Das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche
Das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche
Metropolit Arsenios von Austria
- Einführungen
AWährend der fünften Synaxis (Zusammentreffen) der Vorsitzenden der Orthodoxen Autokephalen Kirchen im Jahre 1992, die vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus vom 06.-09.03.2014 in der Patriarchalkirche des Heiligen Georg im Phanar zusammengerufen worden war, wurde von den Patriarchen und Erzbischöfen der Orthodoxen Autokephalen Kirchen die lang erwartete Entscheidung getroffen, am orthodoxen Pfingstfest des Jahres 2016 in Konstantinopel in der Irenenkirche, wo schon 381 n. Chr. die II. Ökumenische Synode stattgefunden hatte, das „Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche“, wie es offiziell heißt, einzuberufen. Die Orthodoxen Ersthierarchen der Autokephalen Kirchen waren sich jedoch auch der unruhigen politischen Lage in verschiedenen Regionen der Welt, vor allem im Nahen Osten, bewusst, was sie dazu führte, in ihren Entscheidungen über das Konzil den Satz: „Außer unvorsehbaren Gegebenheiten“ einzufügen. Damit wollten sie sicherlich nicht ihre Entscheidung über die Einberufung eines Konzils relativieren, jedoch vor allem die unruhige politische Lage in Regionen ansprechen, in denen vor allem auch Orthodoxe Christinnen und Christen beheimatet sind und die evtl. zu Veränderungen der getroffenen Entscheidungen führen könnten. Dieser Satz hat sich als sehr weise erwiesen. Die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Russland zwangen das Ökumenische Patriarchat, eine Synaxis der Ersthierarchen der Autokephalen Orthodoxen Kirchen, die für Januar 2016 im Phanar vorgesehen war, kurzfristig ins Zentrum des Ökumenischen Patriarchates nach Chambesy (Schweiz) zu verlegen. Die gesamte Synaxis der Orthodoxen Ersthierarchen sah sich in Chambesy gezwungen, das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche von Istanbul nach Kreta zu verlegen und dies aus dem Grund, da die Sicherheit der Konzilsteilnehmenden in Istanbul einerseits nicht gewährleistet werden könnte und andererseits die Erlaubnis des Ausführungsorts des Konzils (die Irenenkirche) jederzeit vom türkischem Staat zurückgezogen werden könnte, was die Ausführung des Konzils an sich gefährden würde.
Das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirchen wird also auf Grund der historischen Gegebenheiten nun in der Orthodoxen Akademie auf Kreta vom 18. - 27. Juni 2016 stattfinden. Wie während der fünften Synaxis vom Jahre 2014 im Phanar beschlossen, wird von jeder Autokephalen Orthodoxen Kirche eine Delegation mit maximal 24 Bischöfen vertreten sein, die vom jeweiligen Ersthierarchen (Patriarch oder Erzbischof) angeführt wird. Jede Autokephale Kirche wird hierbei eine Stimme haben, die der jeweilige Ersthierarch abgibt. Die Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Ebenfalls wurde beschlossen, dass der Ökumenische Patriarch im Namen aller Ersthierarchen zum Konzil auf Kreta einladen wird, und dies aus dem Grund, da er das Ehrenoberhaupt der gesamten Orthodoxen Kirche ist. Jede Autokephale Kirche kann darüber hinaus bis zu sechs theologische Berater/innen und drei Assistenten/innen zum Konzil mitbringen.
Als Autokephale Kirchen gelten in diesem Fall:
- Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel
- Das Patriarchat von Alexandrien
- Das Patriarchat von Antiochien
- Das Patriarchat von Jerusalem
- Das Patriarchat Russland
- Das Patriarchat von Serbien
- Das Patriarchat von Rumänien
- Das Patriarchat von Bulgarien
- Das Patriarchat von Georgien
- Die Autokephale Kirche von Zypern
- Die Autokephale Kirche von Griechenland
- Die Autokephale Kirche von Polen
- Die Autokephale Kirche von Albanien
- Die Autokephale Kirche von Tschechien und der Slowakei
Somit werden maximal 336 Bischöfe von allen Kirchen sowie 126 Berater/innen am Konzil von Kreta teilnehmen, was zur Maximalzahl von 462 Teilnehmenden führt. De facto wird jedoch die Zahl der Teilnehmenden sicherlich nicht diese Höhe erreichen, da es kleinere Kirchen gibt, wie z.B. die von Tschechien und der Slowakei, Albanien oder Polen, die in ihrer Gesamtheit nicht 24 Bischöfe besitzen. Somit werden rund 400 Konzilsteilnehmer/innen erwartet[1].
- Historischer Rückblick
Das Panorthodoxe Konzil der Neuzeit, wie es allgemein genannt wird, hatte eine sehr lange Entstehungsgeschichte, was oft dazu führte, dass man es in ökumenischen Foren als ein nicht wirklich zu erwartendes Ereignis darstellte. Ohne die genaue Geschichte der Orthodoxen Kirche zu kennen, sollte man allerdings nicht vorschnell ein Urteil über die Orthodoxe Kirche treffen, wenn es um das Konzil geht.
Wie bekannt, entstanden durch den Geist der Französischen Revolution in den ehemaligen besetzten Gebieten des Osmanischen Reiches schon im 19. Jahrhundert verschiedene Nationalstaaten. Besonders auf dem Balkan entstanden nationale Identitäten, die tief mit dem Orthodoxen Glauben verbunden waren und ihn sogar zur „Identitätsbildung“ nutzten. Aufgrund der erkannten Gefahr der Nationalisierung der verschiedenen Orthodoxen Ortskirchen berief das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel im Jahre 1872 eine Synode ein, bei der unter anderem die Patriarchate von Alexandrien und Antiochien teilnahmen. Die Synode verurteilte wie Karmiris betonte auf strengste den „Phyletismus, d.h. die nationalen Rivalitäten und Streitigkeiten, die Eifersüchteleien und Trennungen innerhalb der Kirche Christi, da sie der Lehre des Evangeliums und den heiligen Kanones der seligen Väter“, wie es im Dokument heißt, „wiedersprechen“[2].
Man erkennt also durch diesen Schritt, dass die Orthodoxe Kirche auch auf Panorthodoxer Ebene schon immer synodal Entscheidungen getroffen hat, die für alle Ortskirchen verbindlich sein sollten und Dinge betrafen, die die Einheit der Orthodoxen Kirche gefährdeten. Leider konnte sich die Entscheidung, die damals im Rahmen der Synode getroffen worden ist, letztlich nicht durchsetzen, was die Nationalisierung verschiedener Orthodoxen Kirchen zur Folge hatte. Mit Recht betont Anastasios Kallis, dass „in Anbetracht dieser Entwicklung, bei der sich ein Prinzip der Gemeinschaft eigenständiger Ortskirchen zu einem nationalkirchlichen Trennungsfaktor gestaltete, um die Jahrhundertwende in der orthodoxen Kirche das Bewusstsein der Sorge um ihre sichtbare Einheit und die Gemeinschaft der Kirchen überhaupt (...) begann“[3]. Diese Sorge drückte immer wieder besonders das Ökumenische Patriarchat aus, das die Nationalisierungen der verschiedenen Orthodoxen Ortskirchen mit Sorge beobachtete. Die Einheit der Orthodoxen Kirche auch nach außen hin sollte und durfte nicht des Nationalismus wegen aufgegeben werden. Um dem entstandenen Nationalismus entgegenzuwirken, verfasste der Ökumenische Patriarch Joakim III. am 12. Juni 1902 eine Patriarchal- und Synodalenzyklika, die er an alle Orthodoxen Autokephalen Kirchen richtete. Die Enzyklika betonte drei Punkte, die für Patriarch Joakim besonders wichtig waren, was die Einheit der Orthodoxie auf globaler Ebene angeht. Diese waren:
- Die Möglichkeiten der Kooperation und des gemeinsamen Wirkens der orthodoxen Kirchen bei der Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen
- Die Gestaltung der Beziehungen der orthodoxen Kirchen zu den zwei großen Zweigen der Westkirchen, der römisch-katholischen und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, sowie zu der altkatholischen Kirche
- Die Reform des Julianischen Kalenders und die damit eng verbundene Frage nach dem Osterdatum[4].
Auf die Enzyklika des Ökumenischen Patriarchen antworteten die Orthodoxen Kirchen von Jerusalem, Russland, Griechenland, Rumänien, Serbien und Montenegro positiv und begrüßten die Initiative des Ökumenischen Patriarchates. Die Kirchen von Alexandrien, Antiochien und Zypern reagierten ihrerseits nicht auf die Enzyklika, da sie mit inneren Problemen und Unruhen zu kämpfen hatten.
Das Patriarchat von Jerusalem ging sogar so weit, jährliche Konsultationen von Vertretern der orthodoxen Ortskirchen vorzuschlagen, damit durch einen lebendigen Austausch der Kontakt zwischen den verschiedenen Orthodoxen Kirchen wieder gefördert werde. Die Kirche Russlands schlug einen lebendigen und permanenten Briefaustausch zwischen den Autokephalen Kirchen vor, damit die Kirchen die geographische Distanz bewältigen könnten.
Patriarch Joakim III. betonte unter anderem in seinem Antwortbrief an die Autokephalen Kirchen: „Solche und ähnliche Fragen kann man auch durch einen brüderlichen Briefwechsel klären, wenn es möglich wäre, wie einige der Brüder in Christus vermuten, dass Theologen, die von den einzelnen Kirchen gesandt werden, an einem Ort alle drei Jahre zusammenkämen und sich mit diesen Fragen gebührend befassten. Die Ergebnisse ihrer Beratungen würden dann durch den Rangersten, den Erzbischof von Konstantinopel den anderen Kirchen zu Entscheidung mitgeteilt“[5]. Somit hat sich das Ökumenische Patriarchat, die Anregungen der anderen Orthodoxen Autokephalen Kirchen aufgreifend, für einen permanenten Theologenkongress entschieden, der durch theologische Vertreter aller Autokephalen Kirchen Fragen der Orthodoxie diskutieren und lösen sollte. Die Lösungsvorschläge sollten dann dem Ökumenischen Patriarchen weitergeleitet werden, der dann die anderen Ersthierarchen um ihre Zustimmung oder Ablehnung bittet.
In diesen historischen Gegebenheiten kann also die Geburtsstunde der Idee eines Panorthodoxen Konzils gesehen werden, auch wenn noch viele Schritte folgen mussten, die oft von den politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in Europa eingeholt werden sollten.
Der angestrebte Theologenkongress kam jedoch nicht zustande, da durch die Balkankriege 1912-1913, den ersten Weltkrieg 1914-1918, sowie die Ereignisse der Oktoberrevolution in Russland (1917), alle „Heimatländer der Orthodoxen Kirchen“ entweder untereinander im Krieg standen, oder wie im Falle Russlands die politische Veränderung die Kirche in eine vollkommen neue Situation brachte und damit handlungsunfähig machte.
Durch die neuen politischen Gegebenheiten in Europa schien der Traum von einer panorthodoxen Zusammenkunft in weite Ferne gerückt zu sein. Erst 1920 wurde mit der Enzyklika des Ökumenischen Patriarchen Joakim „An die Kirchen Christi überall“ wieder eine Enzyklika ausgesandt, die an alle Kirche und nicht nur die Orthodoxen geschickt worden ist, mit dem Wunsch, einen Kirchenbund zu bilden. Hierbei sollte der gerade gegründete Völkerbund als Prototyp gelten. Die Enzyklika betonte elf konkrete Beispiele, die dahin führen sollten:
- Annahme eines einheitlichen Kalenders
- Austausch von brüderlichen Briefen
- Freundschaftliche Kontaktpflege vor Ort
- Kommunikation zwischen den theologischen Ausbildungsstätten
- Studentenaustausch
- Einberufung panchristlicher Versammlungen
- Objektives Studium der dogmatischen Unterschiede
- Gegenseitiger Respekt der Sitten und Bräuche
- Gegenseitige Überlassung von Friedhofskapellen und Friedhöfen
- Regelung der Frage interkonfessioneller Ehen
- Gegenseitige Förderung kirchlicher Werke
Einiger dieser Punkte stießen in manchen Autokephalen Kirchen auf Widerstand. Eine weiterführende Diskussion konnte jedoch nicht gewährleistet werden, da der Griechisch-Türkische Krieg (1919-1920) die gesamte Diskussion und Initiative stoppte.
Erst im Februar 1923 schickte der Ökumenische Patriarch Meletios IV. einen Brief an die Kirchen von Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, Serbien, Zypern, Griechenland und Rumänien, mit dem er die Kirchen nach dem Orthodoxen Osterfest desselben Jahres zu einem Panorthodoxen Kongress nach Istanbul/Konstantinopel einlud. Jede Kirche sollte eins bis zwei Vertreter entsenden. Der Panorthodoxe Kongress sollte sich vor allem mit der Kalenderfrage, aber auch mit anderen relevanten Fragen der Weltorthodoxie befassen. Es entstand auch die Diskussion, ob die Lösungsvorschläge für verschiedene Probleme, die auf dem Kongress besprochen werden sollten, an die Synoden der Autokephalen Orthodoxen Kirchen zur Bestätigung geschickt werden sollen, oder ob es als notwendig befunden werden solle, dass ein Orthodoxes Konzil sich nochmals mit diesen Fragen befassen müsse, um verbindliche Entscheidungen für alle zu treffen. Auch wenn die Patriarchate von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem dem Kongress fern blieben, nahmen russische Delegierte der damaligen Auslandskirche mit dem Einverständnis des Ökumenischen Patriarchates teil. Obwohl der Kongress viele wichtige Panorthodoxe Themen besprochen bzw. vorbesprochen hat, hat sich gezeigt, dass ein Panorthodoxes Konzil als nötig befunden wird, um konkrete Entscheidungen zu treffen, die verbindlich für die gesamte Orthodoxe Kirche sein sollten. „Der Kongress zeigte“, so Kallis, „zum einen, den Willen der orthodoxen Kirchen, ihre Einheit Lebenswirklichkeit im Alltag werden zu lassen und den Dialog mit den anderen Kirchen aufzunehmen, doch zum anderen auch ihre Achillesferse, die Anfälligkeit für nationalen Provinzialismus, der in der Diaspora am auffälligsten war“[6].
Auch wenn verschiedene Komplikationen den Innerorthodoxen Dialog sehr ins Stocken brachte, wie z.B. die Absetzung des Ökumenischen Patriarchen Meletios IV. im Zug der Kleinasiatischen Katastrophe, stimmte sein Nachfolger Patriarch Gregorios III. einem Vorschlag der Patriarchen von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem zu, ein Orthodoxes Konzil in Jerusalem zwischen Ostern und Pfingsten einzuberufen. Am 3. Juli 1924 kündigte er in einem Brief an alle Orthodoxen Autokephalen Kirchen die Einberufung eines „Allgemeinen Panorthodoxen bzw. Ökumenischen Konzils“ an, das zu Pfingstgen 1925 stattfinden sollte.
Das Ökumenische Patriarchat verteilte daraufhin eine Themenliste an alle Autokephalen Kirchen, die konkreter diskutiert werden sollte. Diese Themenliste beinhaltete sechs konkrete Punkte:
- Dogmatische Fragen
- Die administrative Struktur der Kirche
- Der Gottesdienst
- Der Klerus
- Die Kalenderfrage
- Verschiedenes
Die Diskussionen, die daraufhin in und zwischen den verschiedenen Orthodoxen Kirchen entstanden, führten dazu, dass es unmöglich war, das Konzil im Jahre 1925 abzuhalten. Somit sah sich Patriarch Basileios III Ende 1925 gezwungen, das Konzil auf das Pfingstfest 1926 zu verlegen; es sollte auf dem Berg Athos stattfinden. Auch dieser Versuch scheiterte, da viele Orthodoxe Kirchen in der Vordiskussion zum Entschluss gekommen waren, dass viele Themen noch genauer besprochen werden müssten bzw. die Themenliste überhaupt diskutiert werden müsse. Daraufhin wurde das Konzil abgesagt. Durch die neu entstandene Lage wurde es als notwendig befunden, einen Präliminaren Interorthodoxen Ausschuss einzuberufen, der sich mit der Themenliste beschäftigen sollte. Daraufhin hat der Ökumenische Patriarch Photios II. zum Orthodoxen Pfingstfest 1930 die Autokephalen Kirchen gebeten, jeweils zwei delegierte Bischöfe zu einer Präliminaren Zusammenkunft im Vatopedikloster auf dem Heiligen Berg zu schicken, um einen Themenkatalog zu erstellen, der in einer Prosynode dann genauer ausgebaut werden sollte. Überschattet wurde diese Zusammenkunft besonders durch die Spaltung der Russisch Orthodoxen Kirche (Moskau und die Auslandskirche) aber auch das sogenannte Bulgarische Schisma: Beide Kirchen waren in der Situation, keine Delegierten schicken zu können bzw. zu dürfen. „Dass die Problematik der Abwesenheit der zahlmäßig stärksten orthodoxen Kirche [Anm.: i.e. die der Russischen] auf der Versammlung den Delegierten bewusst war, zeigt sich auch darin, dass sie auf den verabschiedeten Themenkatalog für die künftige Prosynode die Frage der Russischen Orthodoxen Kirche an die erste Stelle setzten, verbunden mit der Bitte an das Ökumenische Patriarchat, sich darum zu bemühen, dass bei der Prosynode eine Vertretung der Russischen Kirche möglich gemacht werden sollte“[7].
Patriarch Photios II. wandte sich mit einem Brief vom 7. Februar 1931 an alle Orthodoxe Autokephalen Kirchen und kündigte eine Prosynode für das Pfingstfest des Jahres 1932 an. Er betonte mit Nachdruck, dass sich die Kirchen nun auf diese Prosynode vorbereiten sollten, damit diese die Einberufung eines Konzils möglich machen sollte. Auch wenn anfangs alle eingeladenen Kirchen mit großer Freude ihre Zustimmung zur und Teilnahme an der Prosynode mitteilten, sah sich das Ökumenische Patriarchat am 2. Juni 1932 gezwungen, die Prosynode abzusagen. Der Patriarch selbst erklärte den Grund, indem er schrieb, dass „Einige der heiligen Kirchen trotz ihres starken Wunschs wegen ihrer Sonderlage nicht an der Prosynode teilnehmen können. Demzufolge meinen wir, dass eine Vertragung geboten ist“[8].
1936 fand dann in Athen vom 29. November bis zum 6. Dezember 1936 ein Theologenkongress statt, der sich vor allem mit der Frage eines Panorthodoxen Konzils beschäftigte. Hierbei herrschte die allgemeine Meinung, dass eine Ökumenische Synode bzw. Konzil zu diesem Zeitpunkt eher gefährlich sein würde als hilfreich, weil durch die politische Lage Europa sehr gespalten war, was die Kirchen unmittelbar beeinflusste[9]. Dem Theologenkongress von Athen sollte ein zweiter Kongress 1939 in Bukarest folgen, der jedoch wegen der Ereignisse des II. Weltkrieges nicht stattgefunden hat. Erst 1976 konnte wieder ein Theologenkongress, wiederum in Athen, einberufen werden, der jedoch keine konkreten Fortschritte brachte. Der Zweite Weltkrieg und die nachfolgende Trennung Europas in einen kapitalistischen Westen und den sozialistischen Osten, also der Kalte Krieg, haben dazu beigetragen, dass der Traum eines Panorthodoxen Konzils in weite Ferne rückte. Besonders während der Zeit des Ökumenischen Patriarchen Maximos V. spitzte sich die Lage zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und dem Moskauer Patriarchat zu, als Moskau durch verschiedene Gesten immer wieder versuchte, die Panorthodoxe Stellung des Ökumenischen Patriarchates anzuzweifeln, nicht zuletzt auf Druck Stalins. Als Höhepunkt verschiedener Provokationen kann wohl die Einberufung der Moskauer Konferenz, zu der alle Orthodoxen Oberhäupter eingeladen wurden, gezählt werden. Diese galt als ein direkter und wohl auch politisch motivierter Schritt, das Recht des Ökumenischen Patriarchates als einziges Patriarchat, Panorthodoxe Konferenzen einzuberufen, anzuzweifeln. Es hat sich jedoch schnell gezeigt, dass die anderen Orthodoxen Länder zwar der Einladung gefolgt sind, da diese Konferenz mit der 500 Jahrfeier der russischen Autokephalie in Verbindung gebracht worden war, jedoch haben sich die anderen Orthodoxen Autokephalen Kirchen geweigert, das Ereignis insgesamt als eine Konferenz zu betrachten, sondern bewerteten es lediglich als eine Jubiläumsfeier. In diesem gesamten Klima wurde schnell klar, dass die Träume von einer Panorthodoxen Synode weiterhin durch die politischen Polaritäten des Kalten Krieges immer wieder in die Zukunft verschoben werden müssten.
Als im Oktober 1948 Patriarch Maximos krankheitsbedingt zurückgetreten ist, stand das Ökumenische Patriarchat vor eine Grundsatzfrage, wer als Nachfolger des zurückgetretenen Patriarchen gewählt werden sollte: Es musste ein Kandidat sein, der die Einheit der Orthodoxie in der gesamten politischen Situation gewährleisten könnte. Im November 1948 wurde der Erzbischof von Nord- und Südamerika Athenagoras mit 11 von 17 Stimmen gewählt, was als ein starkes und zugleich auch politisches Signal galt, da Athenagoras beste Beziehungen zur US-Regierung pflegte. Seine negative Haltung gegenüber dem Kommunismus sorgte dafür, dass von Seiten des Moskauer Patriarchates immer wieder Beschwerden gegen Athenagoras eingereicht worden waren, die seine „Erststellung“ in der Gesamtorthodoxie bezweifelten. Trotz dieser Situation sandte Patriarch Athenagoras zur 1500-Jahrfeier des Konzils von Chalkedon am 12. Feburar 1951 einen Brief an alle Ersthierachen der Autokephalen Kirchen und griff den fast in Vergessenheit geratenen Gedanken eines Konzils wieder auf, indem er konkret die Einberufung eines Großen Ökumenischen Konzils vorschlug und den erarbeiteten Themenkatalog von Vatopedi aus der Schublade zog. Athenagoras schlug vor, die beschlossene und in Vergessenheit geratene Prosynode einzuberufen, die das Konzil vorbereiten sollte. Trotz der eher negativen Reaktionen von den Orthodoxen Autokephalen Kirchen, die den historischen Moment für eine solche Prosynode wegen des politischen Bruchs, der durch die orthodoxen Länder ging, nicht für günstig hielten, beschloss Patriarch Athenagoras, den Themenkatalog von Vatopedi an alle Autokephalen Kirchen zu schicken mit der Bitte, dass er durch Kommissionen in den jeweiligen Kirchen korrigiert und bearbeitet werden sollte. Das Moskauer Patriarchat beschwerte sich mit Nachdruck und zweifelte wiederum die Rolle des Ökumenischen Patriarchates an. Hierbei erhielt Moskau Unterstützung von jenen orthodoxen Ländern, die innerhalb des „Eisernen Vorhanges“ beheimatet waren, insbesondere von Bulgarien.
„Das Verhältnis des Moskauer Patriarchats zum Ökumenischen Patriarchat und überhaupt zu den Kirchen der kapitalistischen Welt änderte sich mit dem Tod Stalins am 05.03.1953 bzw. der Ära Chruschtschov, der eine Wende in der Innen- und Außenpolitik der Sowjetunion einleitete. Die im Mai 1960 erfolgte Ablösung des Leiters des kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Nikolaj, der kirchlich den scharfen Kurs der Stalin-Doktrin vertrat, durch den 31-jährigen Archimandriten Nikodim, der ein Jahr später auch zum Erzbischof von Jaroslavl und Rostov und 1963 zum Metropoliten von Leningrad ernannt wurde, signalisierte das Ende des Geistes des Kalten Krieges, der die Kirchenpolitik Moskaus nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hatte. Zwar war man nicht bereit, Konstantinopel mehr als einen rein protokollarischen Ehrenprimat zuzuerkennen, jedoch pflegte man brüderliche Beziehungen zum Phanar “[10].
Als Frucht dieser politischen Veränderung können sicherlich die vier Panorthodoxen Konferenzen der Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts gelten. 1961, 1963 und 1964 fanden auf der Insel Rhodos in Griechenland und 1968 in Chambesy bei Genf auf Initiative des Ökumenischen Patriarchates, und dem Willen aller Autokephalen Orthodoxen Kirchen entsprechend, sogenannte Panorthodoxe Konferenzen statt, die sich mit doktrinären, missionarischen und ethischen Fragen beschäftigen. Als besonders wichtig gelten die Entscheidungen der Konferenzen bezüglich der Teilnahme der Orthodoxen Kirche an verschiedenen Ökumenischen Foren, wie dem ÖRK und die Bestätigung verschiedener Bilateraler Dialoge der Orthodoxen Kirche[11]. Die Konferenzen galten zwar als Zeichen und Weg hin zum Konzil der Orthodoxen Kirche, jedoch befassten sich die Konferenzen auf Rhodos fast überhaupt nicht mit dem Thema des Orthodoxen Allgemeinen Konzils. Lediglich die Konferenz von Chambesy verabschiedete einen Punkteplan, der den Weg zu einem Konzil erleichtern sollte. Dieser sah fünf konkrete Schritte vor, wie das Konzil zu erreichen sei:
- Der Plan der Prosynode wird fallengelassen, an ihre Stelle soll eine Reihe vorkonziliarer Panorthodoxer Konferenzen treten.
- Zur Durchführung des Gesamtvorhabens wird eine Interorthodoxe Vorbereitungskommission gegründet.
- Im Zentrum des Ökumenischen Patriarchates in Chambesy/Genf wird ein Sekretariat für die Vorbereitung des Konzils eingerichtet.
- Für die Vorbereitung und Durchführung der Dialoge mit den anderen Kirchen werden Interorthodoxe Kommissionen gebildet.
- Das Verfahren der Bearbeitung der Themen wird modifiziert. Zu einzelnen Themen werden von einer oder mehreren Kirchen Studienberichte erstellt, die dem Sekretariat für die Vorbereitung des Konzils dienen, indem es Vorlagen für das Konzil erarbeitet.[12]
Ab dem Jahre 1971 fanden eine Zahl von Interorthodoxen Vorbereitungskommissionen zum Konzil statt, wie Vorkonziliare Konferenzen, die sich mit der Revidierung und Bearbeitung des Themenkataloges von Rhodos 1961 beschäftigten. Bezüglich des Themenkataloges konnten sich 10 Haupthemen herauskristallisieren, die mehr oder weniger alle Kirchen beschäftigen und bis heute als grundlegendste Vorlagen für weitere Besprechungen gelten sollten. Diese sind:
- Orthodoxe Diaspora
- Die Autokephalie und ihr Proklamationsmodus
- Die Autonomie und ihr Proklamationsmodus
- Die Diptychen
- Die Frage nach einem gemeinsamen Kalender
- Ehehindernisse
- Anpassung der kirchlichen Fastenvorschriften
- Beziehungen der orthodoxen Kirchen zu der übrigen christlichen Welt
- Orthodoxie und ökumenische Bewegung
- Der Beitrag der lokalen orthodoxen Kirchen zur Durchsetzung der christlichen Ideale des Friedens, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Liebe zwischen den Völkern und zur Aufhebung der Rassendiskriminierung
Durch die Neugründung verschiedener Orthodoxer Kirchen besonders seitens der Kirche von Russland in der „Neuen Welt“ sowie durch den Wunsch nach Autonomie seitens verschiedener Kirchen, die nach dem Fall der Sowjetunion wieder ihre Unabhängigkeit von Moskau verlangten, bahnten sich neue Spannungen zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und dem Patriarchat von Moskau an, was erneut die Konzilsvorbereitungen stark bremste.
Erst durch den persönlichen Einsatz und den innigsten Wunsch und das Verlangen des heutigen Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus konnte bei der Synaxis (dem Treffen) der Orthodoxen Ersthierarchen aller Kirchen am 06.-09. Mai 2014 der Wunsch und der Wille für die Durchführung eines Konzils konkret bestätigt werden.
Die Vorbereitungskommission, die in mehreren Sitzungen seit dem Jahre 2014 bis heute den Themenkatalog endgültig erarbeiten sollte, und der von den Ersthierarchen in ihrer Januarsitzung 2016 im Chambesy bestätigt worden war, lautet nun wie folgt:
- Die Mission der Orthodoxen Kirche in der gegenwärtigen Welt: Ihr Beitrag zur Bewahrung des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Geschwisterlichkeit und Liebe zwischen den Völkern und die Überwindung nationalistischer und anderer Unterscheidungen.
- Orthodoxe Diaspora
- Autonomie und die Weise ihrer Proklamation
- Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse
- Die Bedeutung des Fastens und seine Anwendung heutzutage
- Die Beziehung der Orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt
Vorbereitungskommissionen mit Vertretern der verschiedenen Kirchen haben darüber hinaus in langen und schwierigen Diskussionen Vorlagetexte verfasst, die auf dem Konzil verabschiedet oder umgewandelt werden sollen. Wichtig hierbei ist wohl, dass es keiner Kirche gestattet wird, neue Punkte auf die Themenliste des Konzils zu setzen, da man somit den Frieden und den Erfolg des Konzils gefährdet sieht. Für diesen ersten Schritt des Konzils mag dies wohl auch ein weiser Schritt gewesen sein.
3. Zukunft
Wie wir gesehen haben, gab es einen langen und komplizierten historischen Weg von der Idee bis hin zur Einberufung eines Orthodoxen Konzils. Viele komplizierte und wichtige Fragen, die im Laufe der Zeit die Orthodoxe Kirche in sich gespalten und beschäftigt haben, werden leider auch nicht in diesem Konzil diskutiert und gelöst werden, weil viele wichtige Themen, wie das der Diptychen, also der Hierarchischen Reihenfolge der Orthodoxen Kirchen, aus dem Themenkatalog gestrichen worden sind, um eventuellen Streitigkeiten, die das Konzil gefährden könnten, vorzubeugen. Sicherlich wird sich die Orthodoxe Kirche jedoch aus dem Leben heraus in Zukunft auch mit solchen Themen befassen.
Ich persönlich bin der Meinung, dass die Einberufung des Konzils an sich schon ein großer Erfolg für die Orthodoxe Kirche ist. Es wird meines Erachtens eine neue Ära auf Panorthodoxer Ebene einleiten. Sicherlich sollte man das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche nicht mit dem II. Vatikanischen Konzil und der gesamten Aggiornamentobewegung vergleichen, dennoch sind die Dynamik und die Symbolkraft, die das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche mit sich bringt - besonders auch nach außen hin- nicht zu unterschätzen. Die Einberufung des Konzils durch den Ökumenischen Patriarchen und die Besprechung des Themenkataloges in einem schweren, aber fruchtbaren Dialog aller Orthodoxen Autokephalen Kirchen hat im Vorfeld des Konzils neue Richtlinien geschaffen, mit denen sich die Orthodoxe Kirche in Zukunft auf globaler Ebene bewegen wird. Der rumänisch-orthodoxe Patriarch Daniel sprach sogar in der letzten Synaxis der Ersthierarchen vom Auftakt zu regelmäßigen synodalen Beratungen auf panorthodoxer Ebene. Johannes Oeldemann vermutet sogar, dass das Konzil auf Kreta die Chance hat, „als erste Session eines länger andauernden Konzils in die Kirchengeschichte einzugehen“[13].
Auch Gregorios Larentzakis betont, dass die Zukunft das Entscheidende ist: „Der Sensus des Pleroms der Kirche, das höchste Kriterium der Kirche, wird diese Synode auf den ihr gehörigen Platz einordnen und wird ihr die geeignete endgültige Bezeichnung zuweisen.“[14]
Ich persönlich bin als Orthodoxer Hierarch im Rahmen meiner pastoralen Sorge besonders erfreut, dass der lange Versuch des Ökumenischen Patriarchates, ein äußeres Zeichen der Einheit der Orthodoxen Kirche auf globaler Ebene zu erlangen, erreicht worden ist. Das Zeichen der Einheit, das wir hier in Österreich durch die Orthodoxe Bischofskonferenz schon lange haben, wird durch das Konzil auch auf die globale Ebene gebracht.
Ob es die erste Session eines länger andauernden Konzils oder der Auftakt zu regelmäßigen synodalen Beratungen sein wird, wird die Zeit und die Dynamik und die Rezeption, die das Konzil ausstrahlen und erreichen wird, zeigen. Mir als Hierarchen bleibt nur eins zu tun: Zu beten und zu hoffen, dass für die Einheit der Kirche und die Martyria Christi das Konzil erfolgreich sein wird; und in dieser Verantwortung müssen wir alle die Konzilsteilnehmenden in unsere Gebete einschließen.
[1] Vergl. bezüglich der Entscheidungen der Vorsitzenden der Orthodoxen Kirchen über das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche, Τό Μήνυμα τῶν Ὀρθοδόξων Προκαθημένων, in Ἐκκλησία (2014), Bd. 3, 168 f. Gregorios Larentzakis führte in seiner am 20. Mai 2016 anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats durch die Theologische Fakultät der Aristoteles Universität Thessaloniki gehaltenen Rede aus, dass die Zahl 24 eine relative ist und die Festlegung auch anders hätte ausfallen können. Larentzakis hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Gültigkeit und Bedeutung einer Synode nicht von der Anzahl der teilnehmenden Bischöfe abhängt und die Nicht-Teilnahme oder Abwesenheit einiger Bischöfe auch nicht die Zusammenkunft an sich oder die Beschlussfassung behindert. Schließlich sei aus dem historischen Befund bekannt, dass auch bei keinem der Ökumenischen Konzilien jemals alle Bischöfe der Kirche teilgenommen haben.
Vgl. http://panorthodoxcemes.blogspot.co.at/2016/05/h.html (zuletzt aufgerufen am 06.06.2016).
[2] Karmiris II, 1015. Aus Anastasios Kallis, Auf dem Weg zum Konzil, Theophano Verlag Münster, Münster 2013, 45.
[3] Anastasios Kallis, Auf dem Weg zum Konzil, Theophano Verlag Münster, Münster 2013, 46.
[4] Patriarchale Enzyklika vom 12.06.1902, deutsche Fassung Kallis, Auf dem Weg, 50-54.
[5] Patriarchale Enzyklika vom 12.05.1904, deutsche Fassung Kallis, Auf dem Weg, 88.
[6] Kallis, Auf dem Weg, 97.
[7] Kallis, Auf dem Weg, 99.
[8] Orthodoxia 7 (1932), 226.
[9] Vgl. Kallis, Auf dem Weg, 100.
[10] Kallis, Auf dem Weg, 184.
[11] Siehe Theodoros Meimaris, The Holy and Great Council of the Orthodox Church and the Ecumenical Movement, Thessaloniki 2013, 41-74.
[12] Siehe Kallis, Auf dem Weg, 191.
[13] Johannes Oeldemann, Konzil auf Kreta, Herder Korrespondenz, 3/2016, 25-28, hier 28.
[14]Gregorios Larentzakis, Die Große und Heilige Synode der Orthodoxen Kirche. Ihre Botschaft für die gegenwärtige Krise. - Rede anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorrats an Gregorios Larentzakis durch die Theologische Fakultät der Aristoteles Universität Thessaloniki am 20. Mai 2016.
Vgl. http://panorthodoxcemes.blogspot.co.at/2016/05/h.html (zuletzt aufgerufen am 06.06.2016).