Freiheit und Gehorsam in der Orthodoxen Theologie und Kirche

Metropolit von Austria und Exarch von Ungarn Arsenios

Die griechischen Freiheitskämpfer hatten während der Befreiungskämpfe des 19. Jahrhunderts gegen das Osmanische Reich den alle einenden Leitspruch: „Freiheit oder Tod“. Sie wollten damit ihren inneren Drang nach Freiheit zum Ausdruck bringen, der den Tod gegenüber der Unterjochung bevorzugte, weil diese Unterjochung, also die Unfreiheit, letztendlich den eigentlichen Tod darstellte. Sie unterschieden damit zwischen zwei Arten des Todes. Einerseits zwischen dem Tod des Lebens, der die Unfreiheit, die Unterjochung darstellte, und dem biologischen Tod andererseits. Zu betonen ist, dass sie dabei auf eine tiefgründig christliche Auffassung über das Leben aufbauten, die zwischen dem reinen biologischen Leben, dem Bios (βίος) und dem ontologischen Leben, der Zoe (ζωή) unterscheidet. Bios drückt hierbei die reine biologische Existenzebene des Menschen aus, die mit der Geburt anfängt und mit dem biologischen Tod aufhört. Zoe meint im Gegensatz dazu eine tiefgründige Lebensebene des Menschen, die über das Biologische hinausgeht. Sie drückt die Freiheit des pneumatologisch-somatischen Menschen aus, die sich in der Willensfreiheit und dem „Ἀυτεξούσιον“, wie es die Väter nennen, widerspiegelt.

Das Ἀυτεξούσιον heißt wörtlich übersetzt: „die Eigengewalt ausüben“: die Gewalt, selbst Entscheidungen zu treffen, aber auch für diese einstehen zu können. Für die Väter der Alten Kirche ist somit die Freiheit, die sich im Ἀυτεξούσιον ausdrückt, die Freiheit der Zoe, weil diese als göttliche Eigenschaft verstanden wird. Es ist die Freiheit der Zoe, das Ἀυτεξούσιον, die für den Hl. Maximos den Bekenner das Charakteristikum „der göttlichen Natur ist“[1] und in der göttlichen Ebenbildlichkeit im Menschen wiederzufinden ist. Auch der hl. Johannes von Damaskus betont die göttliche Eigenschaft der Eigengewalt (Ἀυτεξούσιον), die ihm zufolge von Gott selbst den Menschen „eingehaucht worden ist“. Johannes von Damaskus kommt somit zum Schluss, dass das Ἀυτεξούσιον – die Freiheit, die das göttliche Abbild im Menschen widerspiegelt, aus der göttlichen Natur stammt und eine göttliche Gabe an den Menschen ist.[2] Freiheit wird somit für die Kirchenväter ein göttliches Charakteristikum selbst, das die Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen widerspiegelt.

Demnach ist der Drang des Menschen nach Freiheit für die Orthodoxe Kirche ein innerer, göttlicher Drang, der im Menschen das Göttliche widerscheinen lässt. Freilich ist hier zwischen einer rein „biologischen Freiheit“ und einer „ontologischen Freiheit“ zu unterschieden, wie wir dies schon zuvor zwischen dem Bios und der Zoe gemacht haben.

Die biologische Freiheit, die die griechischen Freiheitskämpfer sicherlich auch im Sinn hatten, beansprucht die Freiheit nach der Ausübung des freien politischen Willens.[3] Sicherlich findet man jedoch in diesem Drang nach Freiheit auch Stimmen, die das Verlangen nach der biologischen Freiheit aus ihrer gelebten ontologischen Freiheit forderten. So betonte der griechische Freiheitskämpfer Theodoros Kolokotronis: „Mein Aufstand gleicht weder dem Aufstand der Franken noch dem eines anderen. Wir wollen ein Vaterland auferstehen lassen, das als Haupt Christus haben soll und nicht die Menschen.“[4] Kolokotronis stellte sich daher einen freien Staat vor, der als Haupt Christus selbst haben sollte. Er verstand darunter, dass der Mensch in seiner Herrschaft über den Menschen niemals die wirkliche Freiheit garantieren kann.

Für Kolokotonris konnte letzten Endes nur Christus der wirkliche Garant der Freiheit sein, weil Christus als Gott das Ἀυτεξούσιον in seinem tiefsten Sinn lebt und dies den Menschen bei deren Erschaffung geschenkt hat. Er ist der Garant, weil er den Menschen schon seit der Erschaffung die Freiheit leben lässt. Für Kolokotronis, aber auch für die anderen Menschen. die diese Freiheit leben und glauben, ist Freiheit eben nur deshalb Freiheit, weil sie befreiend auf das innere Sein des Menschen wirkt, da sie als Geschenk Gottes gesehen und erlebt wird. Im Gegensatz dazu kann Freiheit auch erdrückend wirken. So betont etwa der französische Philosoph Jean-Paul Sartre: „Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.“[5] Sartre notiert damit eine wichtige Komponente, die mit der Freiheit in engster Verbindung steht, nämlich die Verantwortung. Sowohl die politische Freiheit als auch die geistige Freiheit verlangt vom Menschen eine bewusste und verantwortungsvolle Ausübung der Freiheit.[6]

Der Mensch muss in diesem Sinne für seine Taten Rechenschaft ablegen, da er für diese die volle Eigenverantwortung im Rahmen seiner Freiheit übernimmt. Wenn man die Freiheit von der Verantwortung trennt, führt diese ohne Zweifel in die Willkürlichkeit. Freiheit und Willkürlichkeit werden heute oft synonym verstanden, haben jedoch für die Orthodoxe Theologie einen wichtigen ontologischen Unterschied. Freiheit ist nicht nur, das zu machen, was man will, wie dies in der Willkür der Fall ist, sondern jenes zu tun, was nötig ist und was zum Leben, zur Zoe führt. Freiheit ist somit nicht vom Nomos, dem Gesetz getrennt, denn der Nomos verdankt dem Ethos der Freiheit seine Existenz und seine Ontologie. Was möchten wir damit sagen? Wenn Paulus im seinem Brief an die Römer schreibt: „Setzen wir nun durch den Glauben das Gesetz außer Kraft? Im Gegenteil, wir richten das Gesetz auf!“,[7] möchte er genau dies betonen, dass das Gesetz erst aus dem Sein des Glaubens quellt. Das Gesetz kann somit nicht willkürlich sein, sondern hat als Basis das Ethos des Glaubens. Gesetz kann erst dann zum wirklichen Gesetz werden, wenn es in sich das Ethos hat. Das Ethos und damit das „reine Gesetz“ kann und darf keiner Verweltlichung zum Opfer werden, wo Ethos und Gesetz den Egoismen der Menschen zum Opfer fallen. Abt Maximilian Heim betont in einem Artikel über die Entweltlichung der Kirche, dass zwar die Kirche nicht verweltlicht werden darf, dies jedoch keinesfalls bedeutet, „sich der Welt zu entziehen, sondern als Sauerteig für diese Welt dem Ganzen die Würze des Heiligen Geistes zu geben und die Offenheit seiner Liebe, damit die Welt nicht an der Verflachung zugrunde geht“.[8] Genau in diesem Sinne darf das Ethos des Nomos nicht von der „Würze des Heiligen Geistes“ getrennt werden. Erst wenn sich das wahrhaftige Ethos im Nomos widerspiegelt, wird der Nomos zum wahren Nomos für das Leben des Menschen. So versteht sich auch der Gehorsam gegenüber dem Nomos. Freilich darf Nomos hier nicht im Sinne eines streng juridischen Gesetzes gesehen werden. Das Gesetz, der Nomos, hat für die christliche Auffassung vor allem auch einen ontologischen Charakter. Die Überschreitung des geistigen Nomos führt nach orthodoxer Auffassung eben nicht nur zu einer gesetzeswidrigen Praxis, sondern zu einer Praxis, die den Menschen vom Weg der Vergöttlichung entfernt. Das heißt konkret, dass der Mensch durch diese Entfernung vom Weg des Herrn immer mehr in seinen Egoismus verfällt und immer weniger in der Lage ist, das Ethos erkennen zu können. Die Entfernung von der Quelle des Lebens aber bedeutet den Tod. Was für eine Bedeutung hat dies jedoch konkret für den Sinn des Gesetzes im Bezug zur Freiheit und dem Gehorsam in der Orthodoxen Theologie und Kirche?

Der orthodoxe Theologieprofessor Georgios Mantzaridis hat 1981 schon darauf hingewiesen, dass man zwischen dem positiven, gesetzten Recht (dem rein juridischen Recht) und dem Naturrecht unterscheiden muss. Mantzaridis betont in diesem Sinn, dass das Naturrecht im Gegensatz zum positivistischen Recht in die reinen Herzen der Menschen geschrieben wird und aus diesem Grund über dem verfassten und letztlich auf politischem Konsens beruhenden, positivistischen Recht steht. Mantzaridis schreibt auf charakteristische Weise, dass „das Christentum von Anfang an die Existenz eines solchen Gesetzes akzeptiert hat“.[9] Paulus betont etwa: „Wenn nämlich die Heiden, die kein Gesetz haben, von Natur aus die Vorschriften des Gesetzes erfüllen, so sind sie, die kein Gesetz haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen ja, dass die Forderungen des Gesetzes in ihr Herz geschrieben sind, wovon auch ihr Gewissen Zeugnis ablegt.“[10] Mit diesen Worten möchte er eben die Ökumenizität, die Allgemeingültigkeit des Naturrechtes betonen, das über dem positivistischen Recht steht. Nach dem hl. Basilius dem Großen wurde dem Menschen das Naturrecht während der Schöpfung eingesetzt. Basilius betont diesbezüglich: „Begreife, dass die Stimme Gottes von Natur aus schöpferisch ist und dass der damalige Schöpfungsbefehl den Geschöpfen ihre zu befolgende Ordnung verlieh.“[11]

Nach orthodoxer Auffassung ist das Naturrecht jedoch keine eigenständige Größe, sondern tief in der Christologie verankert. Christus ist für die Orthodoxe Kirche und Theologie der Typus, das Urbild der Menschheit an sich – der neue Adam. In ihm erfüllt sich das von Gott eingesetzte Naturrecht, das Ethos in seiner absolutesten und reinsten Form. In Christus hat sich gezeigt, wie die Freiheit und das Recht im Menschen als Weg zur Vergöttlichung gesehen werden soll. Dass „Ja“ Christi zum Recht[12] zeigt, dass die absolute Freiheit mit dem Recht in Verbindung gebracht werden muss, damit das Recht seine Hypostase erhalten kann. In Christus ist somit das Recht mit der Freiheit eins geworden. So hat uns Christus gezeigt, was der „alte Adam“ nicht gelebt hat, nämlich das Recht Gottes nicht nur zu hören, sondern vor allem auch zu verstehen und ihm gemäß zu leben. Nicht aus der Not heraus, sondern aus dem freien Willen. Das Gesetzte ist somit nicht eine einschränkende Komponente, die uns Grenzen setzten möchte, sondern ein Recht, das Ausdruck unserer Natur ist. Es ist das Ethos, das unsere Natur nötig hat, um zu überleben. Die Nichteinhaltung dieses Naturrechtes ist somit für die Orthodoxe Kirche für den Menschen als Person katastrophal, wenn das Ich des Menschen sich vom Wir Gottes trennt und so von der Person zum Atom degeneriert. Wenn also ein Wesen nicht mehr die communio in den Mittelpunkt setzt, sondern sein eigenes Ich, hört der Mensch auf, auf dieses Naturrecht hören zu können. Das eigene Recht wird so sein eigenes Recht, das Recht also, das nicht mehr aus seiner Natur, seinem Wesen, entspringt, sondern aus seinem Egoismus heraus. Für die Orthodoxe Kirche trennt sich genau in diesem Punkt das Recht vom Ethos.

Das Naturrecht drückt somit das Recht aus, das mit dem Ethos verbunden ist. Aus diesem Grund drückt es die Freiheit an sich aus. Es ist das Recht, das aus dem Inneren des Menschen kommt und Ausdruck des Heiligen Geistes ist, das die Einigung aller zum Ausdruck hat.

Die Heiligen der Kirche sind eben aus diesem Grund „heilig“, weil sie ein offenes Herz bekommen, dieses Naturrecht zu ihrem eigenen Recht zu machen. Es ist ein freiwilliges „Ja“, eine bewusst vollzogene Zustimmung zum Ethos des Rechtes. Sie halten sich aus diesem Grund nicht einfach an ein Naturrecht im juristischen Sinne, weil sie eine Strafe bei Nichteinhaltung befürchten, sondern leben das Recht als eine ethische und ontologische Gegebenheit ihres eigenen Lebens. Sie haben gewissermaßen das Recht zu einem Charakteristikum ihres Lebens gemacht.

Für die Orthodoxe Kirche sind somit die Heiligen ein Abbild des freien Menschen an sich. Das ist auch der Grund, warum die Freiheitskämpfer der Griechischen Revolution, die wir am Anfang erwähnt haben, in ihrem Inneren den Sinn der Freiheit schon gelebt haben, obwohl sie äußerlich noch unter dem osmanischen Joch gelebt haben. Sie lebten ihre Freiheit, weil sie wussten, dass diese Freiheit ein Ausdruck ihrer Natur ist und aus diesem Grund ein Naturrecht ausdrückte. Der hl. Gregor von Nyssa hat schon im 4. Jahrhunderts den Sinn der Freiheit aus dem Naturrecht erkannt, wenn er betont: „Du wagst es, durch die Sklaverei den Menschen zu verurteilen, dessen Wesen frei und selbständig ist, und zum Gesetzgeber gegen Gott zu werden, da du sein der Natur gegebenes Gesetz umstürzest?“[13]

Für den hl. Gregor ist somit die Freiheit nicht nur eine einfache geistige Größe, die nur den versklavten Menschen von seiner „geistigen Freiheit“ überzeugen will, um ihn bezüglich seiner „leiblichen Gefangenschaft“ zu trösten. Das wäre eine vereinfachende und verkürzende Sichtweise. Für den hl. Gregor muss sich diese geistige Freiheit auch im Leib, im Äußerlichen, notwendig ausdrücken, da er eben die Freiheit als ein Naturrecht des Menschen sieht. So fragt sich der hl. Gregor weiter: „Wenn also Gott den Freien nicht zum Sklaven macht, wer wird dann seine Herrschaft über die von Gott stellen? Wie ist es denn möglich, den Menschen zu verkaufen, der Herr über die ganze Erde und aller Dinge auf der Erde ist, wenn es doch vorgeschrieben ist, auch den Besitz des Verkauften mitzubezahlen? Wie soll man denn alle Dinge auf der Erde bewerten? Wenn sie aber unschätzbar sind, sage mir, wie viel derjenige wert ist, der über all diesen steht? Selbst wenn du die ganze Welt aufführst, wirst du nichts finden, das einen entsprechenden Wert besitzt.“[14] Hier sieht man, dass nicht erst seit der Aufklärung die Freiheit des Menschen und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde als Charakteristika des menschlichen Freiheitsbegriffes verstanden werden, sondern dies eine zutiefst christliche Einstellung darstellt. Der Mensch ist frei erschaffen worden und besitzt von sich aus den freien Willen, Entscheidungen zu treffen. Diese Freiheit kann sogar so weit gehen, dass sich der erschaffene Mensch auch gegen seinen Erschaffer entscheiden kann. Der Mensch kann und darf sich im Rahmen seiner Freiheit von Gott abwenden und in sich selbst das Heil suchen.

Die Erfahrung der Kirche hat uns jedoch gezeigt, dass der Mensch sich dabei nicht in Richtung des Heils bewegt, sondern eben vom Heilsweg abirrt. Der Mensch fällt im Versuch seines Eigenheils in die Dunkelheit seiner selbst und verliert die Möglichkeit, als Person in communio mit Gott und der gesamten Menschheit zu stehen. Die Kirchenväter sprechen diesbezüglich von der Verdunklung des göttlichen Abbildes beim Menschen, die er bei seiner Erschaffung erhalten hat. In diesem Zusammenhang möchten wir wieder die am Anfang erwähnte Verantwortung betonen.

Die Entscheidungsfreiheit des Menschen ist somit eng verbunden mit der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen zu leben bzw. auch zu sterben. Man könnte nun meinen, dass, wenn sich der Mensch gegen Gott entscheidet und sich von diesem abwendet, der Mensch sich immer mehr von Gott entfernt, so dass der Mensch irgendwann dort ankommt, wo Gott nicht mehr ist. Allerdings hat uns spätestens das Kreuz Christi bewiesen, dass durch Christus Gott bis in die Tiefen des Hades präsent ist und nur auf unser „Ja“, auf unser in Freiheit gesprochenes „Ja“ wartet, um die communio mit uns einzugehen. Erinnern möchte ich hier besonders an die zwei Verbrecher, die neben Christus gekreuzigt worden sind. Der zur Rechten des Herrn gekreuzigte Schächer hat im letzten Moment seines Lebens noch seine Machtlosigkeit gesehen und sich vor Gott erniedrigt. Dieser Akt der Demut vor Gott, war ein „Ja“ zu Gott, und dieses „Ja“ hat ihm die Pforten des Paradieses eröffnet.[15] Der zur Linken des Herrn gekreuzigte Schächer hingegen hat bewiesen, wie ein Mensch auch noch in den letzten Sekunden seines Lebens nur sich selbst der Nächste sein kann und somit jegliche Kommunion unterbindet. Sicherlich lässt sich aus der Kreuzigungsszene auch erkennen, dass der rechte Verbrecher eben Christus erkennen kann, weil er sein Herz geöffnet hat. Der linke dagegen verschließt sein Herz und kann eben aus diesem Grund Christus nicht erkennen. Auch die beiden Schächer hatten die Freiheit, zu wählen, eine Freiheit, die zwischen der communio mit Gott und somit der gesamten Welt oder die Verschließung in das eigene Ich wählen muss. Der Mensch ist somit frei, zwischen diesen beiden Wegen zu wählen. Die ekklesia, die Kirche, ist der Ausdruck der communio an sich. Sie ist der Ort, wo die communio zwischen den Menschen und Gott, aber auch zwischen den Menschen stattfindet und gelebt wird. Die Kirche kann in diesem Sinn den Menschen nie als eine Monade sehen, sondern immer nur als Person. Der Mensch ist eben als Person einzigartig und individuell, aber immer nur Person, weil er ein kommunizierendes Wesen ist und in dieser communio sein Selbst erfahren kann. Es gehört somit für die Kirche zur „gesunden“ Natur des Menschen, kommunionbereit zu sein. Der Egoismus ist daher der eigentlichste Grund der Sünde an sich. Er ist derjenige, der den Menschen von seiner Natur entfremdet und ihn von einer Person zu einer Monade werden lässt. Hinter dem Versuch der Kirche, den Menschen auf den Weg zur Vergöttlichung zu führen, steht somit, dem Menschen seine Kommunionfähigkeit beizubringen bzw. diese wiederherzustellen. Der Mensch wird Abbild Gottes, zur Person, weil er in communio stehen kann und diese auch in seinem Leben fruchtbar werden lässt.

Wenn also der Mensch sein Ja zum Ja Gottes werden lässt, und wenn der Nomos des Herrn nicht als juristische Norm verstanden, sondern ein gelebter Willensausdruck wird, erfüllt sich der Ausdruck der Vergöttlichung. Ein Beispiel: Wenn ein Mensch mordet und somit gesetzwidrig handelt, befindet er sich im Konflikt zwischen sich selbst und dem Nomos. Die meisten Menschen jedoch brauchen nicht das Gesetz, um nicht zu morden, sondern unterlassen dies aus tiefster Überzeugung, dass der Mord eben ein Widerspruch zum Naturgesetz des Menschlichen ist. Aus diesem Grund gibt es in unseren parlamentarischen Demokratien, wo die Mehrheit in vielen Dingen demokratisch entscheidet, auch Gesetze, die nicht von der Mehrheit verabschiedet werden können, da diese dem Naturrecht widersprechen und oft als Grundgesetz in vielen westlichen Gesellschaften unantastbar geschützt wird.

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, in wie weit dieser Freiheitsbegriff mit dem Gehorsam z.B. gegenüber dem geistlichen Vater bzw. gegenüber der Kirche im Allgemeinen in Verbindung gebracht werden kann. Besonders die Orthodoxe Kirche kennt die Tradition des geistlichen Vaters bzw. der geistlichen Mutter als Wegweiser des spirituellen Lebens eines jeden Gläubigen.

Für die Orthodoxe Kirche hat der Gehorsam gegenüber einem geistlichen Vater bzw. Mutter nichts mit der Aufhebung der menschlichen Freiheit zu tun. Der Gehorsam hat hierbei eher pädagogischen Charakter und keinen existenziellen. Gehorsam ist somit ein Ausdruck der eigenen Freiheit des Menschen, einem geistig erfahrenen Menschen zuzuhören und aus seiner spirituellen Erfahrung zu schöpfen. Der Mensch lernt somit im Gehorsam, nicht nur sein eigenes Ich als Garant zu haben, sondern im Wir der Kirche und in der communio mit der Kirche zu leben. Das Gespräch mit dem geistlichen Vater ist somit ein Abbild der Kirche an sich. Es ist die communio meines Ichs mit dem Du. Der geistliche Vater kann hierbei selbstverständlich immer nur als Wegweiser gesehen werden kann.[16] Die letzte Entscheidung liegt immer nur bei der Person an sich. Der Gehorsam hat also wie gesagt vor allem pädagogischen Charakter. Gehorsam gegenüber den geistlichen Vater ist in der Orthodoxen Kirche somit vor allem der Versuch, den Egoismus des eigenen Ichs zu bekämpfen, damit eine echte communio mit den Anderen überhaupt erst möglich wird. Der geistliche Vater ist also nicht dazu da, dass dieser die Freiheit des Menschen einschränkt oder sogar das Ἀυτεξούσιον aufhebt, sondern den Menschen dazu führt, das Naturgesetz, das, wie wir weiter oben gesehen haben, Gott jedem Menschen in das Herz geschrieben hat, hören zu können. Es ist der Versuch, dem Menschen seine egoistische Taubheit zu nehmen, damit er wieder ein hörendes Herz bekommt. Damit er hören und verstehen kann, und damit sein Wille, seine Freiheit, mit dem Willen des Herrn eins werden. Diesen Schritt kann nach orthodoxer Auffassung der Mensch nur durch die Demut erlangen. Die Vergöttlichung an sich ist somit keine Eigenschaft, die der Mensch sich von selbst aneignen kann, sondern wird in der Kirche als Gabe Gottes gesehen.

Um den Weg der Vergöttlichung also überhaupt einschlagen zu können, benötigt der Mensch die Kenntnis, die schon der gute Schächer am Kreuz hatte, also dass er von selbst nichts machen kann. Maximos der Bekenner betont diesbezüglich: „Da sie übernatürlich ist, erleiden wir die Vergöttlichung durch Gnade und erschaffen sie nicht; denn wir besitzen von Natur aus keine Fähigkeit, die Vergöttlichung zu erfahren, wenn er nicht intensiv an der Beseitigung jener Faktoren wirkt, die verhindern, dass die Gnade Gottes in seiner Existenz tätig wird.“[17] Die Vergöttlichung des Menschen ist somit immer nur ein Gnadenakt, die der Mensch nie von alleine erreichen oder erfahren kann. Diese Kenntnis führt den Menschen auf den Weg der Selbsterkenntnis. Er erkennt, dass er in seiner Schwachheit doch nur eines machen kann: Dein Leben vollkommen in die Hände Gottes zu legen. Ein Vertrauen darauf, dass das Naturgesetz nicht ungerecht ist, sondern in sich die reinste Form des Gerechten trägt, und das Ja zu Gott immer ein „Ja“ für den Ausdruck des Lebens an sich in jeder Person wird. Freiheit und Gehorsam sind somit nicht zwei radikal unterschiedliche Eigenschaften, sondern gehören harmonisch zueinander, da eben Gehorsam die Freiheit voraussetzt. Freiheit jedoch kann in diesem Sinne nur gelebt werden, wenn man sich vom Egoismus seiner selbst befreit, damit der Mensch als kommunionfähiges Leben sein Menschsein in seiner ganzen Fülle leben kann.

 


[1] Maximos der Bekenner, Disputatio cum Pyrrho (PG 91,301C).

[2] Johannes von Damaskus, De fide orthodoxa II, c.12 (PG 94,924B).

[3] „Politisch“ meint hier allgemeiner den freien, natürlich Willen, der sich „politisch“, d.h. im Umgang mit den Mitmenschen, äußert.

[4] Θεόδωρος Κολοκοτρώνης, „Ὁ δικός μου ὁ ξεσηκωμός δέ μοιάζει μήτε μέ τῶν Φράγκων, μήτε μέ κανενοῦ ἄλλου. Ἐμεῖς θ' ἀναστήσουμε μία πατρίδα πού κεφάλι θάχη τό Χριστό. Κι ὄχι ἀνθρώπους“. Θ. Κολοκοτρώνη, Διήγησις Συμβάντων τῆς Ἑλληνικῆς φυλῆς, Ἀθῆναι, Κεφ. Β΄, 44

[5] Jean-Paul Sartre, Der Existentialismus ist ein Humanismus. In: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays, 1943-1948, Hamburg 1970, 155.

[6] Eindringlich ist die paulinische Paränese im Anschluss an die Erinnerung, dass die Gläubigen der Sünde gestorben und somit im wahrsten Sinne frei sind: „Daher soll die Sünde nicht mehr in eurem sterblichen Leib herrschen, sodass ihr seinen Begierden gehorcht. Stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch Gott zur Verfügung als Menschen, die aus Toten zu Lebenden geworden sind, und stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit in den Dienst Gottes!“ (Röm 6,12f.).

[7] Röm 3,31.

[8] Abt Maximilian Heim OCist, Conversatio nostra in caelis est. Unsere Heimat ist im Himmel, in: Abmo. Jahrbuch der Hochschule Heiligenkreuz (2016), Europa eine Seele geben, 1. Jahrgang, 68-83, hier 71-72.

[9] Georgios Mantzaridis, Soziologie des Christentums, Berlin 1981, 124.

[10] Röm 2,14f.

[11] Basilius der Große, Ὁμιλίαι εἰς τήν Ἐξαήμερον IV, 4, 2 (PG 29,81C).

[12] Vgl. Mt 5,17: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen!“

[13] Gregor von Nyssa, Εἰς τὸν Ἐκκλησιάστην τοῦ Σαλομώντος, 4 (PG 44,664D).

[14] Ebd. (PG 44,665B).

[15] Vgl. Lk 23,43: „Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“

[16] Vgl. Ἀρχ. Ἐλισαίου Σιμωνοπετρίτου, Ἡ Πνευματική Πατρότητα κατά τόν Γέροντα Σωφρόνιο, in: Ἱερά Μεγίστη Μονή Βατοπαιδίου, Γέροντας Σωφρόνιος ὁ Θεολόγος τοῦ ἀκτίστου Φωτός. Πρακτικά διορθοδόξου ἐπιστημονικοῦ συνεδρίου, Berg Athos 2008, 319-341.

[17] Maximos der Bekenner, Κεφάλαια διάφορα θεολογικά τὲ καὶ οἰκονομικά I, 75 (PG 90,1209C).

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