Κυριακὴ τῶν Βαΐων στὸν Ἱερὸ Ναὸ Ἁγίου Γεωργίου στὴ Βιέννη
Ε´ Κυριακὴ τῶν Νηστειῶν στὸ Παρεκκλήσιο τῶν Ἁγίων Ἱεροθέου καὶ Στεφάνου στὴ Βουδαπέστη
Δεξίωση τῆς Καγκελαρίας ἐπ᾽ εὐκαιρίᾳ τῆς ἐπικείμενης Ἑορτῆς τοῦ Πάσχα
Δ´ Κυριακὴ τῶν Νηστειῶν καὶ Σύσταση νέας ἐνορίας στὸ Mattighofen

Das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche

Das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche

Metropolit Arsenios von Austria

  1. Einführungen

AWährend der fünften Synaxis (Zusammentreffen) der Vorsitzenden der Orthodoxen Autokephalen Kirchen im Jahre 1992, die vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus vom 06.-09.03.2014 in der Patriarchalkirche des Heiligen Georg im Phanar zusammengerufen worden war, wurde von den Patriarchen und Erzbischöfen der Orthodoxen Autokephalen Kirchen die lang erwartete Entscheidung getroffen, am orthodoxen Pfingstfest  des Jahres 2016 in Konstantinopel in der Irenenkirche, wo schon 381 n. Chr. die II. Ökumenische Synode stattgefunden hatte, das „Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche“, wie es offiziell heißt, einzuberufen.  Die Orthodoxen Ersthierarchen der Autokephalen Kirchen waren sich jedoch auch der unruhigen politischen Lage in verschiedenen Regionen der Welt, vor allem im Nahen Osten, bewusst, was sie dazu führte, in ihren Entscheidungen über das Konzil den Satz: „Außer unvorsehbaren Gegebenheiten“ einzufügen. Damit wollten sie sicherlich nicht ihre Entscheidung über die Einberufung eines Konzils relativieren, jedoch vor allem die unruhige politische Lage in Regionen ansprechen, in denen vor allem auch Orthodoxe Christinnen und Christen beheimatet sind und die evtl. zu Veränderungen der getroffenen Entscheidungen führen könnten. Dieser Satz hat sich als sehr weise erwiesen. Die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Russland zwangen das Ökumenische Patriarchat, eine Synaxis der Ersthierarchen der Autokephalen Orthodoxen Kirchen, die für Januar 2016 im Phanar vorgesehen war, kurzfristig ins Zentrum des Ökumenischen Patriarchates nach Chambesy (Schweiz) zu verlegen. Die gesamte Synaxis der Orthodoxen Ersthierarchen sah sich in Chambesy gezwungen, das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche von Istanbul nach Kreta zu verlegen und dies aus dem Grund, da die Sicherheit der Konzilsteilnehmenden in Istanbul einerseits nicht gewährleistet werden könnte und andererseits die Erlaubnis des Ausführungsorts des Konzils (die Irenenkirche) jederzeit vom türkischem Staat zurückgezogen werden könnte, was die Ausführung des Konzils an sich gefährden würde.

Das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirchen wird also auf Grund der historischen Gegebenheiten nun in der Orthodoxen Akademie auf Kreta vom 18. - 27. Juni 2016 stattfinden. Wie während der fünften Synaxis vom Jahre 2014 im Phanar beschlossen, wird von jeder Autokephalen Orthodoxen Kirche eine Delegation mit maximal 24 Bischöfen vertreten sein, die vom jeweiligen Ersthierarchen (Patriarch oder Erzbischof) angeführt wird. Jede Autokephale Kirche wird hierbei eine Stimme haben, die der jeweilige Ersthierarch abgibt. Die Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Ebenfalls wurde beschlossen, dass der Ökumenische Patriarch im Namen aller Ersthierarchen zum Konzil auf Kreta einladen wird, und dies aus dem Grund, da er das Ehrenoberhaupt der gesamten Orthodoxen Kirche ist.  Jede Autokephale Kirche kann darüber hinaus bis zu sechs theologische Berater/innen und drei Assistenten/innen zum Konzil mitbringen.

Als Autokephale Kirchen gelten in diesem Fall:

  1. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel
  2. Das Patriarchat von Alexandrien
  3. Das Patriarchat von Antiochien
  4. Das Patriarchat von Jerusalem
  5. Das Patriarchat Russland
  6. Das Patriarchat von Serbien
  7. Das Patriarchat von Rumänien
  8. Das Patriarchat von Bulgarien
  9. Das Patriarchat von Georgien
  10. Die Autokephale Kirche von Zypern
  11. Die Autokephale Kirche von Griechenland
  12. Die Autokephale Kirche von Polen
  13. Die Autokephale Kirche von Albanien
  14. Die Autokephale Kirche von Tschechien und der Slowakei

Somit werden maximal 336 Bischöfe von allen Kirchen sowie 126 Berater/innen am Konzil von Kreta teilnehmen, was zur Maximalzahl von  462 Teilnehmenden führt. De facto wird jedoch die Zahl der Teilnehmenden sicherlich nicht diese Höhe erreichen, da es kleinere Kirchen gibt, wie z.B. die von Tschechien und der Slowakei, Albanien oder Polen, die in ihrer Gesamtheit nicht 24 Bischöfe besitzen. Somit werden rund 400 Konzilsteilnehmer/innen erwartet[1].

  1. Historischer Rückblick

Das Panorthodoxe Konzil der Neuzeit, wie es allgemein genannt wird, hatte eine sehr lange Entstehungsgeschichte, was oft dazu führte, dass man es in ökumenischen Foren als ein nicht wirklich zu erwartendes Ereignis darstellte. Ohne die genaue Geschichte der Orthodoxen Kirche zu kennen, sollte man allerdings nicht vorschnell ein Urteil über die Orthodoxe Kirche treffen, wenn es um das Konzil geht.

Wie bekannt, entstanden durch den Geist der Französischen Revolution in den ehemaligen besetzten Gebieten des Osmanischen Reiches schon im 19. Jahrhundert verschiedene Nationalstaaten. Besonders auf dem Balkan entstanden nationale Identitäten, die tief mit dem Orthodoxen Glauben verbunden waren und ihn sogar zur „Identitätsbildung“ nutzten. Aufgrund der erkannten Gefahr der Nationalisierung der verschiedenen Orthodoxen Ortskirchen berief das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel im Jahre 1872 eine Synode ein, bei der unter anderem die Patriarchate von Alexandrien und Antiochien teilnahmen. Die Synode verurteilte wie Karmiris betonte auf strengste den „Phyletismus, d.h. die nationalen Rivalitäten und Streitigkeiten, die Eifersüchteleien und Trennungen innerhalb der Kirche Christi, da sie der Lehre des Evangeliums und den heiligen Kanones der seligen Väter“, wie es im Dokument heißt, „wiedersprechen“[2].

Man erkennt also durch diesen Schritt, dass die Orthodoxe Kirche auch auf Panorthodoxer Ebene schon immer synodal Entscheidungen getroffen hat, die für alle Ortskirchen verbindlich sein sollten und Dinge betrafen, die die Einheit der Orthodoxen Kirche gefährdeten. Leider konnte sich die Entscheidung, die damals im Rahmen der Synode getroffen worden ist, letztlich nicht durchsetzen, was die Nationalisierung verschiedener Orthodoxen Kirchen zur Folge hatte. Mit Recht betont Anastasios Kallis, dass „in Anbetracht dieser Entwicklung, bei der sich ein Prinzip der Gemeinschaft eigenständiger Ortskirchen zu einem nationalkirchlichen Trennungsfaktor gestaltete, um die Jahrhundertwende in der orthodoxen Kirche  das Bewusstsein der Sorge um ihre sichtbare Einheit und die Gemeinschaft der Kirchen überhaupt (...) begann“[3]. Diese Sorge drückte immer wieder besonders das Ökumenische Patriarchat aus, das die Nationalisierungen der verschiedenen Orthodoxen Ortskirchen mit Sorge beobachtete.  Die Einheit der Orthodoxen Kirche auch nach außen hin sollte und durfte nicht des Nationalismus wegen aufgegeben werden. Um dem entstandenen Nationalismus entgegenzuwirken, verfasste der Ökumenische Patriarch Joakim III. am 12. Juni 1902 eine Patriarchal- und Synodalenzyklika, die er an alle Orthodoxen Autokephalen Kirchen richtete. Die Enzyklika betonte drei Punkte, die für Patriarch Joakim besonders wichtig waren, was die Einheit der Orthodoxie auf globaler Ebene angeht. Diese waren:

  1. Die Möglichkeiten der Kooperation und des gemeinsamen Wirkens der orthodoxen Kirchen bei der Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen
  2. Die Gestaltung der Beziehungen der orthodoxen Kirchen zu den zwei großen Zweigen der Westkirchen, der römisch-katholischen und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, sowie zu der altkatholischen Kirche
  3. Die Reform des Julianischen Kalenders und die damit eng verbundene Frage nach dem Osterdatum[4].

Auf die Enzyklika des Ökumenischen Patriarchen antworteten die Orthodoxen Kirchen von Jerusalem, Russland, Griechenland, Rumänien, Serbien und Montenegro positiv und begrüßten die Initiative des Ökumenischen Patriarchates. Die Kirchen von Alexandrien, Antiochien und Zypern reagierten ihrerseits nicht auf die Enzyklika, da sie mit inneren Problemen und Unruhen zu kämpfen hatten.

Das Patriarchat von Jerusalem ging sogar so weit, jährliche Konsultationen von Vertretern der orthodoxen Ortskirchen vorzuschlagen, damit durch einen lebendigen Austausch der Kontakt zwischen den verschiedenen Orthodoxen Kirchen wieder gefördert werde. Die Kirche Russlands schlug einen lebendigen und permanenten Briefaustausch zwischen den Autokephalen Kirchen vor, damit die Kirchen die geographische Distanz bewältigen könnten.

Patriarch Joakim III. betonte unter anderem in seinem Antwortbrief an die Autokephalen Kirchen: „Solche und ähnliche Fragen kann man auch durch einen brüderlichen Briefwechsel klären, wenn es möglich wäre, wie einige der Brüder in Christus vermuten, dass Theologen, die von den einzelnen Kirchen gesandt werden, an einem Ort alle drei Jahre zusammenkämen und sich mit diesen Fragen gebührend befassten. Die Ergebnisse ihrer Beratungen würden dann durch den Rangersten, den Erzbischof von Konstantinopel den anderen Kirchen zu Entscheidung mitgeteilt“[5]. Somit hat sich das Ökumenische Patriarchat, die Anregungen der anderen Orthodoxen Autokephalen Kirchen aufgreifend, für einen permanenten Theologenkongress entschieden, der durch theologische Vertreter aller Autokephalen Kirchen Fragen der Orthodoxie diskutieren und lösen sollte. Die Lösungsvorschläge sollten dann dem Ökumenischen Patriarchen weitergeleitet werden, der dann die anderen Ersthierarchen um ihre Zustimmung oder Ablehnung bittet.

In diesen historischen Gegebenheiten kann also die Geburtsstunde der Idee eines Panorthodoxen Konzils gesehen werden, auch wenn noch viele Schritte folgen mussten, die oft von den politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in Europa eingeholt werden sollten.

Der angestrebte Theologenkongress kam jedoch nicht zustande, da durch die Balkankriege 1912-1913, den ersten Weltkrieg 1914-1918, sowie die Ereignisse der Oktoberrevolution in Russland (1917), alle „Heimatländer der Orthodoxen Kirchen“ entweder untereinander im Krieg standen, oder wie im Falle Russlands die politische Veränderung die Kirche in eine vollkommen neue Situation brachte und damit handlungsunfähig machte.

Durch die neuen politischen Gegebenheiten in Europa schien der Traum von einer panorthodoxen Zusammenkunft in weite Ferne gerückt zu sein. Erst 1920 wurde mit der Enzyklika des Ökumenischen Patriarchen Joakim „An die Kirchen Christi überall“ wieder eine Enzyklika ausgesandt, die an alle Kirche und nicht nur die Orthodoxen geschickt worden ist, mit dem Wunsch, einen Kirchenbund zu bilden. Hierbei sollte der gerade gegründete Völkerbund als Prototyp gelten. Die Enzyklika betonte elf konkrete Beispiele, die dahin führen sollten:

  1. Annahme eines einheitlichen Kalenders
  2. Austausch von brüderlichen Briefen
  3. Freundschaftliche Kontaktpflege vor Ort
  4. Kommunikation zwischen den theologischen Ausbildungsstätten
  5. Studentenaustausch
  6. Einberufung panchristlicher Versammlungen
  7. Objektives Studium der dogmatischen Unterschiede
  8. Gegenseitiger Respekt der Sitten und Bräuche
  9. Gegenseitige Überlassung von Friedhofskapellen und Friedhöfen
  10. Regelung der Frage interkonfessioneller Ehen
  11. Gegenseitige Förderung kirchlicher Werke

Einiger dieser Punkte stießen in manchen Autokephalen Kirchen auf Widerstand. Eine weiterführende Diskussion konnte jedoch nicht gewährleistet werden, da der Griechisch-Türkische Krieg (1919-1920) die gesamte Diskussion und Initiative stoppte.

Erst im Februar 1923 schickte der Ökumenische Patriarch Meletios IV. einen Brief an die Kirchen von Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, Serbien, Zypern, Griechenland und Rumänien, mit dem er die Kirchen nach dem Orthodoxen Osterfest desselben Jahres zu einem Panorthodoxen Kongress nach Istanbul/Konstantinopel einlud. Jede Kirche sollte eins bis zwei Vertreter entsenden. Der Panorthodoxe Kongress sollte sich vor allem mit der Kalenderfrage, aber auch mit anderen relevanten Fragen der Weltorthodoxie befassen. Es entstand auch die Diskussion, ob die Lösungsvorschläge für verschiedene Probleme, die auf dem Kongress besprochen werden sollten, an die Synoden der Autokephalen Orthodoxen Kirchen zur Bestätigung geschickt werden sollen, oder ob es als notwendig befunden werden solle, dass ein Orthodoxes Konzil sich nochmals mit diesen Fragen befassen müsse, um verbindliche Entscheidungen für alle zu treffen. Auch wenn die Patriarchate von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem dem Kongress fern blieben, nahmen russische Delegierte der damaligen Auslandskirche mit dem Einverständnis des Ökumenischen Patriarchates teil. Obwohl der Kongress viele wichtige Panorthodoxe Themen besprochen bzw. vorbesprochen hat, hat sich gezeigt, dass ein Panorthodoxes Konzil als nötig befunden wird, um konkrete Entscheidungen zu treffen, die verbindlich für die gesamte Orthodoxe Kirche sein sollten. „Der Kongress zeigte“, so Kallis, „zum einen, den Willen der orthodoxen Kirchen, ihre Einheit Lebenswirklichkeit im Alltag werden zu lassen und den Dialog mit den anderen Kirchen aufzunehmen, doch zum anderen auch ihre Achillesferse, die Anfälligkeit für nationalen Provinzialismus, der in der Diaspora am auffälligsten war“[6].

Auch wenn verschiedene Komplikationen den Innerorthodoxen Dialog sehr ins Stocken brachte, wie z.B. die Absetzung des Ökumenischen Patriarchen Meletios IV. im Zug der Kleinasiatischen Katastrophe, stimmte sein Nachfolger Patriarch Gregorios III. einem Vorschlag der Patriarchen von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem zu, ein Orthodoxes Konzil in Jerusalem zwischen Ostern und Pfingsten einzuberufen.  Am 3. Juli 1924 kündigte er in einem Brief an alle Orthodoxen Autokephalen Kirchen die Einberufung eines „Allgemeinen Panorthodoxen bzw. Ökumenischen Konzils“ an, das zu Pfingstgen 1925 stattfinden sollte.

Das Ökumenische Patriarchat verteilte daraufhin eine Themenliste an alle Autokephalen Kirchen, die konkreter diskutiert werden sollte. Diese Themenliste beinhaltete sechs konkrete Punkte:

  1. Dogmatische Fragen
  2. Die administrative Struktur der Kirche
  3. Der Gottesdienst
  4. Der Klerus
  5. Die Kalenderfrage
  6. Verschiedenes

Die Diskussionen, die daraufhin in und zwischen den verschiedenen Orthodoxen Kirchen entstanden, führten dazu, dass es unmöglich war, das Konzil im Jahre 1925  abzuhalten. Somit sah sich Patriarch Basileios III Ende 1925 gezwungen, das Konzil auf das Pfingstfest 1926 zu verlegen; es sollte auf dem Berg Athos stattfinden. Auch dieser Versuch scheiterte, da viele Orthodoxe Kirchen in der Vordiskussion zum Entschluss gekommen waren, dass viele Themen noch genauer besprochen werden müssten bzw. die Themenliste überhaupt diskutiert werden müsse. Daraufhin wurde das Konzil abgesagt. Durch die neu entstandene Lage wurde es als notwendig befunden, einen Präliminaren Interorthodoxen Ausschuss einzuberufen, der sich mit der Themenliste beschäftigen sollte. Daraufhin hat der Ökumenische Patriarch Photios II. zum Orthodoxen Pfingstfest 1930 die Autokephalen Kirchen gebeten, jeweils zwei delegierte Bischöfe zu einer Präliminaren Zusammenkunft im Vatopedikloster auf dem Heiligen Berg zu schicken, um einen Themenkatalog zu erstellen, der in einer Prosynode dann genauer ausgebaut werden sollte. Überschattet wurde diese Zusammenkunft besonders durch die Spaltung der Russisch Orthodoxen Kirche (Moskau und die Auslandskirche) aber auch das sogenannte Bulgarische Schisma: Beide Kirchen waren in der Situation, keine Delegierten schicken zu können bzw. zu dürfen. „Dass die Problematik der Abwesenheit der zahlmäßig stärksten orthodoxen Kirche [Anm.: i.e. die der Russischen] auf der Versammlung den Delegierten bewusst war, zeigt sich auch darin, dass sie auf den verabschiedeten Themenkatalog für die künftige Prosynode die Frage der Russischen Orthodoxen Kirche an die erste Stelle setzten, verbunden mit der Bitte an das Ökumenische Patriarchat, sich darum zu bemühen, dass bei der Prosynode eine Vertretung der Russischen Kirche möglich gemacht werden sollte“[7].

Patriarch Photios II. wandte sich mit einem Brief vom 7. Februar 1931 an alle Orthodoxe Autokephalen Kirchen und kündigte eine Prosynode für das Pfingstfest des Jahres 1932 an. Er betonte mit Nachdruck, dass sich die Kirchen nun auf diese Prosynode vorbereiten sollten, damit diese die Einberufung eines Konzils möglich machen sollte. Auch wenn anfangs alle eingeladenen Kirchen mit großer Freude ihre Zustimmung zur und Teilnahme an der Prosynode mitteilten, sah sich das Ökumenische Patriarchat am 2. Juni 1932 gezwungen, die Prosynode abzusagen. Der Patriarch selbst erklärte den Grund, indem er schrieb, dass „Einige der heiligen Kirchen trotz ihres starken Wunschs wegen ihrer Sonderlage nicht an der Prosynode teilnehmen können. Demzufolge meinen wir, dass eine Vertragung geboten ist“[8].

1936 fand dann in Athen vom 29. November bis zum 6. Dezember 1936 ein Theologenkongress statt, der sich vor allem mit der Frage eines Panorthodoxen Konzils beschäftigte. Hierbei herrschte die allgemeine Meinung, dass eine Ökumenische Synode bzw. Konzil zu diesem Zeitpunkt eher gefährlich sein würde als hilfreich, weil durch die politische Lage Europa sehr gespalten war, was die Kirchen unmittelbar beeinflusste[9]. Dem Theologenkongress von Athen sollte ein zweiter Kongress 1939 in Bukarest folgen, der jedoch wegen der Ereignisse des II. Weltkrieges nicht stattgefunden hat. Erst 1976 konnte wieder ein Theologenkongress, wiederum in Athen, einberufen werden, der jedoch keine konkreten Fortschritte brachte. Der Zweite Weltkrieg und die nachfolgende Trennung Europas in einen kapitalistischen Westen und den sozialistischen Osten, also der Kalte Krieg, haben dazu beigetragen, dass der Traum eines Panorthodoxen Konzils in weite Ferne rückte. Besonders während der Zeit des Ökumenischen Patriarchen Maximos V. spitzte sich die Lage zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und dem Moskauer Patriarchat zu, als Moskau durch verschiedene Gesten immer wieder versuchte, die Panorthodoxe Stellung des Ökumenischen Patriarchates anzuzweifeln, nicht zuletzt auf Druck Stalins. Als Höhepunkt verschiedener Provokationen kann wohl die Einberufung der Moskauer Konferenz, zu der alle Orthodoxen Oberhäupter eingeladen wurden, gezählt werden. Diese galt als ein direkter und wohl auch politisch motivierter Schritt, das Recht des Ökumenischen Patriarchates als einziges Patriarchat, Panorthodoxe Konferenzen einzuberufen, anzuzweifeln.  Es hat sich jedoch schnell gezeigt, dass die anderen Orthodoxen Länder zwar der Einladung gefolgt sind, da diese Konferenz mit der 500 Jahrfeier der russischen Autokephalie in Verbindung gebracht worden war, jedoch haben sich die anderen Orthodoxen Autokephalen Kirchen geweigert, das Ereignis insgesamt als eine Konferenz zu betrachten, sondern bewerteten es lediglich als eine Jubiläumsfeier. In diesem gesamten Klima wurde schnell klar, dass die Träume von einer Panorthodoxen Synode weiterhin durch die politischen Polaritäten des Kalten Krieges immer wieder in die Zukunft verschoben werden müssten.

Als im Oktober 1948 Patriarch Maximos krankheitsbedingt zurückgetreten ist, stand das Ökumenische Patriarchat vor eine Grundsatzfrage, wer als Nachfolger des zurückgetretenen Patriarchen gewählt werden sollte: Es musste ein Kandidat sein, der die Einheit der Orthodoxie in der gesamten politischen Situation gewährleisten könnte. Im November 1948 wurde der Erzbischof von Nord- und Südamerika Athenagoras mit 11 von 17 Stimmen gewählt, was als ein starkes und zugleich auch politisches Signal galt, da Athenagoras beste Beziehungen zur US-Regierung pflegte. Seine negative Haltung gegenüber dem Kommunismus sorgte dafür, dass von Seiten des Moskauer Patriarchates immer wieder Beschwerden gegen Athenagoras eingereicht worden waren, die seine „Erststellung“ in der Gesamtorthodoxie bezweifelten. Trotz dieser Situation sandte Patriarch Athenagoras zur 1500-Jahrfeier des Konzils von Chalkedon am 12. Feburar 1951 einen Brief an alle Ersthierachen der Autokephalen Kirchen und griff den fast in Vergessenheit geratenen Gedanken eines Konzils wieder auf, indem er konkret die Einberufung eines Großen Ökumenischen Konzils vorschlug und den erarbeiteten Themenkatalog von Vatopedi aus der Schublade zog. Athenagoras schlug vor, die beschlossene und in Vergessenheit geratene Prosynode einzuberufen, die das Konzil vorbereiten sollte. Trotz der eher negativen Reaktionen von den Orthodoxen Autokephalen Kirchen, die den historischen Moment für eine solche Prosynode wegen des politischen Bruchs, der durch die orthodoxen Länder ging, nicht für günstig hielten, beschloss Patriarch Athenagoras, den Themenkatalog von Vatopedi an alle Autokephalen Kirchen zu schicken mit der Bitte, dass er durch Kommissionen in den jeweiligen Kirchen korrigiert und bearbeitet werden sollte. Das Moskauer Patriarchat beschwerte sich mit Nachdruck und zweifelte wiederum die Rolle des Ökumenischen Patriarchates an. Hierbei erhielt Moskau Unterstützung von jenen orthodoxen Ländern, die innerhalb des „Eisernen Vorhanges“ beheimatet waren, insbesondere von Bulgarien.

„Das Verhältnis des Moskauer Patriarchats zum Ökumenischen Patriarchat und überhaupt zu den Kirchen der kapitalistischen Welt änderte sich mit dem Tod Stalins am 05.03.1953 bzw. der Ära Chruschtschov, der eine Wende in der Innen- und Außenpolitik der Sowjetunion einleitete. Die im Mai 1960 erfolgte Ablösung des Leiters des kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Nikolaj, der kirchlich den scharfen Kurs der Stalin-Doktrin vertrat, durch den 31-jährigen Archimandriten Nikodim, der ein Jahr später auch zum Erzbischof von Jaroslavl und Rostov und 1963 zum Metropoliten von Leningrad ernannt wurde, signalisierte das Ende des Geistes des Kalten Krieges, der die Kirchenpolitik Moskaus nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hatte. Zwar war man nicht bereit, Konstantinopel mehr als einen rein protokollarischen Ehrenprimat zuzuerkennen, jedoch pflegte man brüderliche Beziehungen zum Phanar “[10].  

Als Frucht dieser politischen Veränderung können sicherlich die vier Panorthodoxen Konferenzen der Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts gelten. 1961, 1963 und 1964 fanden auf der Insel Rhodos in Griechenland und 1968 in Chambesy bei Genf auf Initiative des Ökumenischen Patriarchates, und dem Willen aller Autokephalen Orthodoxen Kirchen entsprechend, sogenannte Panorthodoxe Konferenzen statt, die sich mit doktrinären, missionarischen und ethischen Fragen beschäftigen. Als besonders wichtig gelten die Entscheidungen der Konferenzen bezüglich der Teilnahme der Orthodoxen Kirche an verschiedenen Ökumenischen Foren, wie dem ÖRK und die Bestätigung verschiedener Bilateraler Dialoge der Orthodoxen Kirche[11].  Die Konferenzen galten zwar als Zeichen und Weg hin zum Konzil der Orthodoxen Kirche, jedoch befassten sich die Konferenzen auf Rhodos fast überhaupt nicht mit dem Thema des Orthodoxen Allgemeinen Konzils. Lediglich die Konferenz von Chambesy verabschiedete einen Punkteplan, der den Weg zu einem Konzil erleichtern sollte. Dieser sah fünf konkrete Schritte vor, wie das Konzil zu erreichen sei: 

  1. Der Plan der Prosynode wird fallengelassen, an ihre Stelle soll eine Reihe vorkonziliarer Panorthodoxer Konferenzen treten.
  2. Zur Durchführung des Gesamtvorhabens wird eine Interorthodoxe Vorbereitungskommission gegründet.
  3. Im Zentrum des Ökumenischen Patriarchates in Chambesy/Genf wird ein Sekretariat für die Vorbereitung des Konzils eingerichtet.
  4. Für die Vorbereitung und Durchführung der Dialoge mit den anderen Kirchen werden Interorthodoxe Kommissionen gebildet.
  5. Das Verfahren der Bearbeitung der Themen wird modifiziert. Zu einzelnen Themen werden von einer oder mehreren Kirchen Studienberichte erstellt, die dem Sekretariat für die Vorbereitung des Konzils dienen, indem es Vorlagen für das Konzil erarbeitet.[12]

Ab dem Jahre 1971 fanden eine Zahl von Interorthodoxen Vorbereitungskommissionen zum Konzil statt, wie Vorkonziliare Konferenzen, die sich mit der Revidierung und Bearbeitung des Themenkataloges von Rhodos 1961 beschäftigten. Bezüglich des Themenkataloges konnten sich 10 Haupthemen herauskristallisieren, die mehr oder weniger alle Kirchen beschäftigen und bis heute als grundlegendste Vorlagen für weitere Besprechungen gelten sollten. Diese sind:

  1. Orthodoxe Diaspora
  2. Die Autokephalie und ihr Proklamationsmodus
  3. Die Autonomie und ihr Proklamationsmodus
  4. Die Diptychen
  5. Die Frage nach einem gemeinsamen Kalender
  6. Ehehindernisse
  7. Anpassung der kirchlichen Fastenvorschriften
  8. Beziehungen der orthodoxen Kirchen zu der übrigen christlichen Welt
  9. Orthodoxie und ökumenische Bewegung
  10. Der Beitrag der lokalen orthodoxen Kirchen zur Durchsetzung der christlichen Ideale des Friedens, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Liebe zwischen den Völkern und zur Aufhebung der Rassendiskriminierung

Durch die Neugründung verschiedener Orthodoxer Kirchen besonders seitens der Kirche von Russland in der „Neuen Welt“ sowie durch den Wunsch nach Autonomie seitens verschiedener Kirchen, die nach dem Fall der Sowjetunion wieder ihre Unabhängigkeit von Moskau verlangten, bahnten sich neue Spannungen zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und dem Patriarchat von Moskau an, was erneut die Konzilsvorbereitungen stark bremste.

Erst durch den persönlichen Einsatz und den innigsten Wunsch und das Verlangen des heutigen Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus konnte bei der Synaxis (dem Treffen) der Orthodoxen Ersthierarchen aller Kirchen am 06.-09. Mai 2014 der Wunsch und der Wille für die Durchführung eines Konzils konkret bestätigt werden.

Die Vorbereitungskommission, die in mehreren Sitzungen seit dem Jahre 2014 bis heute den Themenkatalog endgültig erarbeiten sollte, und der von den Ersthierarchen in ihrer Januarsitzung 2016 im Chambesy bestätigt worden war, lautet nun wie folgt:

  1. Die Mission der Orthodoxen Kirche in der gegenwärtigen Welt: Ihr Beitrag zur Bewahrung des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Geschwisterlichkeit und Liebe zwischen den Völkern und die Überwindung nationalistischer und anderer Unterscheidungen.
  2. Orthodoxe Diaspora
  3. Autonomie und die Weise ihrer Proklamation
  4. Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse
  5. Die Bedeutung des Fastens und seine Anwendung heutzutage
  6. Die Beziehung der Orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt

Vorbereitungskommissionen mit Vertretern der verschiedenen Kirchen haben darüber hinaus in langen und schwierigen Diskussionen Vorlagetexte verfasst, die auf dem Konzil verabschiedet oder umgewandelt werden sollen. Wichtig hierbei ist wohl, dass es keiner Kirche gestattet wird, neue Punkte auf die Themenliste des Konzils zu setzen, da man somit den Frieden und den Erfolg des Konzils gefährdet sieht.  Für diesen ersten Schritt des Konzils mag dies wohl auch ein weiser Schritt gewesen sein.

3. Zukunft

Wie wir gesehen haben, gab es einen langen und komplizierten historischen Weg von der Idee bis hin zur Einberufung eines Orthodoxen Konzils. Viele komplizierte und wichtige Fragen, die im Laufe der Zeit die Orthodoxe Kirche in sich gespalten und beschäftigt haben, werden leider auch nicht in diesem Konzil diskutiert und gelöst werden, weil viele wichtige Themen, wie das der Diptychen, also der Hierarchischen Reihenfolge der Orthodoxen Kirchen, aus dem Themenkatalog gestrichen worden sind, um eventuellen Streitigkeiten, die das Konzil gefährden könnten, vorzubeugen. Sicherlich wird sich die Orthodoxe Kirche jedoch aus dem Leben heraus in Zukunft auch mit solchen Themen befassen.

Ich persönlich bin der Meinung, dass die Einberufung des Konzils an sich schon ein großer Erfolg für die Orthodoxe Kirche ist. Es wird meines Erachtens eine neue Ära auf Panorthodoxer Ebene einleiten. Sicherlich sollte man das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche nicht mit dem II. Vatikanischen Konzil und der gesamten Aggiornamentobewegung vergleichen, dennoch sind die Dynamik und die Symbolkraft, die das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche mit sich bringt - besonders auch nach außen hin- nicht zu unterschätzen. Die Einberufung des Konzils durch den Ökumenischen Patriarchen und die Besprechung des Themenkataloges in einem schweren, aber fruchtbaren Dialog aller Orthodoxen Autokephalen Kirchen hat im Vorfeld des Konzils neue Richtlinien geschaffen, mit denen sich die Orthodoxe Kirche in Zukunft auf globaler Ebene bewegen wird. Der rumänisch-orthodoxe Patriarch Daniel sprach sogar in der letzten Synaxis der Ersthierarchen vom Auftakt zu regelmäßigen synodalen Beratungen auf panorthodoxer Ebene. Johannes Oeldemann vermutet sogar, dass das Konzil auf Kreta die Chance hat, „als erste Session eines länger andauernden Konzils in die Kirchengeschichte einzugehen“[13].

Auch Gregorios Larentzakis betont, dass die Zukunft das Entscheidende ist: „Der Sensus des Pleroms der Kirche, das höchste Kriterium der Kirche, wird diese Synode auf den ihr gehörigen Platz einordnen und wird ihr die geeignete endgültige Bezeichnung zuweisen.“[14]  

Ich persönlich bin als Orthodoxer Hierarch im Rahmen meiner pastoralen Sorge besonders erfreut, dass der lange Versuch des Ökumenischen Patriarchates, ein äußeres Zeichen der Einheit der Orthodoxen Kirche auf globaler Ebene zu erlangen, erreicht worden ist. Das Zeichen der Einheit, das wir hier in Österreich durch die Orthodoxe Bischofskonferenz schon lange haben, wird durch das Konzil auch auf die globale Ebene gebracht.

Ob es die erste Session eines länger andauernden Konzils oder der Auftakt zu regelmäßigen synodalen Beratungen sein wird, wird die Zeit und die Dynamik und die Rezeption, die das Konzil ausstrahlen und erreichen wird, zeigen. Mir als Hierarchen bleibt nur eins zu tun: Zu beten und zu hoffen, dass für die Einheit der Kirche und die Martyria Christi das Konzil erfolgreich sein wird; und in dieser Verantwortung müssen wir alle die Konzilsteilnehmenden in unsere Gebete einschließen.



[1] Vergl. bezüglich der Entscheidungen der Vorsitzenden der Orthodoxen Kirchen über das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche, Τό Μήνυμα τῶν Ὀρθοδόξων Προκαθημένων, in Ἐκκλησία (2014), Bd. 3, 168 f. Gregorios Larentzakis führte in seiner am 20. Mai 2016 anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats durch die Theologische Fakultät der Aristoteles Universität Thessaloniki gehaltenen Rede aus, dass die Zahl 24 eine relative ist und die Festlegung auch anders hätte ausfallen können. Larentzakis hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Gültigkeit und Bedeutung einer Synode nicht von der Anzahl der teilnehmenden Bischöfe abhängt und die Nicht-Teilnahme oder Abwesenheit einiger Bischöfe auch nicht die Zusammenkunft an sich oder die Beschlussfassung behindert. Schließlich sei aus dem historischen Befund bekannt, dass auch bei keinem der Ökumenischen Konzilien jemals alle Bischöfe der Kirche teilgenommen haben.

Vgl. http://panorthodoxcemes.blogspot.co.at/2016/05/h.html (zuletzt aufgerufen am 06.06.2016).

[2] Karmiris II, 1015. Aus Anastasios Kallis, Auf dem Weg zum Konzil, Theophano Verlag Münster, Münster 2013, 45.

[3] Anastasios Kallis, Auf dem Weg zum Konzil, Theophano Verlag Münster, Münster 2013, 46.

[4] Patriarchale Enzyklika vom 12.06.1902, deutsche Fassung Kallis, Auf dem Weg, 50-54.

[5] Patriarchale Enzyklika vom 12.05.1904, deutsche Fassung Kallis, Auf dem Weg, 88.

[6] Kallis, Auf dem Weg, 97.

[7] Kallis, Auf dem Weg, 99.

[8] Orthodoxia 7 (1932), 226.

[9] Vgl. Kallis, Auf dem Weg, 100.

[10] Kallis, Auf dem Weg, 184.

[11] Siehe Theodoros Meimaris, The Holy and Great Council of the Orthodox Church and the Ecumenical Movement, Thessaloniki 2013, 41-74.

[12] Siehe Kallis, Auf dem Weg, 191.

[13] Johannes Oeldemann, Konzil auf Kreta, Herder Korrespondenz, 3/2016, 25-28, hier 28.

[14]Gregorios Larentzakis, Die Große und Heilige Synode der Orthodoxen Kirche. Ihre Botschaft für die gegenwärtige Krise. - Rede anlässlich der Verleihung des Ehrendok­torrats an Gregorios Larentzakis durch die Theologische Fakultät der Aristoteles Universi­tät Thessaloniki am 20. Mai 2016.

Vgl. http://panorthodoxcemes.blogspot.co.at/2016/05/h.html (zuletzt aufgerufen am 06.06.2016).

Evangelische Nächstenliebe und das Sozialwort

Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios von Austria

mit dem Titel „Evangelische Nächstenliebe und das Sozialwort“

gehalten bei der 15. Ökumenischen Sommerakademie

im Stift Kremsmünster am 12. Juli 2013[1]

 

Anspruchsvoll ist auch diesmal das Thema der Ökumenischen Sommerakademie. Es geht nicht nur für eine theoretische Auseinandersetzung eines wichtigen Themas, sondern, nach einer seriösen und grundlegenden Analyse und Darstellung aller damit zusammenhängenden Fragen, doch um konkrete Hilfeleistungen zur Bewältigung von konkreten Problemen sogar in Krisensituationen. Gerade dies ist auch das Ziel der christlichen Botschaft überhaupt. Wir müssen dieses Ziel des christlichen Glaubens uns bewusster machen und den Menschen überzeugend und verstehbar vermitteln, dass es auch heute sinnvoll ist für das diesseitige und das jenseitige Leben Christ zu sein. Und gleich am Anfang möchte ich eine gesamtorthodoxe Feststellung aus dem Jahre 1986 machen und in Erinnerung rufen, denn auch diesbezüglich gibt es sehr viele Missverständnisse oder auch Vorurteile. Die Gesamtorthodoxie also betont: „Seien wir uns bewusst: der Hunger, der heute die Menschheit plagt, und die enormen Ungleichheiten sprechen sowohl in unseren eigenen Augen als auch in denen des gerechten Gottes ein hartes Urteil über uns und unsere Zeit. Denn Gottes Wille, der auch heute nichts anderes als das Heil des konkreten Menschen hier und jetzt zum Ziel hat, verpflichtet uns, dem Menschen zu dienen und uns unmittelbar mit seinen konkreten Problemen auseinanderzusetzen. Getrennt von der diakonischen Sendung ist der Glaube an Christus sinnlos. Christsein bedeutet, Christus nachzufolgen und bereit zu sein, ihm im Schwachen, im Hungrigen und Unterdrückten und allgemein in jedem Hilfsbedürftigen zu dienen. Jeder andere Versuch, Christus unter uns real gegenwärtig sehen zu wollen, ohne ihn in dem zu suchen, der unserer Hilfe bedarf, ist leere Ideologie.“ [2]

Diese gesamtorthodoxe Position, die in einem Entwurf von allen Orthodoxen Kirchen für das nächste panorthodoxe Konzil angenommen wurde, ist zwar noch nicht ein formell synodal bestätigter Text, spiegelt aber die Auffassung aller Orthodoxen Kirchen wider. Das bedeutet, dass es sich dabei nicht nur um eine theoretische Position handelt, sondern um eine existentiell wichtige Position für das konkrete Leben der Menschen und gerade für alle Menschen, die sich in einer Krisensituation befinden. Auch nicht nur aus diesem Text, sondern auch aus der alltäglichen Praxis innerhalb der Orthodoxen Kirchen kann die einseitige Position relativiert werden, nach der innerhalb der Orthodoxie die Sozialfrage keine Bedeutung für das konkrete Leben spiele, oder dass sich die Orthodoxe Kirche einseitig für das spirituelle oder für das jenseitige Leben mit viel Weihrauch und Mystik interessiere. Dies wird auch in doppelter Hermeneutik, in einem entweder oder interpretiert: Ganz positiv wird die Orthodoxie als die nachahmenswerte Spezialistin der Spiritualität betrachtet, im Vergleich zu der pragmatischen westlichen Kirche oder aber als die Kirche, die außerhalb jeder irdischen Realität, d.h. fern von jeder Sozialarbeit kritisiert. Beide einseitigen Betrachtungen sind als Extreme abzulehnen und als nicht zutreffend zu korrigieren. Die Orthodoxe Kirche bemüht sich, die beiden Dimensionen des Lebens, die horizontale und die vertikale in einer harmonischen Weise und natürlich mit der Priorität des Vertikalen in die Praxis umzusetzen. Das bedeutet, dass innerhalb der Orthodoxie jeder Dualismus, profan-sakral, irdisch-himmlisch, kirchlich-weltlich, Spiritualität-Weltverantwortung, als unzureichend und dem menschlichen Leben nicht entsprechend gesehen wird.

Diese Position der Orthodoxen Kirche ist keine willkürliche Interpretation des Lebens, sondern sie entspricht der Botschaft Christi und dem Inhalt des Evangeliums. Auch in der Bibel erfahren wir mehrfach von dieser doppelten Dimension des Lebens und dessen doppelter Berücksichtigung der Aufgabe der Kirche: Die vertikale, aber auch die horizontale Dimension! Für diese Handlungsweise haben wir sehr viele Aufforderungen und sehr viele Beispiele-Vorbilder dieser existentiellen Lebensweise. Jesus selbst sagte: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,16). Das heißt, dass der Glaube sich in der Praxis bewähren muss. Nicht nur theoretische Darstellungen und Lippenbekenntnisse sind das Wesentliche im Christentum, sondern auch die Taten und das lebendige Zeugnis: „“Nicht jeder, der zu mir sagt: ‚Herr, Herr!‘, wird in das Himmelreich kommen –sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ (Mt 7, 21). Die Realisierung dieser Aufforderung Jesu basiert auf der Liebe, der Liebe zu Gott und der Liebe zum Mitmenschen. Natürlich kann ich heute nicht einmal andeutungsweise diese Liebe, die aus der Botschaft des Evangeliums kommt, beschreiben. Aber eines ist deutlich und klar: Die Liebe und die Nächstenliebe haben ihren Ursprung und ihre Quelle in Gott selbst und zwar in seiner trinitarischen Gemeinschaft. Das Johannesevangelium ist nicht umsonst als das Evangelium der Liebe bezeichnet worden. Die Beziehung der göttlichen Personen wird dort eindeutig, unter anderem, im Kapitel 17 als Liebesgemeinschaft dargestellt. Diese göttliche Liebe wurde weiter an die Menschen gegeben, damit die Gemeinschaft auch zwischen den Menschen und zwischen den Menschen mit Gott verwirklicht wird: „Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt. Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“ (Joh 17, 24-26).

Gott selbst hat dann diese unendliche Liebe von Anfang an der Schöpfung der ganzen Welt und allen Menschen gezeigt und insbesondere sich aufopfernd bei seiner Kreuzigung und Auferstehung zu Erlösung des ganzen Menschengeschlechts in ihrer radikalsten Form manifestiert. Denn christliche Liebe bedeutet nicht Gefühlsduselei, sondern Hingabe, Solidarität, Aufopferung und Martyrium für den Nächsten, auch für den Feind! Die Geschichte vom Samariter ist ein konkretes Beispiel. Nicht nur reden, sondern handeln, auch für den Feind und den Gegner!

Diese fundamentalen Grundsätze versuchten auch die österreichischen Kirchen deutlich den Menschen in Österreich und darüber hinaus mit dem Ökumenischen Sozialwort zu vermitteln. Denn wir sind in Österreich auch der festen Überzeugung, dass die religiöse Dimension des Menschen keine theoretische Sache ist, ohne gesellschaftliche und politische Bedeutung. Auch keine private Angelegenheit.

Eine einfache, jedoch objektive Beobachtung der Umgebung, in der wir leben, wird ohne jede Schwierigkeit zutage bringen, dass unser ganzes Leben, unsere Zivilisation und unser alltägliches Leben in unserem Land, ja selbst das architektonische Bild unserer Städte, bzw. auch im ganzen Europa ohne die religiöse Komponente und noch konkreter ohne die christliche Komponente nicht vorstellbar wäre.

Gerade aus dieser Feststellung und aus dieser meiner festen Überzeugung heraus bin ich froh und dankbar, dass die christlichen Kirchen in Österreich ihre wichtige und unersetzliche Rolle und Aufgabe wahrgenommen haben, sich direkt und sorgfältig den menschlichen Sorgen und Problemen in unserem Land zu widmen und dabei die existentiell wegweisende Botschaft des Christentums in den vielen Lebensbereichen der Menschen zu vermitteln. Denn die christliche Botschaft hat einen direkten Bezug zum menschlichen Leben. So bekennen die christlichen Kirchen Österreichs in ihrem ökumenischen Sozialwort: „Die soziale Verantwortung der Kirchen entspringt dem Grund des Glaubens selbst. Weil Gott sich in Jesus Christus durch den Heiligen Geist liebevoll der Welt zuwendet, gehört es zum Wesen christlichen Glaubens, der Welt und den Menschen in ihren konkreten Nöten zugewandt zu sein.“ (0, 6).

Wenn es uns nicht gelungen ist dies wahrnehmbar zu machen und die Religiosität in Europa schwindet, liegt es nicht an der Wahrheit des Evangeliums und an der Bedeutung der christlichen Botschaft, sondern an unserer Unfähigkeit, diese zentrale Botschaft des Christentums entweder verständlich oder überhaupt adäquat vermittelt zu haben.

Dass nun mit der Initiative der europäischen Kirchen unsere Verantwortung verstärkt wurde, ist sehr erfreulich. Durch die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung im Juni 1997 in Graz wurde die Empfehlung ausgegeben, eine „Charta Oecumenica“ in gemeinsamer Verantwortung aller Kirchen Europas, von der Konferenz Europäischer Kirchen und vom Rat der römisch-katholischen Bischofskonferenzen Europas, zu verabschieden. Diese „Charta Oecumenica“ wurde in Straßburg im April 2001 veröffentlicht und allen europäischen Kirchen zur Annahme und zur Umsetzung empfohlen. Ich hatte die Freude, bei dieser Veröffentlichung der „Charta Oecumenica“ in Straßburg zu sein und an diesem wichtigen ökumenischen Akt teilzunehmen.

So ist es für mich nun als Metropolit von Austria sehr wichtig, dass die 14 christlichen Kirchen in Österreich die Empfehlungen und die Verpflichtungen der „Charta Oecumenica“ nicht nur wahrgenommen, sondern sehr konsequent aufgenommen und im „Ökumenischen Sozialwort“ umgesetzt haben. Für dieses ökumenische Sozialwort bin ich dankbar.

So haben sich die 14 christlichen Kirchen Österreichs folgende Verpflichtung aus der „Charta Oecumenica“ zu eigen gemacht: „Wir verpflichten uns, uns über Inhalte und Ziele unserer sozialen Verantwortung miteinander zu verständigen und die Anliegen und Visionen der Kirchen gegenüber den säkularen europäischen Institutionen möglichst gemeinsam zu vertreten, die Grundwerte gegenüber allen Angriffen zu verteidigen.“ (Nr. 7).

Die christlichen Kirchen in Österreich haben tatsächlich sehr ernsthaft auch diese wesentliche Verantwortung in ökumenischer Gesinnung, in seriöser Vorbereitung in mehreren Phasen und auf einer sehr breiten, demokratischen Basis aus dem Bereich der täglichen Wirklichkeit die konkreten Fragen, Probleme und Sorgen der Menschen berücksichtigt, um zu ihrem ökumenischen Sozialwort zu gelangen. Das Besondere bei diesem ökumenischen Sozialwort ist auch die bewusste Feststellung, dass „die rasant entwickelnde Gesellschaft einen dauernden, intensiven Begleitprozess der Kirchen westlicher und östlicher Tradition erfordern“, wie gleich „Zum Geleit“ die damalige Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Frau Prof. Oberin Christine Gleixner hervorhebt.

Natürlich kann hier nicht auf alle Kapitel des ökumenischen Sozialwortes eingegangen werden. Aber vor jedem einzelnen Kapitel muss man auf etwas ganz Grundsätzliches und Wesentliches der christlichen Frohbotschaft hinweisen, was auch die christlichen Kirchen in Österreich in Erinnerung bringen wollen, weil es da und dort in Vergessenheit und in den Hintergrund geraten zu sein scheint: Der Mensch selbst und seine Würde. Und das Sozialwort betont: „Im Zentrum dieses kirchlichen Engagements steht der Einsatz für ein menschenwürdiges Leben für alle. Die Würde des Menschen gründet nach christlichem Glauben in der Gottebenbildlichkeit.“(0, 7).

Ebenfalls muss mit aller Dringlichkeit sowohl politisch als auch kirchlich alles unternommen werden, damit die von Gott geschenkte Gleichwertigkeit aller Menschen bei allen politischen, wirtschaftlichen, religiösen Überlegungen hervorgehoben wird. Der „Nächste“ des Evangeliums ist jeder Mensch, unabhängig von Volk, unabhängig von Nation. Jede andere Interpretation bedeutet Herabwürdigung und Diskriminierung von Menschen, ob sie als Mehrheiten oder als Minderheiten existieren. Es ist ein Grundsatz christlicher Anthropologie, eine fundamentale Auffassung des christlichen Menschenbildes, dass alle Menschen als Abbild Gottes wesensgleich, d.h. gleichwertig sind. Ich möchte hier auch eine Feststellung erwähnen aus dem gesamtorthodoxen Dokument, wo es heißt, „die Orthodoxie bekennt, dass jeder Mensch – unabhängig von Farbe, Religion, Rasse, Nationalität und Sprache – das Bild Gottes in sich trägt und unser Bruder oder unsere Schwester ist und gleichberechtigtes Glied der menschlichen Familie.“ [3] Die Qualifizierung der Menschen als Abbild Gottes ist sehr hoch. Sie ist ehrenvoll für die Menschen, sie hat aber zugleich Konsequenzen für das Verhalten der Menschen Gott gegenüber, aber auch der Menschen untereinander, miteinander und füreinander, denn sie zeigt, wer unsere „Nächsten“sind.

Die Schlussfolgerung der orthodoxen und der christlichen Auffassung grundsätzlich lautet mit aller Entschiedenheit: Niemand und nichts kann die überhebliche und gefährliche Behauptung begründen oder rechtfertigen, dass manche Völker oder manche Menschen qualitativ besser seien als andere.

Mit dieser fundamentalen Ausgangsposition, die auch das ökumenische Sozialwort zugrundegelegt hat, können die verschiedenen Bereiche des menschlichen Lebens betrachtet und behandelt werden: Von der menschengerechten Bildung, die mehr als Wissen ist, bis zur Bedeutung der Medien, die ganz neue Lebensbedingungen für die Menschen geschaffen haben, bis zum wichtigen Thema der Beziehungsfähigkeit der Menschen als Grundcharakteristikum menschlicher Existenz und deren Lebensräume. Selbstverständlich war und ist immer noch, dass die Ehe und die Familie eine besondere Bedeutung haben, weshalb sie auch eine intensivere Förderung und Unterstützung in einer sich stets wandelnden Welt verdienen. Fast vergessene Prinzipien werden dabei namentlich und somit auch klarer in Erinnerung gebracht, ohne einseitig zu idealisieren: Liebe, Angenommen-Sein, Vertrauen, Verlässlichkeit, Sicherheit, Geborgenheit. Auch die negativen Erfahrungen in der Familie werden nicht ignoriert oder bagatellisiert. Wichtige Hinweise werden dann auch für die Lebensräume in der Stadt, im ländlichen Bereich, im neu werdenden Europa gegeben. In allen diesen Lebensräumen wird der Mensch in den Vordergrund gestellt und zwar für menschengerechte Bedingungen in der Arbeitswelt und in der Wirtschaft, die auch mehr ist als nur der Markt in seiner Globalisierungs-Exklusivität und Profit-Maximierung. Gerade hier ist es auch wichtig, dass von einem neuen Leitbild der Wirtschaft und von einem verantwortungsbewussten Wirtschaften gesprochen wird, wie auch von der sozialen Gerechtigkeit und grundsätzlich von der sozialen Dimension der Globalisierung selbst. Auch hier wird die Politik herausgefordert. Dass von Frieden, Gerechtigkeit und von der Verantwortung der Schöpfung gegenüber gesprochen wird, zeigt das wachsende Bewusstsein der Kirchen für diese sensiblen Lebensbereiche, das in den letzten Jahrzehnten durch den Konziliaren Prozess in der weltweiten Ökumene sehr deutlich geworden ist. Dass schließlich „vom Sozialwort zu sozialen Taten“ eingemahnt wird, zeigt die Entschlossenheit der christlichen Kirchen, auch selbstkritisch, nicht nur reden, sondern auch konkret handeln zu wollen.

Die Aufforderung des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, das laufende Jahr zum Jahr der Weltsolidarität auszurufen, zeigt, dass die Sensibilisierung der Menschen für die Menschen doch möglich ist. Die Menschlichkeit Europas hat doch immer noch eine starke Zukunft!

Meine Zuversicht und meine Hoffnung sind es, möglichst getreu dem Evangelium, auch dieser Solidarität zu dienen und in die Praxis umzusetzen. Ich bin sehr optimistisch. Das zweite Solidaritätsfest, das wir zu Pfingsten in Wien für Griechenland gefeiert haben, hat uns gezeigt, dass die Menschen im krisengeschüttelten Europa nicht allein sind.

[1] Referat gehalten bei der 15. Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster vom 10.-12.7.2013, unter dem Thema: „Wer ist mein Nächster? Das Soziale in der Ego-Gesellschaft“

[2] „Der Beitrag der Orthodoxen Kirche zur Verwirklichung des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Liebe zwischen den Völkern sowie zur Beseitigung der Rassen- und anderen Diskriminierungen“ VII, 4, in: Una Sancta 42(1987)22f. Mehr zu diesem Dokument siehe in: G. Larentzakis, Orthodoxe Grundprinzipien menschlicher Koexistenz. Vorbereitungsdokument der Panorthodoxen Synode: Solidarität und Gerechtigkeit. Ökumenische Perspektiven, hg. v. Ingeborg Gabriel/Franz Gassner, Matthias-Grünewald-Verlag Ostfildern 2007, 174-192.

[3] Der Beitrag der Orthodoxen Kirche, VI, 4, 21

 

Das Zweite Vatikanum aus orthodoxer Perspektive

Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios von Austria

mit dem Titel „Das Zweite Vatikanum aus orthodoxer Perspektive“,

gehalten an der Universität Innsbruck am 6. Juni 2013

 

Für Ihre Einladung möchte ich mich herzlich bedanken. Ich bedanke mich auch, weil Ihre Fakultät seit langem großes Interesse für die orthodoxe Theologie und für die Orthodoxe Kirche gezeigt hat. Universitätsprofessor Dr. Franz Lackner hat sich schon in den sechziger Jahren mit der orthodoxen Theologie befasst und in seiner Inaugurationsrede als Rektor der Innsbrucker Universität die Bedeutung der orthodoxen Theologie besonders hervorgehoben. In Professor Lackner hat auch unser orthodoxer Theologe, der Ihnen bekannte Universitätsprofessor Grigorios Larentzakis, seinen Doktorvater gefunden. So war es Ihre Fakultät, in der das erste Mal in Österreich ein orthodoxer Theologe, am 15. Juli 1969, in katholischer Theologie promoviert hat. Es war damals eine sehr wichtige ökumenische Entscheidung Ihrer Fakultät, wofür wir alle dankbar sind. Ihre ökumenische Gesinnung zeigten Sie ebenso, als Ihre Fakultät Seine Allheiligkeit den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios während seines Österreich-Besuches im Jahre 2004 eingeladen hat, eine Rede zu halten.

Ich bin der Überzeugung, dass diese Zusammenarbeit für den ökumenischen Dialog hilfreich sein kann. Durch eine solche Zusammenarbeit stärken wir einerseits die Bewusstmachung unserer Gemeinsamkeiten und andererseits helfen wir, die noch vorhandenen Missverständnisse und Probleme zu klären und zu überwinden. Unter diesem Aspekt werde ich auch versuchen, einige Aspekte über den Charakter und die Bedeutung des Zweiten Vatikanums aus orthodoxer Sicht darzustellen.

Das Zweite Vatikanum war zwar ein großes Ereignis der römisch-katholischen Kirche, konnte aber die anderen christlichen Kirchen nicht uninteressiert lassen. Papst Johannes dem Dreiundzwanzigsten war es ebenfalls bewusst, dass die Orthodoxe Kirche über das Zweite Vatikanum und seine Ziele informiert werden sollte. Dies hat der Papst dem Vertreter des Ökumenischen Patriarchen Athenagoras, dem damaligen Erzbischof von Amerika Jakobos, am 17. März 1959 in Rom gesagt, als dieser im Namen des Patriarchen den Papst in Rom besuchte. Der Papst teilte Erzbischof Jakobos mit, dass er Delegierte nach Konstantinopel schicken wollte, um den Patriarchen über das Konzil und seine Ziele zu informieren. Denn das Konzil, so sagte der Papst, solle die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit fördern, und zwar nicht im Sinne einer Rückkehr, sondern in der Einheit der Herzen.

Tatsächlich war das Interesse am Zweiten Vatikanum auch in der Orthodoxie groß, trotz der nicht einheitlichen Reaktion der Orthodoxen Kirchen der römisch-katholischen Einladung gegenüber, Beobachter zum Konzil zu schicken. Der Ökumenische Patriarch Athenagoras war stets dafür. Aber auch viele orthodoxe Theologen haben sich gleich nach der Ankündigung des Zweiten Vatikanums, während seiner Arbeiten und nach dem Abschluss und der Verabschiedung seiner Dokumente interessiert gezeigt.

Ist das Zweite Vatikanum ein verpflichtendes Ökumenisches Konzil? Das ist eine grundsätzliche Frage, die nicht nur die Orthodoxe Kirche betrifft, sondern auch die römisch-katholische Kirche selbst mit ökumenischer Relevanz. Ist es also ein Ökumenisches Konzil, wie die Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends der Gesamtkirche des Ostens und des Westens? Hat es einen verpflichtenden Charakter für die römisch-katholische Kirche oder sogar für alle christlichen Kirchen im Sinne der rezipierten Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends? Die Antwort aus orthodoxer Sicht ist klar. Das Zweite Vatikanum kann kein solches Ökumenisches Konzil sein, wie die Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends.

Die Diskussionen innerhalb der römisch-katholischen Kirche sind immer noch sehr intensiv: Es gibt begeisterte Anhänger des Zweiten Vatikanums, vor allem aber des „Geistes des Konzils“, das eine Erneuerung innerhalb der römisch-katholischen Kirche herbeigeführt habe, aber auf der anderen Seite auch entschiedene Gegner, die die durch das Zweite Vatikanum verursachte Relativierung der katholischen Tradition, man könnte fast sagen, der Katholischen Identität, massiv beklagen. Auf alle Fälle kann gesagt werden, dass das Zweite Vatikanum keinen Abschluss der theologisch-kirchlichen Debatten darstellt, sondern eher den Beginn von intensiven neuen Auseinandersetzungen und Öffnungen.

Ist also das Zweite Vatikanum nach der Auffassung der römisch-katholischen Theologen ein verpflichtendes Ökumenisches Konzil? Danach wird auf alle Fälle gefragt, und es wird darüber intensiv diskutiert. Auch innerhalb der verschiedenen Dokumente finden sich unterschiedliche Positionen nebeneinander und nicht selten in einer Spannung, ohne eine Synthese zu schaffen. Der Rezeptionsprozess befindet sich also im vollen Gange, ohne noch ein endgültiges Urteil sprechen zu können.

Warum hat das Zweite Vatikanum für die Orthodoxe Kirche eine große Bedeutung? Obwohl dieses Zweite Vatikanum in erster Linie die römisch-katholische Kirche betrifft, hat es eine sehr große Bedeutung für alle christlichen Kirchen sowie für die Ökumene. Noch konkreter befasste sich das Zweite Vatikanum mit der Orthodoxen Kirche, obwohl auch hier ernsthafte Fragen gestellt werden müssen. Seine Beschlüsse, die neue Diskussionen eröffnet haben, müssen also nicht nur von katholischer Seite bewertet und kommentiert werden, was geschehen ist und heute wieder 50 Jahre danach geschieht, sondern auch von den nicht römisch-katholischen Theologen und schließlich noch intensiver auch in einer gemeinsamen, ökumenischen Verantwortung.

Dies nicht nur, weil durch die neuen Aspekte und die neuen theologischen Perspektiven eine Erneuerung der eigenen Kirche eingeleitet wurde, womit die Öffnung zu den anderen Kirchen sehr effektiv ermöglicht wurde. Wenn man die verschiedenen Dokumente des Zweiten Vatikanums studiert, muss man auch feststellen, dass vielfach direkt oder indirekt die Existenz und die Entwicklung der Theologie der anderen Kirchen berücksichtigt wurde.

Das Zweite Vatikanum hat vor allem einen neuen Geist wehen lassen, den Geist der Begeisterung, der Freude, der Offenheit, der Erneuerung, der Hoffnung und der realen Perspektiven. Und gerade diesen Geist des Zweiten Vatikanums wieder zu entdecken und die ökumenischen Öffnungen wieder in Erinnerung zu rufen, ist auf alle Fälle sinnvoll und wichtig.

Natürlich wissen wir auch, dass in den verschiedenen Dokumenten dieser Generalsynode der römisch-katholischen Kirche ihre klassischen früheren Positionen auch aufgenommen und wieder dokumentiert wurden, zum Beispiel die Frage nach ihrem ekklesiologischen und soteriologischen Selbstverständnis der Exklusivität und der Wiederholung der Bedeutung des Ersten Vatikanums bezüglich des Papstdogmas. Diese Positionen stehen aber parallel zu anderen Positionen des neuen Geistes und der hoffnungsvollen Perspektiven, die das Neue ebenfalls eindeutig und klar dokumentieren. Und gerade dies dürfen wir nicht ignorieren oder etwa geringschätzen.

Allerdings ist es wichtig beides zu sehen und nicht, entweder durch volle Begeisterung, nur das Neue und ökumenisch Relevante zu erkennen und überzubetonen oder nur das alt-klassische und konfessionelle „Römisch-Katholische“ hervorzuheben. Es gibt Kommentare in beide Richtungen. Und je nach persönlicher Haltung fällt die Zitierweise des Zweiten Vatikanums aus. Man darf allerdings nicht nur beim Formalen stehen bleiben. Der Geist und die Arbeiten waren auf die Zukunft und die ökumenische Öffnung gerichtet.

Ich möchte hier nur kurz erwähnen, dass die Ermöglichung der Teilnahme von Beobachtern aus den anderen nicht-römisch-katholischen Kirchen eine große ökumenische Relevanz hatte. Monsignore Willebrands informierte den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras am 18. April 1962 über die Absicht des Vatikans, von den anderen christlichen Kirchen Beobachter einzuladen. Die offizielle Einladung im Namen des Papstes schickte Kardinal Augustin Bea an den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras am 24. Juli 1962, indem er auch mitteilte, dass ähnliche Einladungen an die anderen Orthodoxen Autokephalen Kirchen und an andere christliche Kirchen gesandt worden waren.

Die Beobachter konnten zwar nicht als normale Konzilsteilnehmer mitwirken, jedoch hatte ihre Präsenz konkrete Wirkung. Einerseits konnten sich die Beobachter aus den anderen Kirchen selbst aus eigener Erfahrung ein direktes Bild von den Arbeiten des Zweiten Vatikanums und überhaupt von der römisch-katholischen Kirche machen, andererseits konnten die Beobachter bei manchen ökumenisch wichtigen Themen die Arbeiten des Zweiten Vatikanums mitunter beeinflussen. Den Beobachtern wurde eine große und mit ökumenischem Geist versehene Aufmerksamkeit geschenkt. Ihnen wurden auch die Entwürfe der Dokumente und die Dokumente selbst zur Verfügung gestellt, so dass sie im Einheitssekretariat unter der Leitung von Kardinal Augustin Bea bei vielen Begegnungen ihre Meinung äußern konnten. Dies war eine echte kommunikative ökumenische Zusammenarbeit, die bei den Dokumenten des Konzils ihren Niederschlag gefunden hat.

Weil das Einheitssekretariat einen großen ökumenischen Beitrag geleistet hat, hat der Papst beschlossen, auch nach der Beendigung des Zweiten Vatikanums, dieses Sekretariat nicht aufzulösen. Heute trägt es den Titel „Päpstlicher Rat für die Förderung der christlichen Einheit“. Die ökumenische Arbeit dieses päpstlichen Rates ist aus der ökumenischen Arbeit der römisch-katholischen Kirche nicht mehr wegzudenken und wir sind für seine ökumenische Leistung sehr dankbar.

Dies sollte doch den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bilden, ohne die gebliebenen ökumenischen Schwierigkeiten zu ignorieren und zu verschweigen. Hier möchte ich nur einige konkretere ökumenisch relevante Stellen aus dem Zweiten Vatikanum kurz kommentieren.

Von der Kirchenkonstitution erwähne ich hier nur die wichtige Änderung des ersten Kapitels aus dem ersten Schema, statt „Ecclesia militans“ das „Mysterium ecclesiae“ in den Vordergrund zu stellen, wodurch die vertikale und die horizontale Dimension der Kirche zum Ausdruck gebracht wurde. Damit wurden altkirchlich-patristische und ostkirchliche Aspekte der Mysterientheologie berücksichtigt, die das Dynamische, Pneumatische und Charismatische in der Ekklesiologie stärker hervorgehoben hat. Professor Larentzakis stellt wörtlich fest: [Zitat Anfang] „Orthodoxerseits wird mit Nachdruck die Genugtuung über die Auffassung des Zweiten Vatikanums bezüglich der Kirche als Mysterium zum Ausdruck gebracht, wodurch der von Belarmin gegen die Protestanten überbetonte institutionelle Charakter der Kirche überwunden und richtig gestellt wird.“ [Zitat Ende][1]

Auffallend ist, dass im Text nicht der Begriff „Mysterium“, sondern „Sacramentum“ verwendet wird, mit der Erklärung als Zeichen und Werkzeug, wodurch an die scholastische Bedeutung des Begriffs „Sacramentum“ erinnert werden kann.

Die daraus resultierende Konsequenz wurde auch in der Sakramententheologie der Liturgiekonstitution sehr deutlich angewandt. Auch hier wurde der Versuch unternommen, die statischen und juristischen Aspekte der Sakramententheologie durch die dynamischen und pneumatischen zu überwinden. Die Bevorzugung des BegriffsOrtskirche statt Teilkirche, die Einbeziehung der Eucharistischen Ekklesiologie, wie auch die Kollegialität und Synodalität geben durch die Kirchenkonstitution neue Möglichkeiten der ökumenischen Begegnung und des theologischen Dialogs der römisch-katholischen Kirche mit den anderen Kirchen und natürlich auch mit der Orthodoxen Kirche. Interessant ist, dass auch der neue Papst Franziskus der Erste sich für mehr Kollegialität einsetzt und eine Kommission für eine diesbezügliche Arbeit bestellt hat.

Das „subsistit“ der Kirchenkonstitution darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, wodurch ein neues Ventil gefunden wurde, damit die Kirchlichkeit auch der anderen Kirchen stärker anerkannt und berücksichtigt wird. All dies ist sehr wichtig für den ökumenischen Dialog. Ich habe allerdings den Eindruck, dass manches von diesen positiven Entwicklungen relativiert, vergessen oder uminterpretiert wird (auch das subsistit).

In der Kirchenkonstitution gibt es eine offene Frage nach dem Verhältnis zwischen der Universal- und der Ortskirche, die noch nicht zufriedenstellend beantwortet wurde. Auch innerhalb der römisch-katholischen Theologie auf höchster Ebene ist diese Beantwortung noch nicht geschehen beziehungsweise noch im Gange. Dabei wird der Begriff „Katholische Kirche“ nicht im Sinne der altkirchlichen Bedeutung, etwa des Glaubensbekenntnisses von Konstantinopel des Jahres 381, sondern für die heutige Zeit, das heißt als Identifikation Katholische Kirche ist gleich Römisch-Katholische Kirche ist gleich Kirche Jesu Christi verwendet.

Gerade hier wird die Frage auch katholischerseits gestellt. Kardinal Walter Kasper, der frühere Präsident des Päpstlichen Rates für die christliche Einheit stellt fest: [Zitat Anfang] „Vollends problematisch wird die Formel, wenn die eine universale Kirche unter der Hand mit der römischen Kirche, de facto mit Papst und Kurie, identifiziert wird. Geschieht dies, dann muss man das Schreiben der Glaubenskongregation nicht als Hilfe zur Klärung der Communio-Ekklesiologie, sondern als deren Verabschiedung und als Versuch einer theologischen Restauration des römischen Zentralismus verstehen. Dieser Prozess scheint in der Tat im Gange zu sein. Das Verhältnis von Orts- und Universalkirche ist aus der Balance geraten.“ [Zitat Ende][2] Auf Walter Kasper antwortete Professor Joseph Ratzinger, der vormalige Papst Benedikt XVI., der auf eine Fehlinterpretation hingewiesen hat. Darauf antwortete Walter Kasper wieder Joseph Ratzinger, woraus sich eine intensive Diskussion entwickelt hat. Joseph Ratzinger stellte dann fest, dass sich die Positionen angenähert haben.[3]

Die bedeutende Änderung lag in der Grundhaltung der römisch-katholischen Kirche zur Ökumene. Denn die römisch-katholische Kirche hat ausdrücklich durch das Ökumenismusdekret akzeptiert, dass die ökumenische Arbeit außerhalb der eigenen Kirche [Zitat Anfang] „unter der Einwirkung der Gnade des Heiligen Geistes“ [Zitat Ende] steht.[4] Viele wichtige Äußerungen und Feststellungen dieses Dokuments sind nach wie vor bis heute, fünfzig Jahre danach, relevant, auch wenn viele Feststellungen hinterfragt werden müssen. Eine erste nach wie vor gültige Feststellung ist, dass die Spaltung der Kirche [Zitat Anfang] „ganz offenbar dem Willen Christi widerspricht, ein Ärgernis für die Welt ist und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen.“ [Zitat Ende][5]

Viele der katholischen Prinzipien des Ökumenismus sind bis heute sehr wichtig und warten auf ihre Realisierung. Die trinitarische Fundierung der kirchlichen Einheit ist eine Überzeugung, die diachrone Bedeutung hat und unabdingbar ist. Das ist auch die Überzeugung der Orthodoxen Kirche. Erwähnenswert und nach wie vor gültig ist auch das Prinzip der Umkehr und der inneren Bekehrung. Andere positive Feststellungen haben den Informationsstand sehr verbessert und können für eine weitere Aufbauarbeit sehr nützlich sein.

Sehr viele positive Feststellungen wurden über die Orthodoxe Kirche gemacht, aber auch andere, die nicht verständlich sind und einer Klärung bedürfen: Zum Beispiel wird die Existenz dieser Kirchen als Kirchen ausdrücklich positiv festgestellt, was ekklesiologisch von Bedeutung ist. Der apostolische Ursprung, ihr Glaubensschatz, die Grunddogmen, die Ökumenischen Konzilien, die Sakramente, insbesondere die Heilige Eucharistie und das Priestertum in der apostolischen Sukzession, die Marienverehrung, das Mönchtum, die Spiritualität, die eigenen Kirchenordnungen und so weiter sind Themen und Bereiche der Orthodoxen Kirche, die vom Ökumenismusdekret besonders hervorgehoben werden.

Das Zweite Vatikanum hofft auch sehr, dass mit den Orthodoxen beziehungsweise Orientalischen Kirchen die Wiederherstellung der vollen Kirchengemeinschaft erreicht wird. Wenn man die betreffenden Textpassagen liest, müsste man meinen, dass damit alle Bedingungen für die Verwirklichung der vollen Kirchengemeinschaft erfüllt seien.

Wenn man aber das Ökumenismusdekret noch genauer studiert, muss man feststellen, dass darin den Orthodoxen Kirchen auch wesentliche Mängel zugeschrieben werden. In diesem Dokument wird daher neben vielen neuen ökumenischen Öffnungen zugleich versucht, die ekklesiologische und soteriologische Exklusivität der römisch-katholischen Kirche doch aufrechtzuerhalten. Im Ökumenismusdekret heißt es ausdrücklich, dass sich großen Gemeinschaften [Zitat Anfang] „von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche“ [Zitat Ende] getrennt haben.[6] Des weiteren werden die katholische Kirche und die Fülle der Gnade und der Wahrheit gleich gesetzt. In den soteriologischen Möglichkeiten spricht das Dokument noch deutlicher die exklusivistische Sprache, indem es meint: [Zitat Anfang] „Denn nur durch die katholische Kirche Christi, die das allgemeine Hilfsmittel des Heils ist, kann man Zutritt zu der ganzen Fülle der Heilsmittel haben.“ [Zitat Ende][7]

Wo sind also die Mängel bei den anderen Kirchen beziehungsweise bei der Orthodoxen Kirche? Was macht diese Exklusivität aus? Das Ökumenismusdekret nennt die Rolle des „Petrusdienstes“ in der Kirche nicht nur als eine ekklesiologische Bedeutung im nur strukturellen Sinne, wie manche meinen, sondern auch als eine soteriologische Dimension, was für den Leib Christi konstitutiv sei. Wir kommen also wieder zum [Zitat Anfang] „schwierigsten Problem auf dem Weg des Ökumenismus“ [Zitat Ende], wie Papst Paul der Sechste das Papsttum selbst bezeichnete. [8] Auch das ist also eine bleibende, gemeinsame, ökumenische Aufgabe.

Das Problem der Katholischen Ostkirchen, oder anders gesagt der Unierten, gehört zu den schwierigsten Problemen im Ökumenischen Dialog. Gleich möchte ich hier feststellen, dass ohne eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung dieses Problems unser ökumenischer Dialog keine große Hoffnung auf Erfolg haben kann. Trotz des beschränkten Stellenwertes, den das Dekret über die Katholischen Ostkirchen innerhalb des Zweiten Vatikanums und dessen Prozessen zu haben scheint, wurden durch die Vorschläge, die Diskussionen und schließlich durch seinen Text selbst sehr viele wichtige altkirchliche, gesamtkirchliche und noch konkreter ostkirchliche und orthodoxe theologische Grundpositionen in die Diskussion eingebracht und dadurch auch im westlichen theologischen Denken wieder bekannt und zum Teil auch berücksichtigt. Auch akute ökumenische Probleme wie etwa die Bedeutung der Ortskirchen, der altkirchlichen Patriarchate, der Patriarchen selbst und ihr Verhältnis zum Bischof von Rom wurden dadurch in das Bewusstsein gebracht.

Artikel achtzehn behandelt Ehefragen, vor allem zwischen den Orthodoxen und den mit Rom Unierten. Solche Mischehen werden positiv beurteilt. Allerdings müsste man auch hier eine Problematik aufnehmen, die die Annahme der orthodoxen Eheauffassung nicht zur Gänze berücksichtigt. In der Orthodoxen Kirche kann ein von der Kirche als geschieden Anerkannter wieder kirchlich-sakramental heiraten. Dies wird von der römisch-katholischen Kirche für einen Orthodoxen, Mann oder Frau, der oder die einen Katholiken heiraten will, nicht anerkannt. Das heißt, dass eine solche Ehe nicht erlaubt wird. Dies berücksichtigt nicht zur Gänze die Sakramentsauffassung der Orthodoxen Kirche. Darüber muss gesprochen und eine Lösung gefunden werden.

Artikel siebenundzwanzig ist auch interessant und bringt, wenn auch nur für drei Sakramente, der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung, doch neue Möglichkeiten für eine gegenseitige Communicatio in sacris. Als Gründe für die Teilnahme von Katholiken an den genannten orthodoxen Sakramenten werden „ernstes Bedürfnis“ und „wirklicher geistlicher Nutzen“ genannt und wenn „der Zugang zu einem katholischen Priester sich als physisch oder moralisch unmöglich herausstellt“. Diese doppelte Begründung „physisch oder moralisch“ ist sehr interessant und erlaubt eine größtmögliche Anwendung. Die Anerkennung der Gültigkeit der Sakramente wird vorausgesetzt.

Auf die Frage, ob zuerst das Panorthodoxe Konzil stattfinden muss, bevor die Ost-West-Ökumene voranschreiten kann, kann ich sagen, nein. Wir können, ja wir müssen weiter den Dialog führen, um die hier erwähnten Möglichkeiten, nach der Überwindung der vorhandenen Probleme umsetzen zu können.

Heute werden die Fragen des Interreligiösen Dialogs in der neuen gesellschaftlichen Entwicklung und innerhalb der neu zu gestaltenden Europäischen Union sehr deutlich neu gestellt. Deshalb haben alle christlichen Kirchen, um diese aktuellen Fragen vermehrt, viele gemeinsame Aufgaben in ihrer ökumenischen Verantwortung. In diesem Sinne sind die Antworten, die die römisch-katholische Kirche nun durch das Zweite Vatikanum zu diesem Thema das erste Mal so offiziell gegeben hat, von großem Interesse und von eminenter Bedeutung auch für die Orthodoxe Kirche.

Was die Erfahrung, nicht nur die theoretische Beschäftigung, der Orthodoxen Kirchen betrifft, muss gleich festgestellt werden, dass die Begegnung der Ostkirche generell mit dem Judentum und dem Islam zunächst einmal eine existentielle Erfahrungsbegegnung darstellt. Mit dem Judentum im Osten sowieso von den Anfängen an und mit dem Islam gleich nach seiner Entstehung bis heute, und zwar seit dem 8. Jahrhundert, seit dem großen Kirchenvater Johannes von Damaskus bis heute, bis zum Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, der persönlich in diesem Dialog führend ist. Grundsätzlich kann mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios gesagt werden, dass „die friedliche Koexistenz und die bewundernswerte Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen in allem Guten wünschenswert, möglich und von Gott gewollt ist“[9] und dass „ein Verbrechen im Namen der Religion ein Verbrechen gegen die Religion ist“, wie dieBosporus Deklaration der drei monotheistischen Religionen aus dem Jahre 1994 deutlich formuliert.[10] Diese Bosporus-Deklaration stellt einen wichtigen Grundstein des interreligiösen Dialogs dar, und ist darüber hinaus das Vorbild für eine effektive und klare Zusammenarbeit im Kampf gegen vorhandene und mögliche Konflikte in den Ländern, in denen diese Religionen existieren.

Aus orthodoxer Sicht ist es daher ersichtlich, dass die Erklärung „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanums begrüßt wurde. Ihr Inhalt ist ja nicht ganz neu erfunden, sondern sie ist als die Konsequenz aus dem breiten Horizont der christlichen Botschaft herausgewachsen, wie sie eben auch im ersten Jahrtausend im Osten und im Westen gelehrt und gelebt wurde.

Auch im Zusammenhang mit dieser Erklärung, wie auch durch andere Dokumente des Zweiten Vatikanums wird die Spannung der Katholischen Kirche gezeigt, in der sie, wie bereits erwähnt, während des Zweiten Vatikanums stand. Selbst die Erklärung Nostra Aetate wird innerhalb der römisch-katholischen Theologie unterschiedlich verstanden und unterschiedlich interpretiert.

Von Bedeutung sind auch die Feststellungen, dass in diesem Dokument nicht gedacht war, alle Fragen dieser Problematik zu behandeln und in endgültiger Weise zu beantworten. Hier werden Prinzipien aufgenommen und neu formuliert, die für einen Dialog mit den nichtchristlichen Religionen dienstbar gemacht werden können. Das bedeutet auch, dass diese Erklärung nicht als die Eröffnung des Dialogs mit den nichtchristlichen Religionen betrachtet werden kann. Dies kann nur von allen Dialogpartnern gemeinsam geschehen.

Einen Hauptsatz hat das Zweite Vatikanum formuliert, der etwas ganz Neues darstellt: [Zitat Anfang] „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“ [Zitat Ende]

Was heißt nun „lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“? Natürlich wird damit in dieser Erklärung nicht die Identität der christlichen Lehre mit der der anderen nichtchristlichen Religionen gemeint, denn die Differenz wird auch angesprochen. Aber wer entscheidet hier, was bei diesen Religionen wahr und heilig ist? Wird hier die Selbsteinschätzung dieser Religionen als solche anerkannt und übernommen, oder wird es hier mit dem Satz begründet, dass die „Vorschriften und die Lehren“ dieser Religionen „nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“? Also auch die Christen, auch die Angehörigen der Katholischen Kirche? Ist der christliche Gott gemeint, der alle Menschen erleuchtet? Die genaue Beantwortung dieser Frage ist nicht so einfach. Jedoch haben wir hier eine grundsätzliche positive Haltung den anderen Religionen gegenüber. Das eigene Selbstverständnis der Kirche Jesu Christi wird deshalb im nächsten Satz unmissverständlich betont:

[Zitat Anfang] „Unablässig aber verkündet sie und muss sie verkündigen Christus, der ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat“ [Zitat Ende][11].

Artikel fünf schließt mit wichtigen grundsätzlichen Erklärungen ab, die alle Menschen überhaupt betreffen. [Zitat Anfang] „Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, dass die Schrift sagt: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht“ (1 Joh 4,8). So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht. Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.“ [Zitat Ende]

Dieser Text des Zweiten Vatikanums erinnert sehr stark an einen gesamtorthodoxen Text der Dritten Präkonziliaren Panorthodoxen Konferenz von Chambésy aus dem Jahre 1986, der für das Gesamtorthodoxe Konzil vorbereitet wurde. Der Text trägt den Titel: „Der Beitrag der Orthodoxen Kirche zur Verwirklichung des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Liebe zwischen den Völkern sowie zur Beseitigung der Rassen- und anderen Diskriminierungen.“ Dort heißt es unter anderem: [Zitat Anfang] „Gott hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne“ (Apg 17,26); außerdem gibt es in Christus „nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Sklaven und Freie, nicht mehr Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Aus diesem Prinzip ist jede Diskriminierung zu beseitigen, auch jede zu Lasten verschiedener Minderheiten. Die Orthodoxie bekennt, dass jeder Mensch – unabhängig von Farbe, Religion, Rasse, Nationalität und Sprache – das Bild Gottes in sich trägt und unser Bruder oder unsere Schwester ist und gleichberechtigtes Glied der menschlichen Familie.“ [Zitat Ende]

Aus dem bisher Gesagten wird die positive Wende durch das Zweite Vatikanum deutlich zum Ausdruck gebracht, aber zugleich auch die Notwendigkeit, durch den Ökumenischen Dialog das Gemeinsame zu festigen und die Probleme zu behandeln und zu überwinden. Dabei haben wir noch sehr viel zu tun.

Die Theologischen Fakultäten haben für diesen ökumenischen Prozess eine besonders wichtige Aufgabe. Das Ökumenismusdekret fordert unter anderem ausdrücklich, den ökumenischen Gesichtspunkt bei der theologischen Ausbildung aller Fächer zu berücksichtigen. [Zitat Anfang] „Denn es liegt viel daran, dass die zukünftigen Hirten und Priester über eine Theologie verfügen, die ganz in diesem Sinne und nicht polemisch erarbeitet wurde. Von der Ausbildung der Priester hängt ja die notwendige Unterweisung und geistliche Bildung der Gläubigen und der Ordensleute ganz besonders ab.“ [Zitat Ende].

Erwähnen möchte ich auch die Instruktion der Studienkongregation aus dem Jahre 1987, die fast in Vergessenheit geraten ist, wodurch die Intensivierung der Berücksichtigung der ostkirchlichen orthodoxen Theologie in der katholischen theologischen Ausbildung unmissverständlich gefordert und empfohlen wird, und, wenn die örtliche Situation es nahelegt, die Zusammenarbeit zwischen katholischen und orthodoxen Autoritäten und Gelehrten ermutigt wird.

Das Ökumenische Direktorium darf auch diesbezüglich nicht unerwähnt bleiben. Gerade hier bei der theologischen Ausbildung ist die Zusammenarbeit der Theologischen Fakultäten aller Kirchen nicht nur sinnvoll, sondern unerlässlich. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel forderte diese intensive Zusammenarbeit der Theologischen Fakultäten unserer Kirchen bereits im Jahre 1920 durch seine berühmte Enzyklika an alle Kirchen Christi überall. In Graz läuft bereits seit einigen Jahren die Initiative „Grazer Prozess“ für die Intensivierung einer strukturellen Zusammenarbeit unserer Theologischen Fakultäten in Europa. Kooperationen für gemeinsame Forschungen und wissenschaftliche Veranstaltungen und diesbezügliche Dokumentationen sowie Publikationen, Austausch von Professoren und Studenten, Partnerschaften können intensiviert beziehungsweise eingeleitet werden, denn auch wenn eine solche Zusammenarbeit da und dort bereits praktiziert wird, kann nicht behauptet werden, dass in diesem Bereich alles bestens ist. Dokumente und Initiativen existieren also in umfassender Form. Es bedarf einer effektiven und konsequente Arbeit, Rezeption und Umsetzung.

Abschließend möchte ich meine Zuversicht zum Ausdruck bringen, dass unsere Kirchen auch mit dem neuen Papst Franziskus den ökumenische Dialog fortsetzen und intensivieren werden. Seine Allheiligkeit der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hat dies nach seinen persönlichen Gesprächen mit dem neuen Papst anlässlich seiner Inthronisation in Rom auch erfahren und der Öffentlichkeit mitgeteilt. Für den Dialog ist also der Weg offen.

 

[1] Grigorios Larentzakis, Im Mysterium leben. Entwicklungen in der Mysterientheologie des Westens aus der Sicht eines orthodoxen Theologen, in: Orthodoxes Forum 1 (1988) 5ff. 9. Vgl. J. Karmiris, Zur dogmatischen Konstitution über die Kirche, in: Stimmen der Orthodoxie. Zu Grundfragen des II. Vatikanums, hg. v. Damaskinos Papandreou, Wien-Freiburg-Basel 1969, 57. Vgl. auch Stylianos Harkianakis, (Erzbischof von Australien), Τό περί Ἐκκλησίας Σύνταγμα τῆς Β΄ Βατικανῆς Συνόδου, Thessaloniki 1969. Derselbe,Orthodoxe Kirche und Katholizismus. Ähnliches und Verschiedenes, München 1975.

[2] Walter Kasper, Zur Theologie und Praxis des bischöflichen Amtes, in: Bischofsbestellung. Mitwirkung der Ortskirche? Hg. v. B. Körner, M. Aigner, G. Eichberger. Mit einer kommentierten Bibliographie zum Thema Demokratie in der Kirche von P. Inhofen und M. Hölzl, Graz 2000, 34.

[3] Vgl. Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI., Die Ekklesiologie der Konstitution Lummen Gentium.* aus: Joseph Kardinal Ratzinger: Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio. Festgabe zum 75. Geburtstag, hg. vom Schülerkreis, Redaktion Stephan Otto Horn und Vinzenz Pfnür. Augsburg: St. Ulrich Verlag 2002, S. 107-131, und Anm. 12: „Der Meinungsaustausch hat gottlob zu einer weitgehenden Annäherung der Standpunkte geführt.“

[4] Ökumenismusdekret I, 4.

[5] Ökumenismusdekret, Vorwort, 1.

[6] Ökumenismusdekret I, 3.

[7] Ökumenismusdekret I, 3.

[8] Ansprache Papst Pauls VI. bei der Jahresversammlung des Sekretariates für die Einheit der Christen (28. April 1967), in: The Secretariat for Promoting Christian Unity. Vatican City. Information Service 2(1967)4f.

[9] In: Ἐπίσκεψις, Nr. 588, 31. 10. 2000, 14.

[10] Die Bosporus-Deklaration in deutscher Übersetzung von Otto König und Andrea Pfandl in: Ökumenisches Forum 18(1995)323-326. Hier 324.

[11] Vgl. 2 Kor 5,18-19.

 

Und Gott wird Mensch – Ein Vortrag zum Weihnachtsfest

Mit dem 15. November hat in der Orthodoxen Kirche traditionell die Weihnachtsfastenzeit begonnen und damit eine Zeit der Stille und der innerlichen Kontemplation. Das steht im Gegensatz zum heutigen kommerzialisierten und materialistischen Zeitgeist, der diese Vorweihnachtszeit als eine Zeit des intensiven Konsums in jeglicher Hinsicht sieht und versteht. Das eigentliche Ereignis, das Fest der Geburt des Gottmenschen, wird dadurch in den Hintergrund gedrängt. Es hat den Anschein, dass das eigentliche Fest genau diese Vorweihnachtszeit ist, die eigentlich auf das Geburtsereignis Jesu Christi vorbereiten sollte.

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Die Einheit der Orthodoxen Kirche – die große Herausforderung unserer Zeit

Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios von Austria an der KPH Wien/Krems am 17. November 2014

Die Einheit der Orthodoxen Kirche – die große Herausforderung unserer Zeit

Das Thema meines Vortrags, „Die Einheit der Orthodoxen Kirche – die große Herausforderung unserer Zeit“, spiegelt meines Erachtens die aktuellen theologischen Diskussionen im Hinblick auf das Zeugnis, welches die Orthodoxe Kirche nach außen abgibt, wieder. Besonders interessant sind diese Fragen jetzt, da der Funke für die Vorbereitung der Panorthodoxen Synode, welche mit Gottes Hilfe im Jahr 2016 in Konstantinopel stattfinden soll, bereits vor einigen Monaten entzündet wurde.

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Amt und Heiligkeit. Zum Verhältnis von hierarchischer Leitung und geistlichen Autoritäten (Starzen)


Amt und Heiligkeit. Zum Verhältnis von hierarchischer Leitung und geistlichen Autoritäten (Starzen)

Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios von Austria

bei den „Theologischen Kursen“ in Wien

Einführendes

Ein Verständnis von Autorität – damit verbunden von Hierarchie und Gehorsam – finden wir gleichwohl in der Heiligen Schrift wie auch bei den Kirchenvätern selbst. Die mit der hierarchischen Leitung verbundene Autorität ist mit der Institution des so genannten „Geistlichen Gehorsams” eng verflochten. Doch existieren beide auch parallel nebeneinander. Der Gehorsam selbst findet seine Verwirklichung zunächst in der Patristik, dann auch in der zeitgenössischen Literatur, in der Institution des „Geistlichen Vaters” bzw. der „Geistlichen Vaterschaft”. Im Westen sind diese „Geistlichen Väter“ als „Starzen” bekannt, während sie auf Griechisch die Bezeichnung „Geronta” (1) erhalten haben. Die Tradition dieser Altväter, wie sie oftmals auf Deutsch genannt werden, geht zum einen auf die ersten monastischen Erfahrungen in Ägypten aus dem 3. Jahrhundert zurück. Eine der größten Überlieferungen über ihr Wirken sind die Apophtegmata Patrum, die gesammelten Aussprüche (logia) der Wüstenväter. Zum anderen aber ist die erwähnte Tradition biblisch fundiert und begründet.

Grundlagen

Biblische Grundlage

In den Evangelien finden wir keine direkten Worte Christi, die sich auf irgendeine Form des geistlichen Gehorsams beziehen. In den synoptischen Evangelien sind uns die Worte des Herrn überliefert, dass jeder (Mt 16, 24, Mk 8, 34, Lk 9, 23), der ein Jünger Christi sein möchte, sich verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen solle. Der Gehorsam stellt hier in erster Linie einen Verzicht auf das Durchsetzen des eigenen Willens dar. Wir finden darüber hinaus verschiedene Perikopen, wie zum Beispiel die vom „reichen Jüngling” (Lk 18, 18-27), welcher, als er erfährt, dass er auf all sein Hab und Gut verzichten solle, um das ewige Leben zu haben, traurig von dannen zieht. Die Worte Christi in Getsemani, das Gebet zu seinem Vater, ermöglicht uns einen tiefen Einblick in das Ereignis der Kreuzigung, das maßgeblich mit dem Gehorsam Christi seinem Vater gegenüber verbunden ist: “Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille” (Mt 26,42). Christus vollbringt den Willen des Vaters, obwohl er, als vollkommener Mensch, alle menschlichen Zweifel verspürt und alle inneren Konflikte führt.

Die paulinische Theologie ist vergleichsweise stark von den Begriffen des Gehorsams geprägt. Im Römerbrief, in welchem diese Thematik am stärksten aufgegriffen wird, sagt uns der Apostel: “Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden” (Röm 5,19). Christus “erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz” (Phil 2,8). Sein Gehorsam wird dem Ungehorsam Adams gegenübergestellt. In Röm 16, 26 taucht darüber hinaus sogar der Begriff des “Gehorsams des Glaubens” auf.

Patristische Anfänge und Perspektiven

Nahezu nahtlos ist der Übergang dieser Begrifflichkeiten in das schriftstellerische Werk der ersten Apologeten. Dennoch wird die Kirche einige Jahrhunderte brauchen, ehe ein solides und einheitliches Bild vom Amt des Bischofs, der lokalen und universalen Kirche und der kirchlichen Ämter entsteht. Einer der ersten kirchlichen Schriftsteller, dem wir – neben den beiden Clemensbriefen – eine Darlegung der frühen Ekklesiologie der alten Kirche verdanken, ist Ignatius von Antiochien. In seinen sieben Briefen finden wir zahlreiche Aussagen zum Amt des Bischofs und dem Verständnis der Kirche. Die Briefe des Ignatius sind reich an Anweisungen, Ermahnungen und Feststellungen, die uns einen Einblick in das Autoritätsverständnis ermöglichen. Darüber hinaus können wir sie auch als eine Darlegung der damals gemeinhin akzeptierten Lehre betrachten, wie Kommentare des Ignatius selbst vermuten lassen (2). Ignatius hat als erster Kirchenvater den Begriff der “katholischen Kirche” verwendet, und darüber hinaus hat er das Verständnis dieses Begriffes weiter ausgeführt und ergänzt. Seine Anweisungen und Feststellungen, die er an die Gemeinden schreibt, tragen erste Züge (neben den ekklesiologischen) einer kirchlichen Verwaltung im Blick des Kanonischen Rechtes, in welches viele seiner Aussagen auch später Eingang finden werden (3).

Wir möchten nun den Aspekt der Autorität und, damit verbunden, den des Gehorsams betrachten. “Folgt alle dem Bischof, wie Jesus Christus dem Vater, und dem Presbyterium wie den Aposteln; die Diakone aber achtet wie Gottes Gebot. Keiner soll etwas von kirchlichen Dingen ohne den Bischof tun. Jene Eucharistie soll als zuverlässig gelten, die unter dem Bischof oder, wem er es anvertraut, stattfindet” (4). Kurz danach fährt er fort: “Wer den Bischof ehrt, wird von Gott geehrt” (5). Darüber hinaus bezeichnet er den Bischof als die “Tür zum Vater, durch die eingehen Abraham, Isaak, Jakob, die Propheten, die Apostel und die Kirche – alles dies in die Einheit Gottes” (6). Im Brief an die Traller führt er die ekklesiologische Perspektive weiter aus: “Denn wenn ihr euch dem Bischof unterordnet wie Jesus Christus, scheint ihr mir nicht nach Art der Menschen zu leben, sondern nach Jesus Christus, der um unseretwillen gestorben ist [..]. Darum ist es nötig, dass ihr, wie ihr ja tut, ohne den Bischof nicht handelt. Ordnet euch vielmehr auch dem Presbyterium unter wie den Aposteln Jesu Christi [..]. Ganz ebenso sollen alle den Diakonen Ehrfurcht erzeigen wie Jesus Christus, wie auch dem Bischof als Abbild des Vaters und den Presbytern als Ratsversammlungen Gottes und als Bund der Apostel. Ohne diese verdient nichts den Namen Kirche” (7). Darüber hinaus verbindet er den Einklang mit dem Willen des Bischofs mit dem persönlichen Gewissen: “wer ohne Bischof, Presbyterium und Diakon etwas tut, der ist nicht rein im Gewissen” (8). Bei Ignatius wird der Gehorsam in einen soteriologischen Kontext gerückt, welcher für die ganze Gemeinde nachahmenswert ist. So schreibt er im Brief an die Magnesier: “Wie nun der Herr nichts getan hat ohne den Vater, mit dem er eins ist, weder in eigener Person noch durch die Apostel, so sollt auch ihr ohne den Bischof und die Presbyter nichts tun” (9). In der Zeit nach Ignatius werden zum einen die Begrifflichkeiten von Presbyter und Episkopos in nicht klar voneinander abgegrenzter Bedeutung verwendet, zum anderen wird, nicht zuletzt wegen der aufkommenden Häresien, vor allem des Gnostizimus, ein Bedürfnis nach einer Lehrautorität laut (10). Gemäß Irenäus von Lyon wird die “wahrheitsgetreue Überlieferung dadurch garantiert, dass ‘gemäß dem gnädigen Ratschluss des Vaters’ mit der Sukzession im Bischofsamt ein ‘sicheres Charisma der Wahrheit’ (charisma veritatis certum) empfangen wird” (11). Dieser Ausdruck wird bis heute kontrovers diskutiert, weil er vermutlich im Zusammenhang mit den besonderen Geistesgaben steht, die im Neuen Testament bereits Erwähnung finden (Joh 14,17, Apg 1,8, 1 Tim 4,14, 2 Tim 1,6.14). “Im Sinne eines solchen Amtscharismas wird daher auch die Aussage des Irenäus zu verstehen sein. Es handelt sich um eine vom Heiligen Geist dem Amtsträger verliehene zuverlässige Gabe der Wahrheitserkenntnis, die ihn befähigt, den bischöflichen Auftrag zu erfüllen [..]” (12). Die Verbindung des Bischofs mit der Gemeinde, der lokalen Kirche und damit verbunden der Zugang zur apostolischen Lehre wurde immer deutlicher: als Häupter der eucharistischen Versammlung aber bleibt ihre Hauptaufgabe nicht das Lehramt, sondern die Leitung der eucharistischen Gemeinde als Typos Christi (13). Die Traditio Apostolica von Hippolyt von Rom überliefert uns im Gebet der Bischofsweihe, dass der Bischof in erster Linie die Eucharistie darzubringen und die Kleriker zu weihen hat. Letztendlich führte die Entwicklung hin zur Konziliarität, die sich anfangs – bis zum Ersten Ökumenischen Konzil in Nicäa – hauptsächlich mit Themen der Eucharistie und der eucharistischen Gemeinschaft beschäftigte. Das Bischofsamt wurde so, in seiner untrennbaren Verbindung als Vorsteher der eucharistischen Versammlung, unlösbar mit der Konziliarität der universalen Kirche auch außerhalb der jeweiligen Diözesen verknüpft (14).

In der Dogmatik der Orthodoxen Kirche ist das Weiheverständnis der ersten beiden Weihestufen – des Diakons und des Priesters – sehr stark an das Bischofsamt geknüpft. So kennt die Orthodoxe Kirche keine absolute, sondern nur eine konkrete Weihe: der Bischof wird konkret an einem bestimmten Ort geweiht und gebunden, ebenso wie der Priester und der Diakon einer bestimmten Diözese zugeordnet werden (15).

Kirchenrechtliche Aspekte

Wie bereits erwähnt, finden wir in den Kanones der ersten lokalen Synoden und auch der ersten beiden Ökumenischen Konzilien in Nicäa und Konstantinopel einen Schwerpunkt auf die Ausgestaltung der Autorität des lokalen Bischofs und des Metropoliten. Das findet – neben zahlreichen anderen Verwaltungsregelungen – Ausdruck in den zahlreichen Kanones, die es offenkundig machen, dass der Priester, nachdem er den ersten Grad der Weihe durch die Handauflegung seines Bischofs erhalten hat, an diesen gebunden ist (16). Die “kirchlichen Angelegenheiten sind allein dem Bischof anvertraut worden”, ist bereits in den Kanones der Apostel vermerkt (17). Der Priester führt jede sakramentale Handlung als Stellvertreter des Bischofs durch, da er bei seiner Weihe nur einen begrenzten Teil der Fülle der Macht der Sakramentenspendung erhält. Er verwirklicht sein Amt nur in kanonischer Einheit mit dem Bischof (18). Folgen wir den Ausführungen des Metropoliten Panteleimon von Tyroloe und Serention, so gilt: “the full right to perform every mystery and every service in the Church lies with the bishop, while priests receive the right from him to celebrate at all. The right to officiate at certain mysteries and holy ceremonies is reserved for the bishop, in accordance with his archpriestly authority, while the others may be celebrated also by presbyters, who in this regard are subject to the supervision and judicial authority of their own bishop” (19).

Charismatische Ebene

Neben dem offiziellen und institutionellen Charakter der irdischen Kirche und des mit ihr verbundenen Bischofs existiert noch eine weitere Ebene, die tief mit diesen beiden verwurzelt ist. Die verschiedenen Gnadengaben, die von dem einen Geist ausgehen (vgl. 1 Kor 12,4), stellen sozusagen die “charismatische Ebene” der Kirche dar, auf welcher sich die Starzen / Gerontes bewegen. Es ist schwierig, hier eine strenge Trennlinie zu ziehen, die auch an und für sich nicht notwendig ist: beide wachsen aus dem jeweils anderem und sind stark miteinander verflochten. Oftmals sind die Altväter von den kirchlichen Zentren entfernt, befinden sich an entlegenen Orten und haben meistens keinen besonderen oder hervorstechenden Status innerhalb der Kirche erhalten. Sie müssen kein offizielles Amt in der Kirche bekleiden und nicht unbedingt die Priesterweihe empfangen haben. Für Metropolit Kallistos von Diokleia ist die Erscheinung von Heiligen und geistlichen Personen ebenso notwendig und wichtig wie die des Episkopates und der apostolischen Sukzession (20).

Die Geistliche Vaterschaft

Die Figur des Starez oder Geronda hat durch die Geschichte hindurch bis heute nicht an Wichtigkeit verloren. Sie werden nicht zu solchen ordiniert oder eingesetzt, vielmehr sind sie eine zeitliche, aktuelle Erscheinung der Kirche. Sie werden vom Kirchenvolk als Väter erkannt, die das Charisma der geistlichen Führung in einem großen Ausmaß besitzen. In der Regel geht dem Geronta eine Geschichte voran, die ihn zwar nicht legitimieren, wohl aber seine Position bestärken soll (21). Metropolit Kallistos schreibt, dass die Altväter nicht in die Einsamkeit gingen, um sich auf die Vaterschaft vorzubereiten, sondern um alleine mit Gott zu sein. Gott akzeptierte ihre Liebe, sandte sie aber oftmals zurück in die Welt, damit sie als Instrumente der Heilung jener Welt dienen, von welcher sie sich zurückgezogen hatten (22). Die Wüstenväter gelten als eines der ersten Beispiele der geistlichen Vaterschaft und jener Autorität, die neben der bereits erwähnten, offiziellen und institutionellen existiert.

Bekanntermaßen wird das Recht, die Beichte abzunehmen, nicht automatisch mit der Priesterweihe verliehen. Vor allem in der griechisch-orthodoxen Kirche erfolgt die Überantwortung dieses Dienstes gesondert durch die Erlaubnis des Bischofes, namentlich durch den “Brief der geistlichen Vaterschaft” (23). Durch diese “ordo” wird der Priester, der – wie wir ja bereits festgestellt haben – die Vollmacht über die Sakramente nur in einem begrenzten Ausmaß inne hat, von seinem Hirten beauftragt, für seine ihm anvertraute Herde auch im Bereich der “Geistlichen Vaterschaft”, vor allem in der Beichte tätig zu werden. Er wird somit im Rahmen der potestas ordinis (ἐξουσία ἱερατική) als Geistlicher Vater und Beichtvater eingesetzt.

Wie eingangs bereits erwähnt, ist die “Geistliche Vaterschaft” als solche mit einem sehr starken Gehorsamsbewusstsein (υπακοή) verbunden. Dieses ist gerade in einzelnen monastischen Schriften zu einem wichtigen Bestandteil des spirituellen Lebens ausgestaltet worden. Der Gehorsam aber hat, trotz seiner negativen Konnotationen, die im westlichen Kulturkreis oftmals hervorgerufen werden, dasselbe Ziel wie die Beichte: die Rettung des Menschen, die Überwindung der Leidenschaften, das Näherkommen und die Rückkehr zu Gott, die Reinigung der Seele und als Grundlage und Basis all dessen, das Empfinden der wahrhaftigen, ontologisch-realen Reue. “Das Ziel unseres Lebens ist das Wiedergutmachen des Sündenfalls, damit wir Eingang finden in das Paradies. Das Schlechte des Falls war der Ungehorsam”, sagte Metropolit Jeremias von Gortyn und Megalopolis in einer Predigt aus dem Jahre 1984 über den Gehorsam (24).

Im ersten Thessalonikerbrief (1 Thess 5,19-20) verbietet es der Apostel, das Prophetentum zu verachten und den Geist auszulöschen. Während das Prophetentum heutzutage eher ein negativ konnotierter Begriff ist, existiert es aber, losgelöst von der institutionellen, sakramentalen kirchlichen Hierarchie, in der Kirche weiter, wobei jede Differenzierung zwischen den Geistern und der Erkenntnis des wahren Prophetentums eine schwierige Aufgabe für die Kirche darstellt, “da die kirchliche Erfahrung gleichzeitig auch persönliche Erfahrung ist, die in Persönlichkeiten verwirklicht wird” (25).

Der geistlichen Vaterschaft und allen mit ihr verbundenen Eigenschaften liegen in erster Linie das Vertrauen und die Notwendigkeit des Seelenheils zugrunde. In einem Geronda findet jeder Mensch einen Begleiter, dem man mit Freuden seine Hand reicht, dem man gehorcht und folgt und sich anvertraut. Der Heilige Johannes Klimakos bezeichnet den geistlichen Vater treffend – und diese Bilder werden bis heute noch in der orthodoxen Pastoral verwendet – als “guten Steuermann”, “guten Hirten” und “Vermittler zu Gott”. Dem “geistlichen Gehorsam” selbst liegt der Gehorsam Christi seinem Vater gegenüber zugrunde (Phil 2, 8).

Ich möchte hier noch einmal betonen, dass der Gehorsam des Gläubigen gegenüber dem geistlichen Vater eine freiwillige Entscheidung ist. Der in Sünde gefallene Mensch bemüht sich, seine durch die Sünde getrübte Beziehung zu Gott wiederherzustellen, erkennt jedoch, dass es ihm alleine nicht gelingen kann. In dieser Situation vertraut er sich der Führung eines im geistlichen Leben erfahrenen geistigen Vaters an, um im Kampf gegen seine Sünden Unterstützung zu erhalten. Das Ziel der Unterordnung unter den geistlichen Vater ist also allein die Vertiefung der Beziehung zu Gott. Nur die Entwicklung der Seele in dieser Beziehung ist von Bedeutung, der Gehorsam gegenüber dem Höherrangigen hat keine Bedeutung an sich. Die soteriologischen und eschatologischen Aspekte stehen im Vordergrund, es handelt sich keinesfalls um eine masochistische Lebenseinstellung. Der Gedanke, dass durch möglichst großes Leiden und Ausharren im Gehorsam das Himmelreich errungen werden kann, ist der orthodoxen Kirche fremd.

Heutige Situation

Das Starzentum hat gerade in Griechenland in den letzten Jahrzehnten eine sehr starke Entwicklung genommen. Diese wurde durch die “Heiligsprechung” des Heiligen Porphyrios von Kavsokalyvia (1906-1991), des “Weitsichtigen und Wundertätigen”, im November 2013 gekrönt. Neben den Märtyrern der 1920er Jahre (26), die im Zuge des “Bevölkerungsaustausches” zwischen Griechenland und der Türkei den Tod fanden, gab es zahlreiche Heilige, die als geistliche Väter tätig waren und deren Wirken bis nach Griechenland Früchte trug. Arsenios der Kappadokier, dessen Leben vom Altvater Paissios aufgeschrieben wurde und der bis heute in der orthodoxen Welt große Verehrung findet, zählte zu jener Generation der Gerontes, die das spirituelle Erbe des geistlichen Lebens maßgeblich in eine neue Zeit trugen. Für Altvater Paissios, der auch sein geistliches Kind war, ist ganz klar: die “weltliche Freiheit führt in die geistige Knechtschaft” – die “persönliche Verwirklichung” als Bedürfnis des Menschen der Postmoderne und des 21. Jahrhunderts darzustellen, steht diametral zum orthodoxen Menschenbild. Metropolit Kallistos von Diokleia sagte in einem Vortrag, dass sich die Theologie des 21. Jahrhunderts weiterhin mit dem Problem der Ekklesiologie beschäftigen wird, zudem aber noch die Frage der Anthropologie hinzukomme: Was ist der Mensch nach dem Bild des dreieinen Gottes? Diese Frage erfordert nach wie vor viel Arbeit. Die Überwindung der Begierden und der Leidenschaften führt den Menschen schließlich, indem er in diesem Leben bereits mittels des Gehorsams die Freiheit vom “Tode nach dem Tode” erfahren hat, zur Überwindung der Trennung zwischen den Menschen und Gott. Diejenigen, denen es gelingt, den Eigenwillen abzulegen, haben “ohne Schwierigkeiten die Ketten der Leidenschaften zerbrochen und sind befreit worden von der geistigen Besetzung durch den Menschenmörder”. Das folgt auch den Aussagen des Heiligen Johannes Sinaites, wenn er für jeden, der aus Ägypten hinausziehen möchte, einen Moses, einen “Vermittler von und mit Gott, für nötig hält. Während Ägypten die Welt mit ihren “seelischen Leidenschaften” symbolisiert, erscheint Moses Gebet am Roten Meer als notwendig, um vor dem Pharao, der im Kontext des Heiligen Johannes für den Teufel steht, entkommen zu können (27).

Natürlich weckt die Institution eines absoluten Gehorsams gerade in den westlichen Ländern negative Vorstellungen. Diese Sorgen sind nicht unberechtigt, weil ein minimales Missverständnis, welches das Verhältnis des Gehorsams zu seiner eigentlichen Bestimmung verändert, fatale Folgen haben kann. Dem Gehorsam liegt die Rückkehr zur ontologischen Wirklichkeit der menschlichen Natur zugrunde, nicht das Schaffen willenloser Befehlsempfänger. Der Geronda trägt das geistliche Kind auf seinen Schultern, wie der Hirte sein Lamm. Wenn wir in den patristischen Schriften lesen, dann finden wir den Gehorsam verbunden mit dem Typus des “guten Hirten”, des “Vaters” oder des “Steuermanns”. Es gibt einen Gehorsam der Liebe, der auf einer fundamentalen Gottesliebe und einem Gottvertrauen errichtet ist, und den eines ängstlichen Befehlsempfängers, der folgt, weil er es anders nicht kann oder möchte. Letzteres entspricht nicht der Vorstellung, die im spirituellen Leben herrscht, kann aber, bedingt durch eine inadäquate geistliche Führung, die dominantere Komponente in einer geistlichen Beziehung werden.

Vater Paissios hinterlässt uns folgenden Satz: “Jene, die sich in aller Einfachheit ihrem geistigen Vater anvertrauen, wandern mit großer Sicherheit und ohne zu ermüden und gelangen glücklich ins Paradies. Jenen Jüngern hingegen, die dem Gehorsam auszuweichen suchen, ergeht es wie den unbändigen Kälblein, die ständig am Seil zerren, einmal hierhin, einmal dorthin, bis sie den Pflock ausgerissen haben und danach wie toll aus dem Gehege laufen, sich im Gebüsch verfangen und, wenn man sie nicht rechtzeitig befreit, zuletzt erwürgt werden” (28).

Wir haben festgestellt, dass die Geistliche Vaterschaft als solche soteriologisch auf den Menschen selbst bezogen ist. Während der Bischof, als Vorsteher der lokalen eucharistischen Gemeinde, die Kleriker und das Kirchenvolk um sich versammelt und die ersteren in die Ämter einsetzt und an sich bindet, so obliegt ein gewisser Teil des Hirtenamtes eben auch den Priestern und Diakonen, welche die Sakramente verwalten. Durch die Bindung an den Bischof, in dessen Vollmacht sie handeln, und das Verbleiben in der Kanonizität der lokalen Kirche sind sie in ihrem Hirtenamt vom Bischof ungelöst. So bleibt jeder Kleriker als geistliche Autorität – wenngleich auch Starzen keine geweihten Personen sein müssen – durch die Weihe an den Ortsbischof gebunden. Auch als Mönche sind diese in bestehende Strukturen eingeordnet, in deren Auftrag sie handeln: die Teilung des Gottesvolkes in Klerus und Laien, die durch den dritten Stand, nämlich den monastischen, ergänzt wird, ist an sich nicht eine exakte Wiedergabe der orthodoxen Ekklesiologie: die “eschatologische Schönheit” der himmlischen Hierarchie findet auch in der irdischen Kirche ihren Ausdruck.

Der geistliche Gehorsam ist ein grundlegendes Phänomen im spirituellen Leben der Ostkirche. Entsprechend des Neuen Testamentes und den Überlieferungen der Kirchenväter, die sich diesem Thema sehr früh annahmen, ist sie eine Grundlage des geistlichen Lebens und entwickelte sich in den Jahrhunderten weiter. Sie realisiert und verwirklicht die Liebe Christi und in persönlicher Beziehung zu Gott hin vergegenwärtigt sie das Eschata.

Fußnoten:


 1. ὁ γέρων, (Alt-)Griechisch für Greis, alter Mann.

 2. Vgl.: E 3,2. Die verwendeten Abkürzungen und Zitate folgen denen der Ausgabe von J. A. Fischer, Die Apostolischen Väter, Schriften der Urchristentums 1, Darmstadt 1986.

 3. Die Kanones der Apostel, namentlich 38 und 40, regeln unter anderem die strenge monarchische Position des Bischofs in seiner Diözese. Vgl. Anargyros Anapliotis, Heilige Kanones der heiligen und hochverehrten Apostel (Liturgische Texte und Studien 6), St. Ottilien 2009, S. 47.

 4. Sm 8,1.

 5. Sm 9,1.

 6. Phd 9,1.

 7. Tr 2,1-3,3.

 8. Tr 7,2.

 9. Mg 7,1.

 10. John Zizioulas, The One and the Many, Studies on God, Man, the Church and the World Today, Alhambra 2010, S. 225.

 11. Michael Fiedrowicz, Theologie der Kirchenväter, Freiburg 2010, S. 69f.

[12] John Zizioulas, The One …, S. 226.

 13. John Zizioulas, Being As Communion, London 2004, S. 229.

 14. John Zizioulas, The One …, S. 229.

 15] Karl Christian Felmy, Einführung in die orthodoxe Theologie der Gegenwart, Berlin 2011, S. 282f.

 16. Vgl. Kanon 6 der Synode von Gangra, der sakramentale Handlungen außerhalb der Kirche ohne Erlaubnis des Bischofs grundsätzlich unter Anathema stellt. Darüber hinaus u.a. Kanon 17 des Quinisextum in: Heinz Ohme, Concilium Quinisextum (FC 82), Turnhout 2006, S. 206f.

 17. Vgl. Kanon 39 der Apostel.

 18. Sergej Bulgakov, Die Lehre der Orthodoxen Kirche, Trier 1996, S. 83f.

 19. Panteleimon Rodopoulos, An Overview of Orthodox Canon Law (Orthodox Theological Library 3), Rollinsford 2007, S.161f.

 20. Kallistos Ware, The Spiritual Father in Orthodox Christianity, Cross currents 24 (1974), 296-313.

 21. So lebte der Heilige Antonius der Große bis zu seinem 55igsten Lebensjahr in einem verlassenen Kastell und war für niemanden zugänglich, ehe er sich Besuchern zur Verfügung stellte. Auch der Heilige Seraphim von Sarov verbrachte dreißig Jahre in Einsamkeit und absoluter Stille.

 22. Kallistos Ware, The Spiritual Father in Orthodox Christianity, Cross currents 24 (1974), S. 300: “Without this intense ascetic preparation, without this radical flight into solitude, could St. Antony or St. Seraphim have acted in the same degree as guide to those of their generation? Not that they withdrew in order to become masters and guides of others. “They fled, not, in order to prepare themselves for some other task, but out of a consuming desire to be alone with God. God accepted their love, but then sent them back as instruments of healing in the world from which they had withdrawn”

 23. Im Statut der Kirche von Griechenland wird dieser Brief als «γράμμα πνευματικής πατρότητας» bezeichnet.

 24. Die Predigt ist auf Neugriechischer Sprache hier nachzulesen:

http://xristianoss.blogspot.de/2011/10/blog-post_25.html (Abgerufen am: 29. März 2014)

 25. Sergej Bulgakov, a.a.O., S. 90.

 26. Allen voran steht in der Verehrung heute der Volks- und Erzmärtyrer Chrysostomus von Smyrna, der 1922 unter grausamen Bedingungen von einem türkischen Mob ermordet wurde.

 27. Andreas Müller, Das Konzept des geistlichen Gehorsams bei Johannes Sinaites (Studien und Texte zu Antike und Christentum 37), Tübingen 2006, S. 208ff.

 28. Altvater Paissios, der Agiorit, Briefe, Kloster des Hl. Evangelisten Johannes des Theologen (Hg.), Vasiliká 2008, S. 116.

Χριστούγεννα γιὰ πάντα

Χριστούγεννα γιὰ πάντα

Μητροπολίτου Αὐστρίας καὶ Ἐξάρχου Οὑγγαρίας Ἀρσενίου

«Χαρᾶς πεπλήρωνται, πάντα τὰ πέρατα· ἡ Θεοτόκος γάρ, γεννᾶν ἐπείγεται, τὸν Βασιλέα τοῦ παντός, ὦ θαύματος ἀνερμηνεύτου! ἄρχεται ὁ ἄναρχος, καὶ σαρκοῦται ὁ Ἄσαρκος, Σπήλαιον εἰσδέχεται, τὸν συνέχοντα ἅπαντα».[1]

Στὸ Μέγα καὶ Ἐστρωμένο Δεῖπνο τῆς παρουσίας τοῦ Ἰησοῦ Χριστοῦ[2], στὴ μόνη καὶ ἄπειρη χαρὰ τῆς Θείας Γέννας τοῦ Γιαχβέ, τοῦ παντοδυνάμου Δημιουργοῦ τῆς Παλαιᾶς Διαθήκης, μᾶς καλεῖ «ἔτι καὶ ἔτι» ἡ Ἁγία μας Ἐκκλησία. Γιὰ μιὰ ἀκόμη φορὰ προσδοκοῦμε τὸν ἐρχομὸ καὶ τὴ σάρκωση στὴ δική μας προσωπικὴ διαδρομὴ τοῦ Βασιλέα τῶν Ὅλων, τοῦ Ἄρχοντα τῆς εἰρήνης, τοῦ Πατρὸς τοῦ μέλλοντος αἰῶνος[3], τοῦ Ἐμμανουήλ.

 Καλούμαστε νὰ ζήσουμε καὶ νὰ ἀναγεννηθοῦμε στοὺς κόλπους τῆς Μίας, Ἁγίας, Καθολικῆς καί Ἀποστολικῆς Ἐκκλησίας, ὅπου «συγκαταβαίνει ὁ Σωτήρ, τῷ γένει τῶν ἀνθρώπων»[4] καὶ γεννᾶται «σήμερον». Ὁ Υἱὸς τοῦ Θεοῦ σαρκώνεται στὸν κάθε ἄνθρωπο, «νῦν», θεραπεύοντας «τὸν τῇ ψυχῇ τετρωμένον δρακοντείῳ δήγματι»[5] ἄνθρωπο, ἀθανατοποιῶντάς τον, προσφέροντάς του τὸ ἄκτιστο δικό Του «ἀεί». «Πᾶν εἶδος κακίας διὰ πάσης τῆς Ἁγίας αὐτοῦ πολιτείας ἐξιάσατο».[6]

Στὶς μέρες μας, ὅπου σχεδὸν ὅλα ἔχουν ἀνθρωπίνως εἰπωθεῖ, ἂς προσπαθήσουμε, μὲ δύο παραδείγματα ἀπὸ τὴν ἀνατολικὴ μοναστικὴ παράδοση νὰ δοῦμε μιὰ ἄλλη δυναμική – στὴν ἁπλότητα τῆς ὁποίας γίνεται δυνατὴ ἡ ψηλάφηση τῆς Θείας Σαρκώσεως καὶ ἀφορμὴ οἰκείωσης τοῦ μυστηρίου τῶν Χριστουγέννων. Μιλῶ γιά «ἁπλότητα» ἐννοῶντας ὅτι γιὰ νὰ γιορτάσεις Χριστούγεννα πρέπει νὰ ἔχεις Χριστό. Καὶ ἀναφέρω τὴ λέξη «δυναμική», διότι συστατικὸ στοιχεῖο τῆς ἑορτῆς εἶναι οἱ ὠδῖνες μιᾶς γέννας, οἱ ὠδῖνες νὰ ἐπιτρέψεις στὸν ἑαυτό σου νὰ γεννηθεῖ ὁ Χριστὸς στὸν παγερὰ ἀδιάφορο κόσμο σου!

Ἕνα ἀπὸ τὰ καίρια στοιχεῖα τοῦ μοναχικοῦ βίου εἶναι ἡ τακτικὴ ἐξαγόρευση τῶν λογισμῶν∙ ἡ κάθαρση δηλαδὴ τοῦ ἐσώτατου ἑαυτοῦ ἀπὸ τὴν ἰδιώτευση. Ὁ μοναχὸς ἀνοίγεται ἑκουσίως στὸ Θεῖο μὲ τὴν κατάθεση τῶν κακῶν ἢ καλῶν σκέψεών του στὸν πνευματικὸ πατέρα. Πρὶν ἀπὸ λίγα χρόνια σὲ ἕνα ἱστορικὸ κοινόβιο τῆς ἁγιορείτικης πολιτείας συνέβη τὸ ἀκόλουθο περιστατικό. Μετὰ τὸν ἑσπερινό, κατὰ τὴν ὁρισμένη ὥρα ποὺ ὁ γέροντας δεχόταν τοὺς μοναχούς, φτάνει στὸ ἱερὸ τοῦ καθολικοῦ τῆς Μονῆς ἕνα ταπεινὸ γεροντάκι. Κυρτωμένο ἀπὸ τὴν πολύχρονη ἄσκηση ξεκινᾶ μὲ σπαστὴ φωνὴ τὴν κατάθεση τῶν λογισμῶν του ἀδυνατῶντας νὰ τελειώσει τὶς φράσεις του. Στὴν ἐρώτηση δὲ τοῦ Γέροντα γιὰ τὸ τί τοῦ συμβαίνει, ὁ καλόγερος ἀπαντᾶ πὼς ἡ σκέψη του ἔχει ἁλωθεῖ ἀπὸ τὴ μεγαλοσύνη τοῦ μυστηρίου τῆς Σαρκώσεως τοῦ Θεοῦ Λόγου. Ὁ μοναχὸς δὲν ἑστίαζε στὴν καλοσύνη ἢ τὴν ἁμαρτία του, ἀλλὰ εἶχε ἀφεθεῖ εὐχαριστιακά, μὲ ὅλη του τὴν ὕπαρξη, στὴν κατανόηση τῆς ἐνανθρώπησης τοῦ Θεοῦ.

Ἡ ἔνταση τῆς ἐνατένισης τοῦ μυστηρίου τῆς Θείας οἰκονομίας ἀναδεικνύει τὸ γεγονὸς μιᾶς ἄλλης μυστικῆς «Χριστοῦ γέννας» στὴν καρδιὰ τοῦ πιστοῦ. Γιὰ τὸν χριστιανό, λοιπόν, ἡ ἐν σαρκὶ παρουσία τοῦ τά πάντα δημιουργήσαντος Θεοῦ «ἐν μορφῇ δούλου» ἀποτελεῖ τή Σωτηρία του. Ἡ Σάρκωση τοῦ Λόγου δὲν εἶναι μόνο ἡ φανέρωση τοῦ ἀπολύτου Μεγαλείου ἀλλὰ γίνεται καὶ ἡ ἀποκάλυψη τῆς προοπτικῆς τοῦ ἀνθρώπινου ὄντος. Τὸ ὅτι ὁ Θεὸς ἑνώνεται ἀδιαιρέτως, ἀχωρίστως, ἀτρέπτως καί ἀναλλοιώτως μὲ τὴν ἀνθρωπότητα, σημαίνει ὅτι τὸ ὑλικὸ σῶμα – ψυχὴ εἶναι ἱκανὸ νὰ θεωθεῖ, δηλαδὴ νὰ γίνει ἕνα μὲ τὸν ἴδιο τὸν Θεό. Ὁ ἄνθρωπος δὲν βελτιώνεται ἠθικὰ, ἀλλὰ γίνεται θεοφόρος, ψυχῇ τε καὶ σώματι ∙ ὁρᾶ τὸν Θεὸν «καθὼς ἐστίν», «πρόσωπο πρὸς πρόσωπο», ὡς «φίλο» καὶ ἀπολαμβάνει τὴν σχέση μαζί Του, ἀντιπροσφέροντας διαρκῶς τὸν ἑαυτό του, ζῶντας εὐχαριστιακὰ τὸ «τὰ Σὰ ἐκ τῶν Σῶν». Ὁ Κύριος κενώνει ἑαυτόν καὶ ἐνδύεται «τὸ ἀνθρώπινον» ἀληθινὰ καὶ ὄχι κατὰ δόκηση. Ὡς δοῦλος βγαίνει «εἰς τὰς ὁδοὺς καὶ φραγμούς»[7] προσκαλῶντας  τοὺς πάντες στὴν πνευματικὴ ἑστίαση τοῦ Κυριακοῦ δείπνου[8] διατρανώνοντας τὴ δυνατότητα τοῦ κτιστοῦ νά ἐνδυθεῖ τὸ Ἄκτιστο.[9]  

Τὸ γεγονὸς αὐτῆς τῆς σάρκωσης ὁ πιστὸς δέν τὸ ζεῖ ὡς ἀνάμνηση ἀλλὰ ὡς διαρκὲς παρόν. Δὲν περιμένει ἡμερολογιακὰ νὰ θυμηθεῖ ἐκεῖνο τὸ ἱστορικὸ γεγονὸς τῆς Βηθλεέμ, ἀλλὰ «ἐν τοῖς μυστηρίοις» χωρεῖ τὸν Ἀχώρητο. Δὲν ἀποκτᾶ μιὰ ἄποψη γιὰ τὰ πράγματα[10], οὔτε υἱοθετεῖ φαντασιακὰ μαρτυρίες ἢ ἀπόψεις ἄλλων γιὰ τὴν «ἐν χρόνῳ» παρουσία τοῦ Θεοῦ. Καλεῖται νὰ ἀναχθεῖ στὴ θεϊκὴ πραγματικότητα: «... καὶ ἐπάραντες τὸν νοῦν, ἐπὶ τὴν Βηθλεὲμ ἀναχθῶμεν τῇ διανοίᾳ, καὶ κατίδωμεν τὴν Παρθένον, τοῖς ψυχικοῖς λογισμοῖς, ἐπειγομένην τίκτειν ἐν Σπηλαίῳ, τὸν τῶν ὅλων Κύριον καὶ Θεὸν ἡμῶν»[11].

Στὴν ἐκκλησιαστικὴ ἐμπειρία «ὁ Χριστὸς συλλαμβάνεται, μορφοποιεῖται καί μεγαλώνει μέσα μας… Πρέπει καὶ ἐμεῖς νά γνωρίζωμε τὰ χαρακτηριστικὰ τῆς δικῆς μας κυοφορίας, νὰ καταλαβαίνωμε ὅτι φέρομε μέσα μας τὸ Παιδίον τὸ Νέον, τὸν Χριστόν· ὅτι πραγματοποιοῦμε τὶς προφητεῖες τοῦ Ἡσαΐου καὶ τοὺς λόγους τῶν Ἁγίων»[12]. Ὑπ’ αὐτὴν τὴν ἀνάγνωση ἡ ἱστορία τῆς Βίβλου, οἱ ρήσεις τῶν προφητῶν, οἱ ἐπαγγελίες τοῦ Θεοῦ, τὰ γεγονότα τῆς Θείας Οἰκονομίας δέν ἀποτελοῦν παρελθοντικὲς ἀναφορὲς ἀλλὰ ἐσχατολογικὲς προσωπικὲς ἐπιβεβαιώσεις. Ὁ κάθε πιστὸς γίνεται μέτοχος τῶν Θείων! Ὁ ἄνθρωπος συναντᾶ τὸ σκοπὸ τῆς δημιουργίας του, ἐκπληρεῖ τὶς δυνατότητες του. Μεταλλάσσοντας τὰ λόγια τοῦ Wittgenstein[13] θὰ λέγαμε πῶς «ὁ ἄνθρωπος περιέχει τὴ δυνατότητα συνάντησης μὲ τὸ Θεό. Ἡ δυνατότητα αὐτὴ εἶναι ἡ ἴδια ἡ μορφὴ τοῦ ἀνθρώπου - ἡ οὐσία του». Ὁ ἄνθρωπος στὴ ζωὴ τῆς Ἐκκλησίας συναντᾶ  τὸ Ὑποκείμενο τῆς ὕπαρξης καὶ ξεκινᾶ νὰ ὑπάρχει. Ὑπάρχει μόνο σὲ σχέση μὲ αὐτό.

Ὡς ἐκ τούτου «ὅταν ὁ Χριστὸς φανερωθῇ, ἡ ζωὴ ἡμῶν», ὅταν γίνει ἡ μόνη ἀλήθεια τῆς ζωῆς μας, τότε ὅλα ἀλλάζουν, μεταμορφώνονται, γίνονται θεϊκὰ καὶ ἡ Ζωή Του γίνεται ζωή μας· «τότε καὶ ὑμεῖς σὺν αὐτῷ φανερωθήσεσθε ἐν δόξῃ»[14]. Ὁ τρόπος τῆς ἀκατάληπτης θεϊκῆς κενώσεως γίνεται τρόπος ζωῆς. Κάθε σκιώδης ὀπτικὴ τῆς ὑπάρξεως φωτίζεται ἀπὸ τὴν δυναμικὴ τοῦ Θεϊκοῦ «ἀδειάσματος». Τὸ μυστήριο τῆς γεννήσεως τοῦ Λόγου ἀνοίγει τὰ μάτια ὡς «τῆς ἀληθείας φάος» μὲ σκοπὸ νὰ δοῦμε τοὺς «ἀφεγγεῖς τύπους» καὶ «τὰς σκιὰς τὰς παρηγμένας».[15]

Μιὰ ἐξαιρετικῆς σημασίας ἐρώτηση εἶναι τὸ πῶς θὰ γίνει πραγματικότητα αὐτὴ ἡ ἐπαγγελία τοῦ Κυρίου μας. Ἡ ἀπάντηση βρίσκεται διάσπαρτη στὴν ἐμπειρία τῆς Ἐκκλησίας καὶ στὰ βιβλικὰ καὶ πατερικά της κείμενα. Περιγράφοντάς την μὲ μιὰ λέξη θὰ ἔλεγα πὼς εἶναι ἡ ἀποταγή. Τὸ ἐρωτικὸ ἄφημα στὴ δική Του βούληση. 

Γιὰ τὴν ἀποταγὴ αὐτὴ ἂς διαβάσουμε ἀπὸ τὴ γραφῖδα τοῦ ἀειμνήστου γέροντα Χερουβίμ, τῆς Ἱερᾶς Μονῆς Παρακλήτου, τὴν ἀκόλουθη ἱστορία:

«Ἐκεῖ στὸν Ἅγιο Βασίλειο συνέβη κι ἕνα ἀπὸ τὰ πιὸ ὄμορφα περιστατικὰ τῆς ἁγιορείτικης ζωῆς. Κάποιος Γέροντας δέχθηκε στήν ὑπακοή του ἕνα νέο ὁ ὁποῖος ἦλθε νὰ μονάση καὶ μάλιστα στὴν σκληρὴ ζωὴ τῆς ἐρήμου. Ὁ Γέροντας στὴν ἀρχὴ ἦταν διστακτικός, ἀργότερα ὅμως τὸν ἐκράτησε, παρ’ ὅλο ποὺ φαινόταν καλομαθημένος. Ὁ νέος ἄρχισε τὴ ζωή τοῦ ἀρχαρίου μὲ ἐνθουσιασμὸ καὶ ὁ Γέροντας, βλέποντας τὴν προθυμία του, τὸν ἐβοηθοῦσε ἀναλόγως. Κάποια ἡμέρα ὅμως παρετήρησε, ὅτι ἀπὸ τὸν λαιμὸ τοῦ ὑποτακτικοῦ του κρεμόταν ἕνα ρολόι μεγάλης ἀξίας, μὲ μία πολύτιμη ἀλυσίδα. Ἄφησε νά περάση λίγος καιρὸς καὶ ὅταν ἔκρινε πὼς ἦλθε ἡ κατάλληλη στιγμή, τοῦ εἶπε:      -Τί εἶναι, παιδί μου, αὐτὸ ποὺ κρέμεται στὸ στῆθός σου; -Εἶναι ἕνα ὁλόχρυσο ρολόι, ἐνθύμιο τοῦ πατέρα μου. Εἶναι ὁ μεγάλος μου θησαυρός, ἀπήντησε ὁ ὑποτακτικὸς συγκινημένος. -Ἄ, παιδί μου, δὲν εἶναι δυνατὸν νὰ εἶσαι μοναχὸς καὶ νὰ ἔχεις ἐνθύμια ἀπὸ τὴν οἰκογένειά σου καὶ μάλιστα χρυσά! Ὁ ὑποτακτικὸς βρέθηκε σὲ ἀμηχανία. –Γιὰ νὰ ἐξακολουθήσης νὰ παραμένης ἐδῶ, συνέχισε ὁ Γέροντας, πρέπει χωρὶς ἄλλο νὰ καταστρέψης τὸ ἀναμνηστικὸ αὐτὸ δῶρο μὲ τὸ ὁποῖο τόσο δυνατὰ ἔχει συνδεθεῖ ἡ καρδιά σου.    Ὁ ὑποτακτικὸς τὸν ἄκουγε ἀπολιθωμένος. –Γιὰ τὴν καταστροφὴ τοῦ ρολογιοῦ θὰ χρησιμοποιήσης ἐκεῖνο τὸ μεγάλο γουδί, τὸ πέτρινο, συνεπλήρωσε ὁ Γέροντας.       

Ὁ δόκιμος μοναχὸς ἀπέμεινε σὲ λίγο μόνος. Ἐπίθεση τοῦ διαβόλου, λογισμοί, ψυχολογικὲς ἀντιδράσεις, ἔπεσαν ὅλα μαζί…. Ἐγὼ τὰ ἀπαρνήθηκα ὅλα, ἔκοψα τοὺς δεσμοὺς μὲ τὸν κόσμο καὶ τὴν οἰκογένειά μου ἅπαξ διαπαντός… Πρέπει λοιπὸν νὰ τὸ κοπανίσω καὶ αὐτὸ στὸ γουδὶ τῆς ἀποταγῆς; Μάχη σφοδρὴ μέσα του γιὰ τρεῖς ἡμέρες. Ὅταν ἔφθασε στὴν τέταρτη ἡμέρα πῆρε τὸ ρολόι, τὸ κατεφίλησε, ἔκανε  τὸ  σταυρό  του  κι  ἔλαβε  τὴ  μεγάλη   ἀπόφαση.

-Γέροντα, ποῦ εἶναι τὸ γουδί;  -Νά, ἐκεῖ παιδί μου. –Θὰ σὲ συντρίψω, εἶπε. Ὁ Χριστὸς μᾶς θέλει ὁλοκληρωτικὰ δοσμένους σ’ Αὐτόν. Δὲν θέλει νὰ συνδεόμαστε μὲ τὸν κόσμο οὔτε μὲ μιὰ κλωστή… !
-Τώρα παιδί μου κάνεις γιὰ μοναχός, εἶπε ὁ σοφὸς Γέροντας.»[16]

Ἡ ἀσκητικὴ αὐτὴ ἐμπειρία, μὲ τὴ φαινομενικὴ σκληρότητά της μᾶς ἀποκαλύπτει τὸν τρόπο τῆς ἀποταγῆς ποὺ ὁδηγεῖ στὸν θεῖο ἔρωτα. Σὲ ἕναν ἔρωτα χωρὶς συμβατικότητες. Στὸν ἔρωτα τοῦ Ἀπολύτου. Ἡ λεβεντιὰ τῆς πνευματικῆς ζωῆς ἀπελευθερώνει τὸν πιστὸ ὁ ὁποῖος ἑκουσίως λατρεύει τὸν Κτίσαντα παρὰ τὴν κτίση, τὸν Δωρεοδότη καὶ ὄχι τὸ δῶρο. Καθιστᾶ τὸν κάθε ἕνα ἀπὸ ἐμᾶς ἀπὸ δοῦλο καὶ ἐπαίτη, τέκνο Θεοῦ καὶ ἀπελεύθερο. Εἶναι ἴσως οἱ ὡδῖνες ἐκεῖνες ποὺ χρειάζονται γιὰ νὰ ἀποκοπεῖ ἡ νέα ζωὴ ἀπὸ τὴν παλαιά, εἶναι ἡ νέκρωση τοῦ παλαιοῦ ἑαυτοῦ καὶ ἡ ἀνάδυση τοῦ ἀνακαινισμένου: «Νεκρώσατε οὖν τὰ μέλη ὑμῶν τὰ ἐπὶ τῆς γῆς, πορνείαν, ἀκαθαρσίαν, πάθος, ἐπιθυμίαν κακήν, καὶ τὴν πλεονεξίαν, ἥτις ἐστὶν εἰδωλολατρία, … νυνὶ δὲ ἀπόθεσθε καὶ ὑμεῖς τὰ πάντα… ἀπεκδυσάμενοι τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ  καὶ ἐνδυσάμενοι τὸν νέον τὸν ἀνακαινούμενον εἰς ἐπίγνωσιν κατ' εἰκόνα τοῦ κτίσαντος αὐτόν …, ὅπου τὰ πάντα καὶ ἐν πᾶσι Χριστός.»[17]

Ἀποταγὴ σημαίνει τὸ ἐνθουσιῶδες καὶ μανικὸ δόσιμο τῆς ὕπαρξής μας στὸν Κύριο. Δίνουμε, ἀδελφοί, τὴ σάρκα μας στὸ Θεὸ μὲ τὴ θέλησή μας, ἀναγνωρίζοντας τὸν ἑαυτό μας, τὶς ἐλλείψεις μας, τὰ σκοτάδια καὶ τὶς ὑπαρξιακές μας ρωγμές. Μὲ τὴν ἐφαρμογὴ τῶν ἐντολῶν Του, μὲ τὴν ἀσκητική μας προσπάθεια, τὴν προσευχή, τὴ νηστεία, ἐγγίζουμε τὸν Κύριο καὶ Θεό μας, ὁ ὁποῖος σαρκώνεται μέσα μας, ὄχι ἐπειδὴ τὸ ἀξίζουμε, ἀλλὰ ἐπειδὴ Ἐκεῖνος τὸ ἐπιθυμεῖ.

Ἀποταγὴ σημαίνει ἐμπιστοσύνη στὸ γεγονὸς πὼς ὁ Θεός μου συμπάσχει μὲ τὴ δική μου ὀδυνηρὴ καθημερινότητα, μὲ τὶς δικές μου ἀπογοητεύσεις καὶ ἔχοντας καὶ Ἐκεῖνος «μετάσχει τῶν αὐτῶν»[18] σηκώνει μαζὶ μὲ ἐμένα τὸν σταυρό μου.  Ὁ μέγας καὶ δίκαιος Ἰώβ, ἐξουθενωμένος ἀπὸ τὴν ἀθλιότητά του φτάνει, πρὸς στιγμήν, στὴν ἐκφορὰ ἑνὸς ἔντονου παράπονου, λέγοντας: «οὐ γὰρ εἶ ἄνθρωπος κατ᾿ ἐμέ, ᾧ ἀντικρινοῦμαι, ἵνα ἔλθωμεν ὁμοθυμαδὸν εἰς κρίσιν.  Εἴθε ἦν ὁ μεσίτης ἡμῶν καὶ ἐλέγχων καὶ διακούων ἀνὰ μέσον ἀμφοτέρων»[19].

Καὶ ὅμως ὁ Χριστός μας γίνεται ἄνθρωπος καὶ γίνεται μεσίτης ἀνάμεσα στὸ Θεὸ καὶ στὸν Ἄνθρωπο, μετέχει στὴ δική μας ἀθλιότητα, ὑποφέρει, ραπίζεται, ἐξευτελίζεται, πονᾶ, παθαίνει, πεθαίνει καὶ ἀνίσταται ἀνακαινίζοντας καὶ ἀνανοηματοδοτῶντας τὰ πάντα. Κενώνεται ὁ Θεὸς καὶ Λόγος, ταπεινώνεται γιὰ νὰ μᾶς ἑνώσει μὲ τὴ Θεία Του Ζωή. Ἡ δική μας ἀνταπόκριση εἶναι  τὸ ἄδειασμα ἀπὸ τὰ καλὰ καὶ τὰ ἄσχημά μας, ἀπὸ τὶς ἀρετὲς καὶ τὶς κακίες μας, ἡ δική μας ὑπαρξιακὴ ἠσυχία ποὺ θὰ Τοῦ ἐπιτρέψει νὰ κάνει σάρκα Του τὴ σάρκα μας.

«Καλὸν ἀεὶ σχολάζειν καὶ ζητεῖν τὸν Θεόν, ὡς προσετάγημεν. Κἂν γὰρ κατὰ τὴν παροῦσαν ζωὴν ζητοῦντες ἐπὶ τὸ πέρας ἐλθεῖν τοῦ βάθους τοῦ Θεοῦ οὐ δυνάμεθα, ἀλλ᾿ ἴσως καὶ ἐπ᾿ ὀλίγον τοῦ βάθους αὐτοῦ φθάνοντες, θεωροῦμεν ἁγίων ἁγιώτερα καὶ πνευματικῶν πνευματικώτερα.»[20]

 Χριστούγεννα, λοιπόν, γιὰ πάντα ἀγαπητοί μου!

 

[1] «Καὶ νῦν» Μεσῳδίου Καθίσματος Ὄρθρου Κ’ Δεκεμβρίου, Μηναῖον Δεκεμβρίου, ἔκδ. Ἀποστολικῆς Διακονίας, ἐν Ἀθήναις, ἔκδ. Γ 2009, σελ. 366.

[2] Λουκ. 14,16-24.

[3] Ἡσ. 9,6.

[4] Στιχηρὸ Ἰδιόμελο τῆς Ἑορτῆς,Ἦχος πλ. δ', Συγκαταβαίνων ὁ Σωτήρ, Ἑσπερινὸς Α’ Ἰανουαρίου, Μηναῖον Ἰανουαρίου, ἔκδ. Ἀποστολικῆς Διακονίας, ἐν Ἀθήναις, ἔκδ. Γ 2009, σελ. 8.

[5] Γ’ ᾨδή, Ὄρθρος Κυριακῆς, Ἦχος βαρύς.

[6] Θεοφύλακτος Βουλγαρίας, Περὶ  τῶν  καλουμένων  ἐν  τῷ  δείπνῳ, κεφ. ΙΔ΄, P.G.123, 936C.

[7] Λουκ. 14,23.

[8] Εἶναι ἐδῶ ἐξαιρετικῆς θεολογικῆς σημασίας ἡ ἐπισήμανση τοῦ Θεοφυλάκτου Βουλγαρίας ὅτι ὁ ἀποστελλόμενος δοῦλος τῆς παραβολῆς τῶν κεκλημένων στὸ μεγάλο Δεῖπνο (Λουκ. 14,16-24) εἶναι ὁ ἴδιος ὁ Χριστός, ὁ Υἱὸς τοῦ Θεοῦ. P.G. 123, 936A.

[9] Ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε. Γαλ. 3, 27.

[10] Ὁ Edgar Allan Poe στὸν πρόλογο τῶν νεανικῶν του ποιημάτων, στὴν ἔκδοση τοῦ 1831, κάνει μιὰ θαυμάσια κριτικὴ τῶν ἀμύητων στὴν ποίηση ἀνθρώπων, ποὺ ἐπιμένουν νὰ ἔχουν εὔκολη ἄποψη γιὰ ὅλα, τοὺς ὁποίους ὀνομάζει ἠλιθίους ἐπειδή, μὴ ἔχοντας σταθεῖ στὶς κορυφὲς τῶν Ἄνδεων, κρίνουν ὑψιπέτες ἀετούς. Edgar Allan Poe, Ποιήματα τὰ νεανικά, GUTENBERG, 2015, σελ. 19.

[11] Προεόρτιο Στιχηρὸ Ἰδιόμελο τῆς Ἑορτῆς, Ἦχος α’, Ἑσπερινοῦ Κ’ Δεκεμβρίου, Μηναῖον Δεκεμβρίου, ἔκδ. Ἀποστολικῆς Διακονίας, ἐν Ἀθήναις, ἔκδ. Γ 2009, σελ. 357.

[12] Ἀρχιμ. Αἰμιλιανοῦ Σιμωνοπετρίτου, Λόγοι ἑόρτιοι μυσταγωγικοί, Ἴνδικτος 2014, σελ. 323.

[13] Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico Philosophicus, ἐκδόσεις Παπαζήση, 1978, σελ. 47.

[14] Κολ. 3,4.

[15] ᾨδὴ θ΄, Κανὼν Ἰαμβικὸς  Ἰωάννου Μοναχοῦ, «Τύπους ἀφεγγεῖς καὶ σκιὰς παρηγμένας,/ Μῆτερ ἁγνή, τοῦ Λόγου δεδορκότες,/Νέου φανέντος, ἐκ πύλης κεκλεισμένης,/Δοξούμενοί τε, τῆς ἀληθείας φάος,/ἐπαξίως σὴν εὐλογοῦμεν γαστέρα», Μηναῖον Δεκεμβρίου, ἐκδ. Ἀποστολικῆς Διακονίας, ἔκδ. Γ, ἐν Ἀθήναις 2009, σελ. 517.

[16] Ἀρχιμ. Χερουβίμ, Ἀπὸ τὸ Περιβόλι τῆς Παναγίας, Νοσταλγικὲς Ἀναμνήσεις, Ι. Μ. Παρακλήτου, Ὠρωπός, 2000, σελ. 211-213.

[17] Κολ. 3, 5-11.

[18] Ἑβρ. 2,14.

[19] Ἰώβ, 9,33.

[20] Ἁγίου  Μαξίμου  Ὁμολογητοῦ, ἑκατοντὰς  δευτέρα  ιθ’,  Φιλοκαλία  τῶν  Ἱερῶν Νηπτικῶν, Ἱ. Μ. Κοιμήσεως Θεοτόκου Μπούρα, Ἀρκαδία 2012, τομ. Γ’, σελ. 234.

Liebe und Ehe aus Sicht der Orthodoxen Kirche

Liebe und Ehe aus Sicht der Orthodoxen Kirche

Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios
von Austria

Die orthodoxe Position über Liebe und Ehe schließt mit Entschiedenheit und unzweifelhaftem Willen an die Idee der Menschenrechte an, wie sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948 proklamiert wurden und welche sich allmählich zur Grundlage eines sogenannten „Weltethos“[1] entwickelt haben. Die Menschenrechte, wie sie heute als Rechte von allgemeiner Gültigkeit verstanden werden, haben als Grundlage die Menschenwürde, eine Idee, welche sowohl in der biblischen als auch in der patristischen Tradition tief verwurzelt ist.

Die Menschenwürde hängt mit nichts Anderem unmittelbarer als mit der Tatsache zusammen, dass allein der Mensch nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffen ist.[2]

Ich möchte hier den von dem berühmten Theologen Claus Westermann angeführten Kommentar zu der betreffenden Bibelstelle wörtlich zitieren: „Damit ist dem Menschen eine Würde verliehen, die in seinem Geschaffensein von Gott begründet ist. Dabei ist wohl zu beachten, dass die Gottebenbildlichkeit nicht etwa dem Menschengeschöpf noch dazu verliehen wird; sie ist explikativ gemeint: damit, dass der Mensch von Gott geschaffen ist, ist er zu Gottes Ebenbild geschaffen. Diese dem Menschen mit seinem Geschaffensein verliehene Würde ist vollkommen unabhängig von allen möglichen Unterschieden zwischen Menschengruppen, von völkischen, religiösen, rassischen und sozialen Unterschieden. Sie eignet dem Menschen jenseits aller dieser Differenzierungen.“[3]

Die Stelle aus Gen 1,26 mit der Schlussformel „lasset uns Menschen machen“ hebt die Erschaffung des Menschen aus dem übrigen Schöpfungswerk heraus und weist auf die Besonderheit der menschlichen Existenz hin. Der Mensch wird dabei nicht das kontingente Produkt einer unpersönlichen Schicksalsmacht, sondern das Ergebnis einer lebendigen Person, einer Intention, eines freien Entschlusses. All das macht als Konsequenz nicht nur den personalen Gott aus, sondern auch den Menschen, worin er sich vom Rest der Schöpfung unterscheidet.

Περισσότερα...Wenn man das besondere Verhältnis Gottes zum Menschen als ein Gemeinschaftsverhältnis auslegt, dann wird noch deutlicher, dass alles, was ein solches Verhältnis stören würde, a prioriverwerflich und unheilig ist. Jeder Mensch hat als persönliches Werk Gottes das Recht auf ein persönliches Verhältnis zu seinem Schöpfer, was natürlich noch offensichtlicher macht, dass jede Art von Diskriminierung eines Mitmenschen vor allem das Verhältnis Gottes zu diesem Mitmenschen berührt. Fazit: Alle Menschen sind gleich, weil alle von dem einen Schöpfer und unter denselben Bedingungen, d. h. aus dem Nicht-Seienden (creatio ex nihilo), geschaffen sind.

Die alttestamentliche Konzeption über die Würde aller Menschen und deren Gleichheitvor Gott setzt sich im Neuen Testament weiter fort: „Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind alle Sünder und haben die Herrlichkeit (δόξα) verloren, die Gott ihnen zugedacht hat, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist[4] (…) Ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude oder Grieche, hier ist nicht Sklave oder Freier, hier ist nicht Mann oder Frau. Denn ihr seid alle Einer in Christus Jesus.“[5]

Diese Vorstellung von einer besonderen Würde, die allen Menschen zukommt und die alle Menschen unabhängig von ethnischer Herkunft oder sozialer und rechtlicher Stellung teilen, gehört auch zu den Grundlagen der Ethik der Väter der Kirche. In der Auslegung von Mt 25, 31-46 (insbesondere 25, 40) verwahrt sich der heilige Johannes Chrysostomos gegen eine Begrenzung christlicher Hilfe auf die christlichen Brüder unter Hinweis auf die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen und die gemeinsame Teilhabe an der menschlichen Natur. Deutlich wird diese gemeinsame Natur zum Bezugspunkt für die Gleichheit aller Menschen auf universaler Ebene: „Denn die Gnade ist auf alle ausgegossen und verschmäht nicht Juden, Griechen, Barbaren, Skythen, nicht den Freien, den Sklaven, Männer, Frauen, den Alten und den Jungen. Alle werden auf gleiche Weise zugelassen und eingeladen nach Maßgabe gleicher Würde.“[6]

Der bewusste Respekt für die Würde (dignitas) jeder menschlichen Person zeigt sich nach Johannes Chrysostomos vor allem in der Liebe für den Nächsten (πλησίον), und selbst für den Feind, nicht nur durch Worte, sondern durch Taten. Dieser Ausdruck von Liebe sei Anfang und Ende der Tugend.[7] Die Liebe zum Mitmenschen stellt auch in neuerer Zeit bei dem berühmten Schweizer Pädagogen J. Pestalozzi den Kernpunkt des pädagogischen Systems dar: „Liebe, und eine mit Liebe im Kinde entquellende Geistestätigkeit sind also offenbar der gemeinschaftliche positive und unveränderliche Anfangspunkt, von welchem die Entwicklung aller Anlagen zu unserer Veredlung ausgeht und ausgehen muss.“[8]

Wenn die Liebe zum Mitmenschen die Quintessenz der christlichen Ethik ist, dann ist jeder Christ, und vor allem die Kirche verpflichtet, jede Entscheidung dieses Mitmenschen in Hinsicht auf die Gestaltung seines Lebens oder seiner sexuellen Vorlieben völlig zu respektieren, weil die Kirche einfach das von Anfang an dem Menschen von Gott angelegte Geschenk respektiert, nämlich sich frei für die eine oder die andere Alternative zu entscheiden. Gott machte den Menschen bei der Schöpfung zum Herrn über das Gute oder das vom Guten Abweichende und unterstellte alles der eigenen Meinung, der freien Entscheidung und dem eigenen Willen des Menschen.

Περισσότερα...Die Kirche nimmt nach der orthodoxen Auffassung also aus tiefster Überzeugung jeden Menschen, unabhängig von seiner Stellung innerhalb der Gesellschaft oder seiner sexuellen Präferenz und Orientierung in ihrem Schoß auf. Sie tut es nicht aus Zwang, sondern aus freiem Willen und echter Liebe zum Mitmenschen, weil sie glaubt, dass jeder Mensch, also auch derjenige, der sich für eine andere Form der Sexualität als die von Natur aus dem Menschen zugedachte entschieden hat, den vollen Respekt und Achtung als Gottes persönliches Geschöpf genießen muss. Die Kirche freut sich sogar und muss sich über diejenigen Menschen freuen, die sich trotz ihrer sexuellen Vorlieben, welche nicht dem traditionell von der Kirche vertretenen Vorbild entsprechen, in vielen Bereichen des Lebens, wie z. B. in der Kunst, der Wissenschaft oder der Politik auszeichnen und durch ihre Lebensweise das Gute zu tun versuchen.

 

Die Orthodoxe Kirche präsentiert ein christliches Lebensmodell, das auf dem Evangelium und seiner Lehre gründet. Diese Lebensweise ist eine Idealvorstellung, der man freiwillig nachfolgen kann oder eben auch nicht. Eine von dieser Idealvorstellung abweichende Lebensweise wird von der Kirche respektiert, aber stimmt nicht mit ihrer Lehre überein. Diese abweichenden Lebensweisen können nicht als mit der orthodoxen Vorstellung von der Heiligkeit der Eheschließung zwischen Mann und Frau gleichrangig betrachtet werden.

Die christliche Vorstellung für die höchste und vollständige Form des „Mit-einander-Seins“, des „Einander-leiblich und seelischen-Begegnens“ ist nach dem Glauben der Kirche nur in der liebenden, von Gott gesegneten Verbindung zwischen Mann und Frau zu sehen. Das ist, was Ehe in ihrem Kern bedeutet: Die von Gott gesegnete freiwillige Verbindung von Mann und Frau, mit dem Ziel, sich gegenseitig zu erfüllen und mit der Potenzialität, Kinder zu zeugen, d. h. neue Menschen mit dem Segen und der Hilfe Gottes ins Sein zu bringen und später der Gesellschaft zu übergeben.

In der christlichen Vorstellung von Ehe und Familie hängen beide Begriffe unmittelbar mit der Verbindung zwischen Mann und Frau zusammen. Warum? Weil das die Lehre der Bibel, des Evangeliums Jesu Christi, die Lehre der heiligen Väter ist: „Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“.[9] Das ist die Quintessenz des Einander-Erfüllens / Voneinander-Erfüllt-Seins. Jede Abschweifung von der von Gott gegebenen und bestimmten Art von Beziehung zwischen Mann und Frau wird deutlich in der Bibel abgelehnt. Johannes Chrysostomos unterstreicht die Wichtigkeit der Vereinigung zwischen Mann und Frau als „echte Lust“, die den Bedingungen der Natur entspricht.[10]

Die Ehe hat dem christlichen Verständnis nach einen sehr wichtigen sakramentalen Charakter: „Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, wie auch der Christus die Gemeinde. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Deswegen wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist groß, ich aber deute es auf Christus und die Gemeinde.“[11]

An dieser Stelle findet die Heiligkeit der Institution der Ehe und des familiären Lebens als Grundstein, auf dem sich die heilige Beziehung der Ehepartner stützt, ihre Begründung. In dem Ehebund erhält jedes Glied, der Mann und die Frau, seine existentielle Fülle unter der unabdingbaren Voraussetzung, dass sie die Ehe- und Hausgemeinschaft auf die Liebe und Hingabe (ἀγάπη) gründen. Nicht nur das Begehren (ἔρως) schafft die Ehegemeinschaft, sondern die Liebe, das Sich-für-den-Anderen-Opfern (θυσία), für den Anderen zu jeder Zeit – sei es eine günstige oder eine schwierige – da zu sein. Die Familie ist wiederum das organische Zentrum zur Verwirklichung der Liebe (ἀγάπη), die alle Gemeinschaft trägt.

Quelle und Maß aller menschlichen Liebe (ἀγάπη) ist im Neuen Testament die Gottesliebe. Der Epheserbrief führt diesen Gedanken weiter aus: das Vorbild aller ehelichen Liebe ist dem Christen die Liebe Christi zu seiner Gemeinde. Wie sich Christus als Haupt der Kirche für sie opfert und durch sein Opfer deren Heil erfolgt, genau so führt der Mann seine Frau als deren Haupt auf geheimnisvolle Weise zum Heil, da sie etwas aus seinem Dasein ist. In der christlichen Ehe zwischen Mann und Frau spiegelt sich die geheimnisvolle Bindung zwischen Christus und seine Kirche wider. Der Mann ist das Abbild des Bräutigams Christus und sieht in der Person seiner Frau die Kirche als Braut. Diese Vorstellung von Christus als dem Ehe-Herrn liegt der Haustafel des Epheserbriefs zugrunde. In Eph. 5, 31 ist der Gedanke typologisch zu Ende gedacht, das Genesiswort vom Drange des Mannes zur Frau und der Vereinigung (Henosis) der Ehegatten wird als ein „großes Geheimnis“ erklärt und auf Christus und die Kirche bezogen. Diese typologische Deutung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau und dessen Zurückführen auf das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche ist bei berühmten hochgelehrten Kirchenvätern, wie z. B. bei dem heiligem Gregor von Nyssa, vorzufinden.

In dem berühmtesten seiner hermeneutischen Werke, der Auslegung des Hoheliedes der Liebe, wird der erotische Drang der menschlichen Seele zu Christus dem erotischen Drang einer Braut zum ihrem Bräutigam gegenübergestellt. Der erotische Drang des zu Gott emporstrebenden Menschen wird immer mit zwei Objekten unterschiedlichen Geschlechts in Zusammenhang gebracht. Wie jeder Bräutigam zieht Christus seine Braut (die menschliche Seele) zu einem endlosen Liebesverhältnis heran, und die Braut erwidert die Gefühle ihres Bräutigams, indem sie sich auf ein endloses Streben nach ihm einlässt. Die zum eigentlichen Guten und Schönen schauende Seele findet in ihm immer wieder etwas Neueres und noch Wunderbares: „Es kommt niemals zu einem Stillstand im Verlangen nach dem Schauen, weil das in Aussicht Stehende bestimmt großartiger und göttlicher als das bereits Gesehene ist.“ Deshalb hört die Braut in ihrer Bewunderung und in Ihrem Erstaunen nicht auf, weiter nach ihm zu streben, und dies hat kein Ende.[12]

In der Auslegung des Hoheliedes der Liebe durch berühmte Väter der Kirche (Origenes, Gregor von Nyssa) wird das mystischen Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche mit der liebenden-leidenschaftsvollen Zuneigung eines Bräutigams zu seiner Braut verglichen, was deutlich darauf hinweist, dass in der patristischen Tradition bei der echten Art von Liebe und des erotischen Verbindens immer an die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau gedacht wurde. Dieses erotische Verbinden, dieses Liebend-Einander-Begegnen, findet seine mystische Zuspitzung im sakramentalen Leben der Kirche, im Sakrament der Ehe, weil die Ehe ein Geheimnis der Liebe ist. Nur in einer auf der Tugend gestützten Ehe kann man echte Liebe, Ruhe und sein Glück finden. Die Ehe hat nach Johannes Chrysostomos die Funktion eines „Hafens der Besonnenheit“, das beide Ehepaare vor jedem Sturm (Ungestüm der Natur) schützt.[13] Der Sturm entsteht, wenn es zu Übertreibungen kommt: Das ist zum Beispiel der Fall bei einem Übermaß an Enthaltsamkeit. In seinem Kommentar von 1 Kor. 7, 5 äußert sich der Heilige Vater zu diesem Thema: „Christus hat angeordnet durch den Mund des Paulus, dass sich beide Ehegatten nicht einander entziehen dürfen; manche Frauen aber haben sich mit dem angeblichen Wunsch der Enthaltsamkeit, als ob sie etwas Frommes machten, von ihren Männern entfernt und haben sich selbst zum Ehebruch und ins Verderben geführt.“[14]

„Jeder darf sich dem Anderen außer im gegenseitigen Einverständnis nicht entziehen. Was soll das heißen? Weder die Frau, sagt Paulus, darf sich ihrem Mann entziehen, wenn es seinem Willen nicht entspricht, noch darf der Mann sich seiner Frau entziehen, wenn seine Frau es nicht will. Aus welchem Grund? Weil sich aus dieser Enthaltsamkeit viel Böses ergibt; weil sich daraus viele Ehebrüche, viel Unzucht und Familienzerstörungen ergeben haben.“[15]

Also alles mit Maß. Sich innerhalb der Ehe einander zu entziehen, widerspricht der Natur der Ehe, die eigentlich das Seelisch- und Leiblich-Einander-Begegnen zwischen Mann und Frau bedeutet. Ein solches sexuelles Verhalten entspricht der Natur der Ehe, und alle Menschen neigen von Natur aus dazu , weil jeder Mensch aus dem liebenden Verkehr zweier Menschen ins Sein gekommen ist! Gregor von Nyssa äußert sich deutlich dazu: „Ich weiß wohl, dass auch die Ehe der Segnung Gottes nicht ermangelt. Denn ein ausreichender Fürsprecher für die Ehe ist die allgemeine Natur der Menschen, welche all denen, die durch die Ehe ins Leben kommen, diese Neigung dazu automatisch eingeflößt hat.“[16]

Im patristischen Bewusstsein wird also auch anhand des biblischen Zeugnisses die Beziehung zwischen Mann und Frau als natürliches Verhalten betrachtet. Jede andere Art von Beziehung steht im Widerspruch mit dem natürlichen Ablauf der Natur.

Dieses unerschütterliche Festhalten der Orthodoxen Kirche an der Ehe zwischen Mann und Frau bedeutet zugleich keine Missachtung oder Verurteilung derjenigen Brüder in Christus, welche entschieden haben, eine andere Art von Leben zu führen. Die Orthodoxe Kirche weist gegenüber diesen Personen nicht nur eine Haltung von Toleranz auf. Toleranz ist mehr als eine Idee. Sie ist nicht mit der Ethik des Mit-Leidens, das in der patristischen Tradition von ausschlaggebender Bedeutung zur Überwindung einer Schwäche ist, zu verwechseln. Toleranz bedeutet für die Orthodoxe Kirche Akzeptanz oder genauer gesagt Respekt der freien Entscheidung des Anderen. Die Kirche steigt herab zu den Schwächen jedes einzelnen Menschen, empfindet Mitleid für ihn, betet für ihn, arbeitet mit ihm zusammen, sodass er seine Schwächen überwinden kann. Die Kirche hält sich nicht von dem Menschen, der eine andere Gesinnung und Lebensweise als sie vertritt, fern, sie weist ihn nicht ab, sondern versucht, ihm in heilsamer, gerechter Weise die richtige Motivation zu einer Lebensänderung zu geben. Im Fall eines Scheiterns ihres Versuches, wenn sich der Andersdenkende für einen anderen Kurs in seinem Leben entscheidet, überlässt die Kirche das Werk dem Heil Gottes.

Der Weg zu Gott besteht im ständigen Kampf gegen unsere Schwächen, im ständigen Bemühen, sich selbst zu übertreffen. Im weiteren Streben nach der Überwindung unserer Schwächen, der kleinen und großen, liegt eigentlich der wahre Genuss, nicht in der Erreichung des Zieles selbst: „darin besteht in Wahrheit das Gottschauen, dass derjenige, der zu Gott aufschaut, nie von seinem Verlangen lässt“.[17]

Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Überlieferung der Kirche in ihrer tiefschürfenden Weisheit – durch das Sakrament der Ehe und der heilige Institution der Familie als „Hauskirche“ – seit jeher eine existentielle Wahrheit gelehrt hat, welche die jungen Generationen heute wieder zu entdecken scheinen, und so erfährt, dass Freude nicht gleich Genuss ist. Der Genuss „füllt“, aber nährt und sättigt nicht. Er lässt den Menschen immer hungrig und hinterlässt schließlich im Herzen des Menschen eine schreckliche Leere, von welcher manche Menschen leider denken, dass nur der Tod in der Lage wäre, sie zu besänftigen. Die Wahrheit, an welche uns Christus erinnert, ist ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft, ein Stern für das Morgen. Die Freude wird nicht aus dem Genuss geboren, sie entspringt vielmehr aus einem Leben der tief verwurzelten Kommunion und daraus, dass man für das geliebt wird, was man ist, jenseits aller Komplexe und Maskeraden.

Die Freude entspringt aus der Tatsache, sich von jemandem ohne Bedingungen geliebt zu fühlen, seine beste Seite in Bezug auf Intelligenz, Herz und Willen in einer authentischen Beziehung ausdrücken zu können. Die Freude ist eine Frucht der Liebe, welche der Mensch für Gott empfindet und welche er „aus ganzem Herzen, ganzer Kraft und ganzer Seele“ durch seine Existenz und fleischliche Liebe zum Ausdruck bringt. Diese Freude jedoch benötigt viel Zeit und Geduld, um ihre Vollständigkeit zu erreichen.

† Metropolit Arsenios von Austria

Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Österreich

Fußnoten:



[1] Vgl. H. Küng/J. Hoeren, Wozu Weltethos? Religion und Ethik in Zeiten der Globalisierung. Hans Küng im Gespräch mit Jürgen Hoeren, Herder Spektrum 5227, Freiburg/Basel/Wien 2002.

[2] Gen 1,26f; Vgl. Gen 9,6. Zum εἰκών siehe G. v. Rad, Art. εἰκών. D. Die Gottesebenbildlichkeit im: ThWNT 2 (1935), 388, H. Wildberger, Das Abbild Gottes Gen 1, 26-30, in: ThZ 21 (1965), 245-260; Der Mensch als Bild Gottes (Hg.), L. Scheffczyk, in:Wege der Forschung Bd. CXXIV, Darmstadt 1969.

[3] Das Alte Testament und die Menschenrechte: Jörg Baur (Hg.), Zum Thema Menschenrechte Theologische Versuche und Entwürfe, Stuttgart 1977, 7.

[4] Röm. 3, 22-24.

[5] Gal. 3, 27f.

[6] Hom. in Joh 8, 1 (PG 59, 65, 33-38). Vgl. auch Max. Conf., Questionae ad Thalassium15, PG 90, : ‘’τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον, οὐδενὸς ἄπεστι τῶν ὄντων· καὶ μάλιστα τοῦ λόγου καθοτιοῦν μετειληφότων’’.

[7] Epist. ad Cor., Hom XXIII, 3, PG 60, 619. ‘’ἀρχή καὶ τέλος τῆς ἀρετῆς’’.

[8] Pestalozzi, Ansichten und Erfahrungen, 4 Brief, 6 (Ausg. Werke, 3 Bd., S. 332-333).

[9] Mk 10, 6-9. Vgl. Gen. 1, 24.

[10] Vgl. PG 60, 416-417. ‘’ἡ γὰρ γνησία ἡδονὴ ἡ κατὰ φύσιν ἐστίν΄΄.

[11] Eph. 5, 32

[12] Vgl. Greg. Nyss., Hom. 11 (zu Cant. 5, 2c-f).

[13] Vgl. De Virginitate 9, 1: λιμήν … σωφροσύνης τοῖς βουλομένοις αὐτῷ χρῆσθαι καλῶς, οὐκ ἀφιεὶς ἀγριαίνειν τὴ φύσιν.

[14] In Math. Evangellium Hom. 86, PG 58, 768

[15] Hom. 19, PG 61, 152.

[16] De Virg. 7 PG 46, 353: οὐ γὰρ ἀγνοοῦμεν ὅτι καὶ οὗτος τῆς τοῦ θεοῦ εὐλογίας οὐκ ἡλλοτρίωται. Ἀλλ’ ἐπειδὴ τούτου μὲν αὐτάρκης συνήγορος καὶ ἡ κοινὴ τῶν ἀνθρώπων φύσις ἐστὶν αὐ­τό­μα­τον τὴν πρὸς τὰ τοιαῦτα ροπὴν ἐντιθεῖσα πᾶσι τοῖς διὰ γάμου προϊοῦσιν εἰς γένεσιν…

[17] Greg. Nyss., Vita Moysis PG 44, 404A. ‘’ἐν τούτῳ ὄντος τοῦ ἀληθῶς ἰδεῖν τὸν θεόν, ἐν τῷ μὴ λῆξαι ποτε τῆς ἐπιθυμίας τὸν πρὸς αὐτὸν ἀποβλέποντα’’.

 

 
 

Das Prinzip der Toleranz und seine theologische und praktische Bedeutung für die Orthodoxie heute

Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios von Austria

mit dem Titel „Das Prinzip der Toleranz und seine theologische und praktische Bedeutung für die Orthodoxie heute“

am Orthodoxen Studientag an der KPH Wien/Krems am 7. November 2013

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wenn die Liebe und vor allem die Nächstenliebe die Quintessenz der christlichen Ethik ausmacht, da sie „alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, allem standhält“[1], dann gewinnt die Idee der Toleranz als gegenseitige „Anerkennung“ von Überzeugungen, Weltanschauungen und Bekenntnissen im heutigen Rahmen der interkonfessionellen und interreligiösen Begegnung mehr an Plausibilität und an Bedeutung.

Denn ein solches Verständnis dieses Gedankens setzt ein von kulturgeschichtlichen und religionsgeistigen Entwicklungen geprägtes Bewusstsein voraus. Ein solches Verständnis von Toleranz, das man dialogische Toleranz[2] nennen könnte, zielt darauf ab, das Ideal einer interkulturellen und interreligiösen Begegnung zu entwickeln.

Diese Begegnung ist durch den gegenseitigen Respekt der verschiedenen religiösen Gruppen gekennzeichnet. Diese Vorstellung von Toleranz versucht, den inneren Widerspruch zu entschärfen. Denn Toleranz ist eigentlich ein Konfliktbegriff. Ich toleriere etwas zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Dieser Punkt markiert, was nicht mehr akzeptiert werden kann, was eigentlich nicht sein sollte oder zumindest unerwünscht ist.

Die Herausforderung liegt also darin, wie eine Religion, in deren Kernbereich ein Wahrheitsanspruch zu finden ist, mit dem Begriff der Wahrheit umgehen soll. Das Verständnis der Orthodoxen Kirche von der Wahrheit verbindet sich mit drei gewichtigen Grundannahmen:

Die erste Grundannahme ist: Der Apophatismus.[3] Das heißt, dass die Wahrheit den Weg, durch den wir Aussagen über sie machen können, radikal transzendiert. Diese Auffassung der Wahrheit wurde von den Vätern der Kirche übernommen: „Die Natur Gottes ist unaussprechlich“ (ἄφραστος γὰρ ἡ φύσις τοῦ ὄντος).[4]

Die zweite Grundannahme ist: Die Ekklesiologie. Die Wahrheit ist dem orthodoxen Verständnis nach ein Ereignis und Resultat einer Gemeinschaft mit dem Anderen, dem Nächsten. Sie wird nicht von oben durchgesetzt, sondern sie entsteht aus dem freien Umgang der Gläubigen innerhalb des Körpers der Kirche.[5] Aus diesem Grund werden die Dogmen der Kirche nur zu absoluten Wahrheiten, wenn sie von dem ganzen Corpus der Kirche aufgenommen sind.[6]

Die dritte Grundannahme ist: Die Eschatologie. Die Wahrheit enthüllt sich in ihrem vollem Ausmaß in den letzten Zeiten, in denen, dem Apostel gemäß, Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen werden wird. Diese Vorstellung führt der berühmte Kirchenvater Maximus Confessor mit dem folgenden Satz ins Feld: „Schatten sei alles, was das Alte Testament uns erzählt, Abbild sei das vom Neuen Testament Fortgeführte, Wahrheit sei der Zustand all dessen, was in der Zukunft kommt“.[7]

Diese drei vorgeführten Hauptansichten der orthodoxen Position relativieren nicht die Wahrheit als Größe in ihrer geschichtlichen Gestalt. Sie erweitern vielmehr den Rahmen, in dem man sich bewegen kann, wenn man von den heiligen Schrift-Texten und den religiösen Dogmen reichlichen Gebrauch macht.

Unter Berücksichtigung einer solchen Konzeption von der Wahrheit erweist sich der Andere in den Augen der orthodoxen Theologie nicht einfach als erträglich. Der Andere ist sozusagen »erträglich« im Rahmen eines friedlichen Zusammenlebens, in dem die Zusammenarbeit und die gemeinsamen Anstrengungen für die Einheit der Christen wesentlich sind.

Ein solches Verständnis von der tolerierenden Haltung konkretisiert sich im folgenden Verhalten: Ich bin, wer ich bin. Ich glaube an die Richtigkeit meiner Ansichten und meiner Überzeugungen. Ich bete für das Gute des Anderen und bemühe mich ernsthaft im Rahmen einer friedlichen Koexistenz und eines bereichernden Meinungsaustausches, ihm das näher zu bringen, woran ich glaube. Zugleich erkenne ich ihm das Recht zu, das Gleiche für mich zu tun.

Eine solche Art von Toleranz ist die richtige Haltung gegenüber denjenigen, die einer anderen Glaubensüberzeugung sind. Toleranz bedeutet Toleranz gegenüber ihren Ideen und Ansichten. Eine solche Haltung stützt sich auf die Liebe zum Mitmenschen.

Die Idee der Toleranz geht also dem orthodoxen Verständnis nach viel tiefer als das, was das Mailänder Toleranzedikt von 313 damals beinhaltete. Das orthodoxe Verständnis von Toleranz im Sinne eines brüderlichen Umgehens ist Ausdruck des apostolischen Glaubens. Es entspricht dem ständigen Bemühen der orthodoxen Kirche, im Laufe der Geschichte immer für die Wiederherstellung der christlichen Einheit und die Etablierung des Friedens weltweit einzutreten. Es stützt sich auf eine tief in die Lehre des Evangeliums und der Kirchenväter verwurzelte gewichtige Idee. Als Fundament für die Völkerversöhnung ist die Würde der menschlichen Person als persönliches Geschöpf Gottes unerläßlich.

Der Mensch war und ist für die Orthodoxe Kirche immer der eigentliche Gegenstand ihrer Sendung in der Welt und in der Heilsgeschichte. Die besondere Würde des Menschen lässt sich an den Worten des Basileios des Großen erkennen: „Verzweifle also nicht an dir selbst und lasse nicht alle frohe Hoffnung fahren, weil du nichts von dem hast, was in diesem Leben wünschenswert ist. Weise vielmehr deine Seele hin auf jene Güter, die Gott dir schon zuteilwerden ließ und die laut Verheißung später für dich aufbewahrt sind. Fürs Erste bist Du ein Mensch, allein von den Lebewesen von Gott gestaltet (θεόπλαστον).“[8]

Ebenbildlichkeit und die Möglichkeit und innere Neigung zur Angleichung an Gott machen also zusammengenommen die besondere Würde des Menschen aus. Diese Lehre über den universalen Charakter der Menschenwürde wird besonders bei Johannes Chrysostomos zum Ausdruck gebracht: „Denn die Gnade ist auf alle ausgegossen und verschmäht nicht Juden, Griechen, Barbaren, Skythen, nicht den Freien, den Sklaven, Männer, Frauen, den Alten, den Jungen. Alle werden auf gleiche Weise zugelassen und eingeladen nach Maßgabe gleicher Würde“.[9]

Diese in der patristischen Tradition verwurzelte Vorstellung von einer besonderen Würde, die allen Menschen zukommt und alle Menschen unabhängig von ethnischer Herkunft oder sozialer und rechtlicher Stellung teilen, ist die unerschöpfliche Quelle allen heutigen christlichen Bemühens zum Schutz des Wertes und der Würde der menschlichen Person. In diesem Geist der Anerkennung der Heiligkeit des menschlichen Daseins fühlt sich heute die orthodoxe Kirche aufgerufen, zur interreligiösen Verständigung und Zusammenarbeit zur Beseitigung von jeglichem Fanatismus beizutragen. Damit fördert sie maßgeblich die Verbrüderung der Völker und die Durchsetzung der Güter der Freiheit und des Friedens in der Welt zum Wohle des heutigen Menschen unabhängig von Rasse und Religion.

Es versteht sich dabei aber von selbst, dass diese Zusammenarbeit jeden Versuch ausschließt, irgendeine Religion oder Konfession anderen aufzuzwingen.[10]Eine Durchsetzung der eigenen Werte, Sitten und Gebräuche auf eine andere religiöse oder konfessionelle Gruppe entspricht dem heutigen Sinn der Idee der Toleranz überhaupt nicht. Im Gegenteil, das gegenseitige Respektieren der Eigenart und der kulturellen Besonderheit des Anderen kann zu einer versöhnten Verschiedenheit führen und sich damit als produktiv erweisen.

Die Geschichte lehrt uns, dass das Tolerieren im Sinne des Respektierens der kulturellen Besonderheit einer anderen Konfession die Kirchen näher bringen kann, als das heute manchmal der Fall ist. Der Patriarch Photios von Konstantinopel deutet in seinem liebenden Brief an den damaligen Papst Nikolaos eine tolerierende Haltung der liturgischen Praxis der lateinischen Kirche gegenüber an, die sich als belehrend für die praktischen Auswirkungen der Toleranz heuzutage erweisen könnte: „ … die Verschiedenheit und Vielfalt in der liturgischen Praxis stand uns nicht im Wege, die einzigartige und zur Vergöttlichung führende Gnade des Heiligen Geistes ohne Vermehrung und ohne Veränderung in sich bei dem dort Vollendeten aufzunehmen“.[11] Verschiedene Traditionen im praktischen Leben der Christen können also nebeneinander jahrhundertelang bestehen und als legitime Vielfalt toleriert werden. Diese tolerierende Annäherung der Verschiedenheit kann zu einem Faktor von Erneuerung werden, und kann dazu beitragen, sich wieder in die Umstände zu vertiefen, wodurch sich das Christentum spaltete und daraus konkrete Ergebnisse abzuleiten.

Durch den Patriarchen Photios lernen wir auch, was der Sinn der Toleranz ist, besonders wenn man mit dem Andersgläubigen zu tun hat: „Denn der Ungläubige ist geheiligt worden. Und sogar auch den Ungläubigen zu tolerieren und ihn nicht davon abzuhalten, mit dem Gläubigen umzugehen liegt dem nahe, was auf Frömmigkeit gerichtet ist. Aber man könnte sagen, es kann sein. Nun indem man sich auch dasselbe im Blick auf den Gläubigen vorstellt, könnte man sagen, dass er dem nahe liegt, was sich auf die Gottlosigkeit richtet. Dazu aber sagen wir, dass es nicht das Gleiche ist. Man würde sagen ganz und gar nicht. Einerseits, indem der Gläubige mit dem Ungläubigen zusammenlebt, erfüllt er dadurch den Auftrag und das Gesetz des Glaubens, sodass er sich in dieser Weise den Glauben stärker zu eigen gemacht und sich von der Ungläubigkeit entfernt hat. Der Ungläubige andererseits, da er allein durch die Liebe zu dem, mit dem er den Umgang hält, angebunden ist, löst diese Bindung nicht auf, und indem er kein Gesetz, das aus seiner eigenen Ungläubigkeit resultiert, erfüllt, wird er irgendwann, indem er Liebe dem Gläubiger gegenüber aufweist, durch ihn zu dessen Glauben geleitet werden. Und jemanden zu lieben, selbst ist etwas, das zu der frommen Gesetzgebung gehört und nicht zu der gottlosen, sodass er der Ungläubige auch durch diese Weise der Frömmigkeit nahe kommt und mittels seines ständigen Umgangs mit dem Gläubigen geheiligt worden ist“.[12]

Der oben vorgelegte Text zeigt, dass das friedliche, vorurteilslose und vor allem liebende Zusammenleben und Umgehen mit dem Anderen viel weiter über das hinausgeht, was man heute unter einer relativierten Toleranz versteht. Nämlich sich dem Anderen gegenüber überlegen zu fühlen oder ihn unter Vorbehalt zu akzeptieren, das heißt, solange er unser Privatleben nicht bedroht und solange er für unsere individuelle Glückseligkeit nützlich ist.

Die ethischen Nuancen, die hier zum Vorschein kommen, entsprechen deutlich dem biblischen Zeugnis, das zur Austreibung der Furcht vor dem Anderen aufruft: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“ (1 Joh 4,18). Die ethische Aufforderung lautet, sich gegenüber dem Anderen zu öffnen und sich mit ihm in Beziehung zu setzen und sich von der inneren Pathologie, nämlich der Furcht vor den Anderen, die auch von Anfang an unsere Existenz prägt, zu befreien.[13] Das leitende Motiv dabei ist nichts Anderes als die Liebe zum Mitmenschen, die keine ethnische, religiöse und kulturelle Grenze kennt, sondern sie eher überwindet.

Wahre Liebe ist eine Bejahung der Einzigkeit des Anderen. Das heißt, dass der Andere, indem er als Anderer existiert, zugleich ein einzigartiges und besonderes Dasein ist.[14] Die wahre Liebe zu Gott geht durch die Liebe zum Mitmenschen. Niemand kann behaupten, dass er Gott liebt, ohne seinen Mitmenschen geliebt zu haben.[15] Eine tolerierende Haltung bedeutet in dieser Hinsicht, „nach dem Guten des Anderen zu suchen“ (1 Kor 10,24), sich um den Anderen zu kümmern.[16] Der Andere muss unsere erste Priorität sein.

Unter diesem Blickwinkel entwickelt sich ein Geist von Solidarität, der als höchste Prämisse hat, dass wir alle zu derselben Familie gehören. In einer guten Familie stehen wir einander nicht mit verhärteten Herzen gegenüber, sondern nehmen einander als Freunde an. Dadurch bereichern wir einander aus dieser Verschie­denheit heraus und tolerieren einander nicht nur unwillig.[17] Solidarität betrachtet die Menschen nicht als vereinzelte Individuen, sondern als Personen, die auf die Liebe des Anderen und zum Anderen angewiesen sind, was für deren Selbsterfüllung und Vollendung nötig ist. Wir sind autonom. Unsere Autonomie aber ist durch eine gemeinsame Sorge für das Gute gestaltet.[18]

Die Verbindung der Idee der Toleranz mit solchen Nuancen ist heute unerlässliche Voraussetzung für ein kohärentes Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft. In dieser pluralistischen Gesellschaft gehören Menschen und Familien und ganze Landstriche verschiedenen Bekenntnissen, Religionen und Weltanschauungen zu. Christen leben mit Atheisten und Skeptikern, mit Moslems und Hindus und mit Sektenanhängern in demselben Gebiet zusammen. Die Menschen sehen und erfahren die andersartigen Überzeugungen und die sich daraus ergebenden Verhaltensweisen und Gewohnheiten.

Wenn es sich um das Zusammenleben von orthodoxen und Christen anderen Konfessionen handelt, dann sind die Gemeinsamkeiten beträchtlich. Das Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel und die damit zum Ausdruck kommende Weltsicht, die Taufe, eine Reihe von Gebeten und die Bedeutung des Sonntags als des Tages des Herrn, die Feiertage, welche die Verehrung gemeinsamer Heiliger angehen, auch Symbole, wie das Kreuz sind den Christen gemeinsam und erleichtern das gegenseitige Verständnis und das Miteinander in der Gesellschaft, auch wenn die Kenntnis und Vertrautheit mit der jeweils anderen Konfession, ihrer Entstehung und ihres Eigengewichts manchmal mangelhaft sind.

Toleranz bedeutet freiwillige Aufnahme des Anderen und ernsthaftes Bemühen, sein geistiges und sinnliches Wohlleben sicherzustellen. Und dies kann sich nur im Rahmen einer solchen Gesellschaft, die ein klares Bekenntnis zu den Grundwerten einer demokratischen Gesellschaft ausspricht, ereignen. Deswegen setzt Toleranz eine positive Wertorientierung voraus. Das bedeutet aber, dass man die Toleranz nicht erzwingen kann. Man kann im Namen der Toleranz nicht intolerant sein. Toleranz bedeutet einen entschiedenen Einsatz für die Durchsetzung der Grundprinzipien des Rechtsstaates, vor allem des Gleichheitsgrundsatzes, sowie für die Entwicklung hoher kultureller Werte und Verhaltensweisen.[19]

[1]     Vgl. 1 Kor. 13, 1-13.

[2]     Vgl. Eckehart Stöve, Art: Toleranz I, in: TRE, Bd. 647. 658.

[3]    Vgl. Ebd., 6.

[4]     Vgl. Greg. Nyss., Eun. II 149 (GNO I, 268, 28 JAEGER). Vgl. auch Plotin, Enn. V 3, 13, 1: ἄρρητον τῇ ἀληθείᾳ.

[5]     Vgl. Zizioulas, Ἀλήθεια 2013 (wie Anm. 4), 6-7.

[6]     Vgl. ebd., 7.

[7]     Vgl. Scholien in der Kirchlichen Hierarchie, III, 3, 2, PG 4,137D.

[8]     Bas. Caes., Hom. in illud: Attende tibi ipsi 6.

[9]     Vgl. Chrys., Hom. in Joh. 8,1 PG 59, 65, 33-38.

[10]    Vgl. Beschlüsse 1986 (wie Anm. 15), 394.

[11]    Vgl. Ep. 2, PG 102, 608BC.

[12]    Vgl. Fragmenta in epistulam I ad Corinthios 15, 557-558.

[13]    Vgl. Zizioulas, Communion and Otherness 2006 (wie Anm. 24), 1-2.

[14]    Vgl. Ebd. 55.

[15]   Vgl. 1 Joh 4,20: Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.

[16]    Vgl. Max. Conf., Quaest. ad Thalassium 64, PG 90, 725A.

[17]    Vgl. M. A Casey, The Puzzle of intolerant Tolerance, in: A. Rauscher (Hg.), Toleranz und Mens­chewürde, Berlin 2011, 159.

[18]    Vgl. Ebd., 159.

[19]    Vgl. J. Kranjc, Die religiöse Toleranz und die Glaubensfreiheit – das Beispiel des Edikts von Nikomedia und des Mailänder Edikts, in: Toleranz 2012 (wie Anm.17), 75.

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