beiden Weltkriegen und den Friedenserklärungen kirchlicher und weltlicher Führer und Organisationen das friedliche Leben der Menschen in ihren Ländern garantieren. Leider widerlegen die Ereignisse diese Hoffnung. Denn große Scharen von Menschen sind gezwungen, den bitteren Weg der Flucht zu gehen.
Die Situation, die sich auf diese Weise ergeben hat und die von einer beständig wachsenden Zahl von Flüchtlingen gekennzeichnet ist, vergrößert unsere Verantwortung – die Verantwortung derer, die gesegnet sind, in Frieden und in einer gewissen Sicherheit zu leben – angesichts des täglichen Dramas Tausender unserer Mitmenschen nicht teilnahmslos zu bleiben, sondern ihnen unsere tatkräftige Solidarität und Liebe zu zeigen; und das in der Gewissheit, dass jede ihnen erwiesene Wohltat vor das Angesicht des Sohnes Gottes gelangt, der geboren wurde und Fleisch angenommen hat, der in die Welt gekommen ist – nicht als König, nicht als Machthaber, nicht als Herrscher, nicht als Reicher, sondern als nacktes, schutzloses Kindlein in einem winzigen Stall ohne Obdach, also ebenso, wie in diesem Moment Tausende unserer Mitmenschen leben. Auch der Mensch gewordene Sohn Gottes war gezwungen, die ersten Jahre seines Lebens auf Erden als Fremder in einem fernen Land zu verbringen, um sich vor dem Hass des Herodes in Sicherheit zu bringen. Das unschuldige Blut der heutigen Flüchtlinge im Kleinkindalter nehmen die Erde und das Meer auf. Doch die schutzlose Seele des Herodes „empfing ihr Urteil“.
Dieses in Bethlehem geborene und nach Ägypten geflohene göttliche Kind ist der wahrhafte Fürsprecher der heutigen, von den gegenwärtigen Herodes-Gestalten vertriebenen Flüchtlinge. Dieses Kind Jesus, unser Gott, „wurde den Schwachen wie ein Schwacher“ (vgl. 1 Korinther 9,22), wurde uns allen gleich: den Schwachen, den Verachteten, den Gefährdeten, den Flüchtlingen. Der Beistand und die Hilfe, die wir unseren verfolgten und vertriebenen Mitmenschen ungeachtet ihrer Nationalität, ihrer Herkunft und ihrer Religion erweisen, werden unserem in Betlehem geborenen Herrn als Gaben gelten, die die Gaben der Weisen an Kostbarkeit, die die Schätze von „Gold, Weihrauch und Myrrhe“ (vgl. Matthäus 2,11) an Ehre übertreffen: ein unentwendbarer und unvergänglicher geistlicher Reichtum, der nicht verdirbt, wie viele Jahrhunderte auch vergehen mögen. Ein Reichtum, der uns erwartet im Reich der Himmel.
Lasst uns also, ein jeder, was er kann, dem in der Person unserer auf der Flucht befindlichen Brüder wahrgenommenen Herrn darbringen. Lasst uns dem heute in Bethlehem geborenen kleinen Christus diese kostbaren Gaben der Liebe, des Opfers und der Mitmenschlichkeit darbringen und lasst uns so seine Barmherzigkeit nachahmen. Lasst uns ihn anbeten zusammen mit den Engeln, den Weisen, den einfachen Hirten und mit allen Heiligen rufen: „Herrlichkeit Gott in den Höhen und Friede auf Erden und den Menschen Wohlgefallen!“       
Die Gnade und das reiche Erbarmen des Flüchtlingskindes Jesus seien mit euch allen!
   

Weihnachten 2015

+ Bartholomaios von Konstantinopel,
euer aller inständiger Fürbitter bei Gott

netfucks