Metropolit Arsenios über das historische Zusammentreffen von Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. und Papst Franziskus im Heiligen Land

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Die gemeinsame historische Pilgerfahrt Seiner Allheiligkeit des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. und des Papstes Franziskus hat Metropolit Arsenios zum Anlass genommen, historische Perspektiven des bisherigen Kontaktes und der Zusammenarbeit beider Schwesterkirchen darzulegen und zukünftige Entwicklungen zu skizzieren. Die Kernaussage des Metropoliten: „Auf jeden Fall sind wir dazu aufgerufen, den Dialog der Liebe und der Wahrheit weiterzuführen und auf allen Ebenen zu unterstützen.“

Der Dialog der Wahrheit konfrontiere die orthodoxe und katholische Kirche mit den unterschiedlichen Auffassungen und Interpretationen, die über Jahrhunderte hindurch herangewachsen und geformt worden sind. Die Schwierigkeit werde hierbei wohl auch darin liegen, in den Punkten, wo noch theologische Vorurteile und Ängste vorherrschen, diese mit dem Dialog der Liebe zu überwinden.

Metropolit Arsenios: „Die Wahrheit ist ebenso die Grundlage für die Liebe, wie auch die Liebe die Grundlage für die Wahrheit ist. Daher dürfen die theologischen Unterschiede nicht der Liebe wegen einfach zur Seite geschoben werden. Andererseits sollen auch nicht existierende Vorurteile um der Wahrheit willen den Dialog nicht vergiften. Rückschläge dürfen und sollen also nicht Entmutigung und Verzweiflung verbreiten, sondern gerade diesen Punkt anzeigen, wo der Dialog der Liebe und der Wahrheit harmonisch ineinander wirken muss.“

Der Dialog der Liebe und der Wahrheit werde jedoch zweifelsohne vom Dialog der Gesten unterstützt und gefördert: „Der Handkuss von Papst Franziskus gegenüber dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios nach dessen Ansprache in der Grabeskirche (2014) wird sich ebenso als eine der großen Gesten im Dialog der Gesten, die doch notwendig sind, einreihen und damit einen weiteren Befestigungsstein auf dem Weg der Annäherung setzen.“

Die Ausführungen von Metropolit Arsenios im Wortlaut:

Die Pilgerreise ins Heilige Land

Zwischen Anamnese und Fortschritt

„Wie unsere verehrten Vorgänger Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch Athenagoras, die sich vor fünfzig Jahren hier in Jerusalem trafen, waren auch wir, Papst Franziskus und der Ökumenische Patriarch Bartholomäus, entschlossen, uns im Heiligen Land zu treffen, wo unser gemeinsamer Erlöser, unser Herr Jesus Christus, lebte, lehrte, starb, auferstand und in den Himmel auffuhr, von wo aus er den Heiligen Geist auf die entstehende Kirche herabsandte“.[1]

Mit diesen Worten beginnen die zwei Kirchenoberhäupter und Pilger im Heiligen Land ihre gemeinsame Erklärung zu ihrem Treffen in Jerusalem, das vor allem einen anamnetischen Charakter besitzt, gleichzeitig jedoch eine Erneuerung eines gegebenen Versprechens ist, eines Versprechens, das am 5. und 6. Jänner 1964 von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras durch große historische Gästen und Worte gegeben worden ist. So bleibt wohl der Bruderkuss zwischen den beiden Kirchenmännern und Pilger im Heiligen Land die symbolische Kraft, wodurch „das Schweigen vieler Jahrhunderte“[2] aufgebrochen wurde und eine neue Ära zwischen den zwei Kirchen eingeschlagen hat.

3753566010.jpgAuch wenn diese Geste, als der historische Punkt der Annährung gilt und als symbolische Kraft gelten soll, so ist dies auch ein Geschehen, was auf der gegenseitigen Vorarbeit basiert. So wurde schon auf der Ersten (I.) Panorthodoxen Konferenz von Rhodos (1961) das Thema der Beziehungen zwischen der Orthodoxen und Römisch-katholischen Kirche diskutiert[3]. Bei der Zweiten (II.) Panorthodoxen Konferenz von Rhodos (1963) wurde dann ausführlich über die Entsendung orthodoxer Beobachter zum Zweiten Vatikanischen Konzil diskutiert, wo unter anderem betont wurde, dass „unsere östliche Orthodoxe Kirche der ehrenhaften Römisch-katholischen Kirche den Vorschlag macht, den Anfang des Dialoges zwischen den zwei Kirchen auf gleicher Ebene durchzuführen“[4]. Dasselbe Klima und derselbe Willen herrschten auch während der Dritten (III.) Panorthodoxen Konferenz von Rhodos, die den Orthodoxen Ortskirchen ins Herz legte, „die brüderliche Beziehung zur Römisch-katholischen Kirche“ zu fördern, damit dadurch ein theologischer Dialog entspringen könne[5].

Auf der Seite der Römisch-katholischen Kirchen bestand im gesamten Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils ebenfalls eine Willensübereinstimmung für die Annäherung zwischen Ost und Westkirche, die nicht zuletzt im Dokument „Unitatis Redintegratio“ sichtbaren Ausdruck fand.

Diese wichtigen Schritte und Annäherungsversuche haben ein Klima des Verzeihens und der Nähe geschaffen, die zum Schluss nicht nur den Bruderkuss, dessen wir besonders in diesen Tagen gedenken, sondern auch die gegenseitige Aufhebung der gegenseitige Exkommunikation vom Jahre 1054 am 7. Dezember 1965 hervorgebracht haben.

3806000778.jpgIn den letzten fünfzig Jahren ist der Stein ins Rollen gebracht worden, der in seiner Rotation in manchen Zeiten schnell und ruhig dahingerollt ist, in anderen Zeiten jedoch auch schwer ins Schwanken geraten ist, sodass man direkt fürchten musste, er könnte aus der Bahn geworfen werden. So ist der Dialog der Liebe, der zwischen den beiden Kirchen vor fünfzig Jahren dynamisch angefangen hat und der ab 1980 durch Papst Johannes Paul II. und Patriarch Demitrios I. in dem Dialog der Wahrheit weitergeführt worden ist, eine Geschichte der Freude für Erreichtes, aber auch der Bitterkeit für Schritte der Entfremdung und mancher Rückschläge. Die Versammlungen in München (1982), Kreta (1984), Bari (1986/87) und Neu-Valamon (1988), die vor allem Fragen zum Kirchenverständnis und den Sakramenten behandelten, unterstreichen überwiegende Gemeinsamkeiten im Sakraments- und Kirchenverständnis zwischen den beiden Kirchen, welche die Basis für einen grundlegenden theologischen Dialog setzen[6]. Auf diese größtenteils harmonischen und hoffnungsvollen Begegnungen folgte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und durch die damit verbundenen unitaristischen Bewegungen von Seiten Roms in Osteuropa eine schwere Zeit für den Dialog der Wahrheit, der nun mit einer historischen Wahrheit konfrontiert worden ist. Trotz der gemeinsamen Verurteilung der Uniatismus als keinen Weg der Annäherung, sondern als einen Weg der Entfremdung von Seiten der Delegierten der Vollversammlung vom Freising (1990)[7] wurde die nächste Vollversammlung von Balamand (1993) dadurch überschattet, dass der Uniatismus fortgesetzt worden war, was zur Folge hatten, dass viele orthodoxe Kirchen keinen Vertreter zu dieser Vollversammlung entsandten. Der Schmerz und die Enttäuschung waren groß, was dazu führte, dass erst im Jahre 2000 wieder ein – leider misslungener – Versuch in Baltimore unternommen wurde, den Dialog wieder ins Rollen zu bringen.

Erst im Jahre 2006 kam der Dialog durch die Zusammenkunft der Vollversammlung in Belgrad wieder ins Rollen. Hier spielte wohl der Pontifikatswechsel in Rom eine große Rolle. Papst Benedikt XVI. galt als ein großer Freund der Orthodoxie, was bei vielen Orthodoxen Ortskirchen eine Hoffnung auf eine Annäherung mit sich trug. Auch wenn kurz vor der Wiederaufnahme des Dialoges durch das Wegstreichen des an die Alte Kirche erinnernden und traditionellen Titels „Patriarch des Westens“ aus der offiziellen Titulatur des Papstes von Seiten Papst Benedikts XVI. einen großen Unmut auf orthodoxer Seite hervorbrachte, hat dies den guten Willen und den Glauben an der Notwendigkeit dieses Dialoges auf beiden Seiten nicht umkippen können. Die Verhandlungen von Belgrad wurden in Ravenna (2007) durch die Vollversammlung fortgeführt, was das sogenannte „Ravennadokument“ zum Ergebnis hatte, in dem die Stellung des „Ersten“ auf lokaler, regionaler und universaler Ebene beraten wurde. War man sich einig, was die Stellung des „Ersten“ auf lokaler und regionaler Ebene betrifft, so ist die Stellung des „Ersten“ auf universalkirchlicher Ebene noch ein Punkt, der genauer bedacht und in der derzeitigen Phase des Dialoges diskutiert und behandelt werden muss. Die Vollversammlungen in Zypern (2009) und Wien (2010) haben hierbei den Auftakt für diese neue Diskussionsrunde eröffnet, um die Rolle und Stellung des Papstes bzw. des „Ersten“ auf Universalebene zu vertiefen.

Der Dialog der Wahrheit konfrontiert damit die zwei Kirchen mit den unterschiedlichen Auffassungen und Interpretationen, die über Jahrhunderte hindurch herangewachsen und geformt worden sind. Die Schwierigkeit wird hierbei wohl auch sein, in den Punkten, wo noch theologische Vorurteile und Ängste vorherrschen, diese mit dem Dialog der Liebe zu überwinden. So verstehe ich auch den emeritierten Papst Benedikt XVI., wenn er schreibt: „Ich war immer schon der Meinung und bin es nun noch mehr, dass zwischen Orthodoxie und katholischer Kirche viel weniger Lehrfragen stehen als Verwunderungen des Gedächtnisses, die uns einander entfremden: Die Macht der geschichtlichen Verwirrnisse scheint stärker als das Licht des Glaubens, das sie in Vergebung umwandeln soll“[8]. Beides ist notwendig, und es ist undenkbar beides zu trennen. Die Wahrheit ist ebenso die Grundlage für die Liebe, wie auch die Liebe die Grundlage für die Wahrheit ist. Daher dürfen die theologischen Unterschiede nicht der Liebe wegen einfach zur Seite geschoben werden. Andererseits sollen auch nicht existierende Vorurteile um der Wahrheit willen den Dialog nicht vergiften. Rückschläge dürfen und sollen also nicht Entmutigung und Verzweiflung verbreiten, sondern gerade diesen Punkt anzeigen, wo der Dialog der Liebe und der Wahrheit harmonisch ineinander wirken muss. „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihre Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit“[9].

1619681627.jpgDer Dialog der Liebe und der Wahrheit wurde jedoch zweifelsohne vom Dialog der Gesten unterstützt und gefördert. Solche Gesten waren außer dem Bruderkuss auf dem Ölberg in Jerusalem zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras und der gegenseitigen Aufhebung der Exkommunikation im Jahre 1965 etwa der Kniefall von Papst Paul VI. gegenüber dem Vertreter des Ökumenischen Patriarchen, Metropoliten von Chalzedon Meliton Chatzi im Jahr 1975. Unvergesslich wird wohl auch das Nebeneinander-Stehen von Papst Benedikt XVI. und dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios sein, wo beide vereint die Hände auf dem Patriarchalen Balkon im Fanar emporhoben (2006). Der Handkuss von Papst Franziskus gegenüber dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios nach dessen Ansprache in der Grabeskirche (2014) wird sich ebenso als eine der großen Gesten im Dialog der Gesten, die doch notwendig sind, einreihen und damit einen weiteren Befestigungsstein auf dem Weg der Annäherung setzen.

In der gemeinsamen Erklärung in Jerusalem, die von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios verlautbart worden ist, wird unter anderem das Problem der Christenverfolgung angesprochen, das ein gemeinsames und in dieser weltweiten quantitativen Expansion ein neues Problem für die gesamte Christenheit bildet. Hiermit werden sich die Kirchen gemeinsam in der Zukunft beschäftigen müssen, was den Dialog der Wahrheit und der Liebe, der vor allem theologischer Natur ist, mit den gegebenen historischen Realitäten konfrontieren wird.

Es ist erfreulich, dass sich mit Fragen, mit denen sich der internationale und offizielle Dialog zwischen der Römisch-katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche auseinandersetzt, auch jüngere Theologen beschäftigen und mit einem neuen Wind weiterführen. Dies gibt Hoffnung, dass diese in ihrer Unvoreingenommenheit die Punkte des Dialoges der Wahrheit reinigen, die mit Vorurteilen verunreinigt wurden, und sie mit dem Dialog der Liebe in Wahrheit reinzuwaschen gewillt sind. Hier ist besonders die junge Kommission Orthodoxer und Römisch-katholischer Theologen von Pro Oriente zu loben und zu ermutigen, hier weiter zu machen, was nicht zuletzt in der gemeinsamen Verlautbarung vom 25. Mai 2014 von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios erbeten wurde: „Während wir uns sehr wohl bewusst sind, dass wir das Ziel der vollen Gemeinschaft nicht erreicht haben, bekräftigen wir heute unseren Einsatz, unseren gemeinsamen Weg zur Einheit fortzusetzen, für die Christus, unser Herr, zum Vater gebetet hat: Alle sollen eins sein“.

Man kann erkennen, dass der Herr stets hinter den Bemühungen beider Kirchen in all diesen Jahren steht. Als Menschen können wir nicht erfassen, warum Er auf unsere Mühen und Gebete nicht sogleich eine Lösung in Richtung sakramentaler Volleinheit der Kirche gibt, vielleicht wegen unserer menschlichen Schwächen, vielleicht, weil wir noch nicht ausreichend Demut für diesen bedeutenden Schritt haben, oder, weil wir uns fürchten, das heißt bisher nicht genug geliebt haben, oder, weil wir nicht genug an Sein Reich glauben.

Auf jeden Fall sind wir dazu aufgerufen, den Dialog der Liebe und der Wahrheit weiterzuführen und auf allen Ebenen zu unterstützen.


[1] Aus der gemeinsamen Erklärung von dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. und von Papst Franziskus in Jerusalem am 25. Mai 2014.

[2] Siehe Τόμος Ἀγάπης, Nr. 50 (120-121).

[3] Siehe hierzu die Verlautbarung der Panorthodoxen Zusammenkunft von Rhodos in: Ἐκκλησία 38 (1983) 57.

[4] Die Panorthodoxe Konferenz von Rhodos in: Ἐκκλησία 40 (1963) 517.

[5] Vgl. A. Papadopoulos, Θεολογικός διάλογος Ὀρθοδόξων και Ρωμαιοκαθολικῶν (Ἰστορία- Κείμενα-Προβλήματα), Thessaloniki /Athen 1996, 21.

[6] Siehe bezüglich der Auffassung der Eucharistie im Dialog zwischen der Orthodoxen und der Römisch-katholischen Kirche: Ioannis Kourempeles, Δῶσ’ μου λόγο, Λόγε. Μελέτες λόγῳ θεολογίας, Thessaloniki 2013, 273-321.

[7] Siehe Συνεδρία τῆς Ὑποεπιτροπῆς διαλόγου Ὀρθοδόξων – Ρωμαιοκαθολικῶν γιά τήν Οὐνία (Βιέννη 26 – 31 Ἰανουαρίου 1990), Ἐπίσκεψις 433 (1990).

[8] JRGS, Kirche-Zeichen unter den Völkern, Bd. 8/2, Freiburg in Breisgau 2010, 794.

[9] I. Korth. 13,4-7