Und Gott wird Mensch – Ein Vortrag zum Weihnachtsfest

Mit dem 15. November hat in der Orthodoxen Kirche traditionell die Weihnachtsfastenzeit begonnen und damit eine Zeit der Stille und der innerlichen Kontemplation. Das steht im Gegensatz zum heutigen kommerzialisierten und materialistischen Zeitgeist, der diese Vorweihnachtszeit als eine Zeit des intensiven Konsums in jeglicher Hinsicht sieht und versteht. Das eigentliche Ereignis, das Fest der Geburt des Gottmenschen, wird dadurch in den Hintergrund gedrängt. Es hat den Anschein, dass das eigentliche Fest genau diese Vorweihnachtszeit ist, die eigentlich auf das Geburtsereignis Jesu Christi vorbereiten sollte.

Das Fest des Kommerziellen, das Hochfest des Materialismus, nimmt damit den Platz des Herrenhochfestes ein, und es hat den Anschein, dass der Mensch wiederum Gott aus seinem Leben und Gedanken entfernt hat. Damit hat es wohl der Humanismus durch seine Kinder in der Neuzeit geschafft, Gott zu verdrängen, Ihn aus den Gedanken zu tilgen und den Menschen und seine materialistische Soteriologie aus sich selbst zu vergöttlichen. Wenn man diese Soteriologie des Materialismus genauer betrachtet, sieht man in ihr jedoch einen starken, unausweichlichen Egoismus. Das Produkt der Selbstvergöttlichung des Menschen ist damit eine Vergöttlichung seiner Selbst, seines eigenen Seins, seines EGO (ΕΓΩ). Das eigene Sein wird zu Gott und die Befriedigung des Ichs zur höchsten Doktrin des Menschen. Der Mensch wird zum absoluten Atom, zur Monade und verliert seine Eigenschaft als soziales und kommunikatives Wesen. Er verliert sein Personsein, das immer nur in Hinblick auf seine Communio mit dem anderen zu sehen ist. Die Person wird zum Atom und damit wird die Gesellschaft von der Personalgesellschaft zur „atomisierten, individuellen Gesellschaft“. Hinsichtlich des Weihnachtsfestes bedeutet das, dass der Mensch unbewusst, durch die Verlagerung des Festes von der Geburt Jesu Christi zum kommerziellen Hochfest der Vorweihnachtszeit sein eigenes Sein feiert.[1]

Was hat uns jedoch das Fest der Geburt Jesu Christ zu sagen? In wie weit greift dieses Ereignis direkt in unser Leben hinein? Was bedeutet dieses Ereignis für uns Menschen heute?

Die Geburt Jesus Christi ist ein kosmologisches Ereignis, das heißt ein Ereignis, das die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft in diesem Augenblick der Geburt in der Höhle zu Bethlehem vereint. Das Ereignis an sich überschreitet jegliche menschliche Phantasie, Vorstellungskraft und Logik. Gott ist Mensch geworden „vom Heiligen Geist und der Jungfrau Maria“ wie wir im Nicäno-Konstantinopolitanum, dem Credo, also dem Glaubensbekenntnis, bezeugen. Die Geburt Jesu Christi vereint in sich die Demut und die Communio in ihrer reinsten und höchsten Form. Die Demut, weil Gott Mensch geworden ist; der Höchste hat menschliche Gestalt angenommen, um die gesamte Menschheit in Zeit und Raum zu retten. Die Geburt Christi leitet hiermit das soteriologische Ereignis ein, das am Kreuz und in der Auferstehung endet.[2] Es ist kein Zufall, dass die Orthodoxe Ikonographie diese Ereignisse fundamental miteinander verbindet. Wenn man die Weihnachtsikone genau betrachtet, bemerkt man, dass die Geburtshöhle in gleicher Art und Weise dargestellt wird, wie die Grabeshöhle auf der Osterikone. Ebenso wird die Krippe zu einer Nachahmung des Grabes Jesu Christi.

Diese symbolische Darstellung verbindet damit Weihnachten und Ostern und setzt beide Ereignisse unzertrennlich in Verbindung. Es stellt sich die Frage, ob hier nicht auch eine existenzielle anthropologische Bedeutung hinzukommt. Für alle Menschen gilt doch, dass wir schon bei unserer Geburt den Tod in uns tragen. Das Ereignis unserer Geburt als Anfang unseres Lebens ist letztendlich nichts anderes, als der Anfang eines Weges der zum Tod führt.[3] Somit darf man die Weihnachtsikone, die diese ganze Grabesthematik in sich birgt, nicht separat von der Osterikone lesen. Das Grab wird aufgesprengt und der Mensch, der schon von seiner Geburt an in diesem liegt, wird erlöst. Nicht der Tod ist mehr das Ziel, sondern das Leben. Hierbei handelt es sich um eine Theologie und Anthropologie der Hoffnung. Es handelt sich um einen wirklichen Humanismus, der den Menschen nicht in seinem eigenen Sein einsperrt, sondern Ihn öffnet in Zeit und Raum. Der Mensch wird eingeladen, seine Zeit, die irdische Zeit, zu überschreiten und Teilhaber der Auferstehung Jesu Christi zu werden, zu einer Person der Hoffnung.

Genau diese Hoffnung birgt schon die Weihnachtsikone in sich. Damit soll der Mensch nicht nur am Ende seines Lebens Teilhaber dieser Hoffnung sein, sondern von der Stunde seiner Geburt an. Somit ist es eine der grundsätzlichen Eigenschaften eines Christen, ein hoffnungsvolles Leben zu leben.

Es hat sich gezeigt, dass in der heutigen Zeit, in der besonders der Individualismus und der Egoismus gefördert werden, der Mensch immer tiefer in eine Unzufriedenheit und Verzweiflung versinkt, obwohl wir in einer konsumreichen und wohlhabenden Gesellschaft leben, und das nicht zuletzt, weil er trotz seiner Errungenschaften immer seine Grenzen erfährt und erkennt. Er merkt, dass seine Eigenvergöttlichung eine Utopie ist, ein Wunschgedanke den er aus sich nicht erreichen kann. Im Alten Testament wird dies in Gen 11,1-9 sehr treffend dargestellt. Der Mensch versucht durch seine Erschaffung, Gott zu erreichen, Gott zu werden, kommt jedoch immer an seine Grenzen und dies stürzt ihn in Verwirrung. So kann man in der Sprachverwirrung zu Babel genau diese Verwirrung des Menschen erkennen, als er versucht, aus sich selbst heraus Gott zu erreichen und Gott werden möchte. Der Mensch schließt sich in seiner Eigenvergöttlichung ein und verliert die Kommunion, nicht nur mit Gott, sondern auch mit seinem Mitmenschen. Der Mensch wird zum Atom, wie bereits erwähnt wurde, weil er nicht mehr kommunikationsfähig ist.

Was für ein anderes Bild wird uns jedoch durch das Weihnachtsereignis, die Geburt unseres Heilands, dargestellt. Nicht durch Ruhm kommt der Heiland, sondern durch Demut. Nicht wie ein König, sondern wie ein Bettler. Nicht wie ein Gott, sondern wie ein einfacher Mensch kommt er zur Welt und wird damit zum absoluten Vor- und Abbild der Kenose, der Entäußerung. Er zeigt uns, dass im Gegensatz zu Babel nicht das Aufsteigen, sondern das Absteigen zum eigentlichen Sein der Vergöttlichung gehört. Der Mensch wird in seiner Demut gnadenhaft vergöttlicht, weil er die demütige Liebe unseres Heilands nachahmt.

Ein neuerer Theologe unserer Kirche, Starez Sophrony Sacharov, hat hierbei von der kenotischen Liebe Christi gesprochen und diese mit einer umgekehrten Pyramide dargestellt.[4] Genau diese umgekehrte Pyramide ist das Gegenbild zu Babel. Die Erniedrigung wird damit zur Erhöhung und der Abstieg zum Aufstieg. Die Geburt Jesu Christi ist die Herabkunft des göttlichen Logos und seine Menschwerdung in der Person Jesu Christi.[5] Diese Herabkunft wird zum Merkmal des soteriologischen Ereignisses.

Wenn wir weiterhin die Geschehnisse der Geburt Jesu Christi sehen, so fällt uns die Vorankündigung dieses Ereignisses an die Hirten und an die Magier (Weisen aus dem Morgenland) auf.[6] Die Weisen aus dem Morgenland werden als gebildete Astronomen durch ihr Wissen geführt. Ein Zeichen am Himmel wird ihnen kundgetan und durch ihre Weisheit erkennen sie den Weg. Das Ereignis der Geburt Jesu ist jedoch kein Ereignis, dass den Gebildeten vorbehalten ist. Es ist ein kosmologisches Ereignis. Die ungebildeten Hirten werden so von einem Engel des Herrn am Geburtstag Jesu Christi benachrichtigt (Lk 2,8 ff.). Ihnen wird das Ereignis direkt offenbart, im Gegensatz zu den Weisen, die erst einen Weg zurücklegen müssen. Damit steht die Geburt Jesu Christi allen offen, jedoch in besonderer Art und Weise denen, die in sich die Demut der Hirten tragen und nicht durch ein Zeichen zu Gott gelangen, sondern durch den Ruf. Sie werden damit zu Berufenen und Zeugen des Ereignisses der Geburt. „Selig sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“ wird Christus in den Seligpreisungen verkünden (Mt. 3,3-12), und genau dieses reine Herz der Demut bedarf es zuletzt, um nach Bethlehem zu gelangen.

Dies darf jedoch nicht falsch verstanden werden: die Hirten sind nicht nur durch eine einfache Offenbarung und durch das Warten und Herumsitzen zu Zeugen der Geburt Jesus Christ geworden, sondern durch eine Hingabe und ein Vertrauen, dass sie sich durch ihr gesamtes Leben angeeignet haben. Ihr reines und geduldiges Herz hat sie damit zu Zeugen gemacht.

Somit ist die Fastenzeit vor Weihnachten ein Weg nach Bethlehem hin. Ein Weg, den wir als Hirten gehen, indem wir dem Lockruf der Kirche folgen, den Sie durch Ihre Gesänge, mit den sinngemäßen Worten des Hl. Gregorios des Theologen in der Vorweihnachtszeit singt: „Christus wird geboren, lobet Ihn. Empfanget Christus, der vom Himmel herabgestiegen ist. Christus ist in der Welt, steht auf. Singet die ganze Welt für den Herren und einet, damit wir beides zusammen sagen können: Erfreue dich Himmel und erfreue dich Erde für den Himmlischen der zum Irdischen wird“[7].

Ein anderes Abbild, das uns in dieser vorweihnachtlichen Zeit in den Sinn kommt, ist Maria als die demütige Magd Gottes, die als Pilgerin zur Höhle der Geburt Jesu Christi pilgert. Damit wird die Gottesgebärerin zum eigentlichen Prototyp des Gläubigen zu Weihnachten. Und genauso wie Maria zum Hauptzeugen der Geburt Jesu Christi wird, werden auch wir Zeugen seiner Herrlichkeit. Dieser Pilgerschaft bedarf es jedoch auch im Gebet. Nicht umsonst hat die Orthodoxe Kirche in den vierzig Tagen vor Weihnachten eine tägliche Eucharistiefeier vorgesehen, die den Gläubigen als Beistand für diese Zeit dienen soll. Das Leben in der Eucharistiefeier ist jedoch auch genau dieser Pilgerweg, den wir alle gehen müssen, damit wir zu unserer Neugeburt in Christus geführt werden.

In diesem Sinne lasset uns zu Pilgern nach Bethlehem werden, indem wir versuchen, durch das Gebet und die Demut unser Ich zu überwinden bzw. in der Liebe zu den Anderen wiederzuentdecken.

Gepriesen sei unser Herr Jesus Christus der von der Jungfrau geborene und menschgewordene Gott.

Fußnoten:


[1] Zur Ichhaftigkeit des Menschen siehe Wolfhart Pannenberg, Was ist der Mensch?, Göttingen 1995, hier: S. 40-49.

[2] Vgl. Panagiotis Trempelas, Δογματική τῆς Ὀρθόδοξου Καθολικῆς Ἐκκλησίας Bd. 2, Athen 1979, S. 22-38.

[3] Vgl. Röm. 6, 23.

[4] Vgl. Archimandrit Zacharias, Ἀναφορά στήν Θεολογία τοῦ Γέροντα Σωφρονίου, Essex 2000, S. 72-73.

[5] Vgl. Panagiotis Trempelas, a.a.O., S. 22-38, hier: 31ff.

[6] Vgl. Mt. 2.

[7] Gregorius Nazianzenus Theol. Εἰς τὰ Θεοφάνια, εἴτουν Γενέθλια τοῦ Σωτῆρος Orat. XXXVIII PG 36, 663 A. „Χριστὸς γεννᾶται, δοξάσατε· Χριστὸς ἐξ οὐρανῶν, ἀπαντήσατε· Χριστὸς ἐπὶ γῆς, ὑψώθητε. ᾌσατε τῷ Κυρίῳ πᾶσα ἡ γῆ καί, ἵν’ ἀμφότερα συνελὼν εἴπω, Εὐφραινέσθωσαν οἱ οὐρανοί, καὶ ἀγαλλιάσθω ἡ γῆ, διὰ τὸν ἐπουράνιον, εἶτα ἐπίγειον“