Amt und Heiligkeit. Zum Verhältnis von hierarchischer Leitung und geistlichen Autoritäten (Starzen)
Vortrag Seiner Eminenz des Metropoliten Arsenios von Austria
bei den „Theologischen Kursen“ in Wien
Einführendes
Ein Verständnis von Autorität – damit verbunden von Hierarchie und Gehorsam – finden wir gleichwohl in der Heiligen Schrift wie auch bei den Kirchenvätern selbst. Die mit der hierarchischen Leitung verbundene Autorität ist mit der Institution des so genannten „Geistlichen Gehorsams” eng verflochten. Doch existieren beide auch parallel nebeneinander. Der Gehorsam selbst findet seine Verwirklichung zunächst in der Patristik, dann auch in der zeitgenössischen Literatur, in der Institution des „Geistlichen Vaters” bzw. der „Geistlichen Vaterschaft”. Im Westen sind diese „Geistlichen Väter“ als „Starzen” bekannt, während sie auf Griechisch die Bezeichnung „Geronta” (1) erhalten haben. Die Tradition dieser Altväter, wie sie oftmals auf Deutsch genannt werden, geht zum einen auf die ersten monastischen Erfahrungen in Ägypten aus dem 3. Jahrhundert zurück. Eine der größten Überlieferungen über ihr Wirken sind die Apophtegmata Patrum, die gesammelten Aussprüche (logia) der Wüstenväter. Zum anderen aber ist die erwähnte Tradition biblisch fundiert und begründet.
Grundlagen
Biblische Grundlage
In den Evangelien finden wir keine direkten Worte Christi, die sich auf irgendeine Form des geistlichen Gehorsams beziehen. In den synoptischen Evangelien sind uns die Worte des Herrn überliefert, dass jeder (Mt 16, 24, Mk 8, 34, Lk 9, 23), der ein Jünger Christi sein möchte, sich verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen solle. Der Gehorsam stellt hier in erster Linie einen Verzicht auf das Durchsetzen des eigenen Willens dar. Wir finden darüber hinaus verschiedene Perikopen, wie zum Beispiel die vom „reichen Jüngling” (Lk 18, 18-27), welcher, als er erfährt, dass er auf all sein Hab und Gut verzichten solle, um das ewige Leben zu haben, traurig von dannen zieht. Die Worte Christi in Getsemani, das Gebet zu seinem Vater, ermöglicht uns einen tiefen Einblick in das Ereignis der Kreuzigung, das maßgeblich mit dem Gehorsam Christi seinem Vater gegenüber verbunden ist: “Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille” (Mt 26,42). Christus vollbringt den Willen des Vaters, obwohl er, als vollkommener Mensch, alle menschlichen Zweifel verspürt und alle inneren Konflikte führt.
Die paulinische Theologie ist vergleichsweise stark von den Begriffen des Gehorsams geprägt. Im Römerbrief, in welchem diese Thematik am stärksten aufgegriffen wird, sagt uns der Apostel: “Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden” (Röm 5,19). Christus “erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz” (Phil 2,8). Sein Gehorsam wird dem Ungehorsam Adams gegenübergestellt. In Röm 16, 26 taucht darüber hinaus sogar der Begriff des “Gehorsams des Glaubens” auf.
Patristische Anfänge und Perspektiven
Nahezu nahtlos ist der Übergang dieser Begrifflichkeiten in das schriftstellerische Werk der ersten Apologeten. Dennoch wird die Kirche einige Jahrhunderte brauchen, ehe ein solides und einheitliches Bild vom Amt des Bischofs, der lokalen und universalen Kirche und der kirchlichen Ämter entsteht. Einer der ersten kirchlichen Schriftsteller, dem wir – neben den beiden Clemensbriefen – eine Darlegung der frühen Ekklesiologie der alten Kirche verdanken, ist Ignatius von Antiochien. In seinen sieben Briefen finden wir zahlreiche Aussagen zum Amt des Bischofs und dem Verständnis der Kirche. Die Briefe des Ignatius sind reich an Anweisungen, Ermahnungen und Feststellungen, die uns einen Einblick in das Autoritätsverständnis ermöglichen. Darüber hinaus können wir sie auch als eine Darlegung der damals gemeinhin akzeptierten Lehre betrachten, wie Kommentare des Ignatius selbst vermuten lassen (2). Ignatius hat als erster Kirchenvater den Begriff der “katholischen Kirche” verwendet, und darüber hinaus hat er das Verständnis dieses Begriffes weiter ausgeführt und ergänzt. Seine Anweisungen und Feststellungen, die er an die Gemeinden schreibt, tragen erste Züge (neben den ekklesiologischen) einer kirchlichen Verwaltung im Blick des Kanonischen Rechtes, in welches viele seiner Aussagen auch später Eingang finden werden (3).
Wir möchten nun den Aspekt der Autorität und, damit verbunden, den des Gehorsams betrachten. “Folgt alle dem Bischof, wie Jesus Christus dem Vater, und dem Presbyterium wie den Aposteln; die Diakone aber achtet wie Gottes Gebot. Keiner soll etwas von kirchlichen Dingen ohne den Bischof tun. Jene Eucharistie soll als zuverlässig gelten, die unter dem Bischof oder, wem er es anvertraut, stattfindet” (4). Kurz danach fährt er fort: “Wer den Bischof ehrt, wird von Gott geehrt” (5). Darüber hinaus bezeichnet er den Bischof als die “Tür zum Vater, durch die eingehen Abraham, Isaak, Jakob, die Propheten, die Apostel und die Kirche – alles dies in die Einheit Gottes” (6). Im Brief an die Traller führt er die ekklesiologische Perspektive weiter aus: “Denn wenn ihr euch dem Bischof unterordnet wie Jesus Christus, scheint ihr mir nicht nach Art der Menschen zu leben, sondern nach Jesus Christus, der um unseretwillen gestorben ist [..]. Darum ist es nötig, dass ihr, wie ihr ja tut, ohne den Bischof nicht handelt. Ordnet euch vielmehr auch dem Presbyterium unter wie den Aposteln Jesu Christi [..]. Ganz ebenso sollen alle den Diakonen Ehrfurcht erzeigen wie Jesus Christus, wie auch dem Bischof als Abbild des Vaters und den Presbytern als Ratsversammlungen Gottes und als Bund der Apostel. Ohne diese verdient nichts den Namen Kirche” (7). Darüber hinaus verbindet er den Einklang mit dem Willen des Bischofs mit dem persönlichen Gewissen: “wer ohne Bischof, Presbyterium und Diakon etwas tut, der ist nicht rein im Gewissen” (8). Bei Ignatius wird der Gehorsam in einen soteriologischen Kontext gerückt, welcher für die ganze Gemeinde nachahmenswert ist. So schreibt er im Brief an die Magnesier: “Wie nun der Herr nichts getan hat ohne den Vater, mit dem er eins ist, weder in eigener Person noch durch die Apostel, so sollt auch ihr ohne den Bischof und die Presbyter nichts tun” (9). In der Zeit nach Ignatius werden zum einen die Begrifflichkeiten von Presbyter und Episkopos in nicht klar voneinander abgegrenzter Bedeutung verwendet, zum anderen wird, nicht zuletzt wegen der aufkommenden Häresien, vor allem des Gnostizimus, ein Bedürfnis nach einer Lehrautorität laut (10). Gemäß Irenäus von Lyon wird die “wahrheitsgetreue Überlieferung dadurch garantiert, dass ‘gemäß dem gnädigen Ratschluss des Vaters’ mit der Sukzession im Bischofsamt ein ‘sicheres Charisma der Wahrheit’ (charisma veritatis certum) empfangen wird” (11). Dieser Ausdruck wird bis heute kontrovers diskutiert, weil er vermutlich im Zusammenhang mit den besonderen Geistesgaben steht, die im Neuen Testament bereits Erwähnung finden (Joh 14,17, Apg 1,8, 1 Tim 4,14, 2 Tim 1,6.14). “Im Sinne eines solchen Amtscharismas wird daher auch die Aussage des Irenäus zu verstehen sein. Es handelt sich um eine vom Heiligen Geist dem Amtsträger verliehene zuverlässige Gabe der Wahrheitserkenntnis, die ihn befähigt, den bischöflichen Auftrag zu erfüllen [..]” (12). Die Verbindung des Bischofs mit der Gemeinde, der lokalen Kirche und damit verbunden der Zugang zur apostolischen Lehre wurde immer deutlicher: als Häupter der eucharistischen Versammlung aber bleibt ihre Hauptaufgabe nicht das Lehramt, sondern die Leitung der eucharistischen Gemeinde als Typos Christi (13). Die Traditio Apostolica von Hippolyt von Rom überliefert uns im Gebet der Bischofsweihe, dass der Bischof in erster Linie die Eucharistie darzubringen und die Kleriker zu weihen hat. Letztendlich führte die Entwicklung hin zur Konziliarität, die sich anfangs – bis zum Ersten Ökumenischen Konzil in Nicäa – hauptsächlich mit Themen der Eucharistie und der eucharistischen Gemeinschaft beschäftigte. Das Bischofsamt wurde so, in seiner untrennbaren Verbindung als Vorsteher der eucharistischen Versammlung, unlösbar mit der Konziliarität der universalen Kirche auch außerhalb der jeweiligen Diözesen verknüpft (14).
In der Dogmatik der Orthodoxen Kirche ist das Weiheverständnis der ersten beiden Weihestufen – des Diakons und des Priesters – sehr stark an das Bischofsamt geknüpft. So kennt die Orthodoxe Kirche keine absolute, sondern nur eine konkrete Weihe: der Bischof wird konkret an einem bestimmten Ort geweiht und gebunden, ebenso wie der Priester und der Diakon einer bestimmten Diözese zugeordnet werden (15).
Kirchenrechtliche Aspekte
Wie bereits erwähnt, finden wir in den Kanones der ersten lokalen Synoden und auch der ersten beiden Ökumenischen Konzilien in Nicäa und Konstantinopel einen Schwerpunkt auf die Ausgestaltung der Autorität des lokalen Bischofs und des Metropoliten. Das findet – neben zahlreichen anderen Verwaltungsregelungen – Ausdruck in den zahlreichen Kanones, die es offenkundig machen, dass der Priester, nachdem er den ersten Grad der Weihe durch die Handauflegung seines Bischofs erhalten hat, an diesen gebunden ist (16). Die “kirchlichen Angelegenheiten sind allein dem Bischof anvertraut worden”, ist bereits in den Kanones der Apostel vermerkt (17). Der Priester führt jede sakramentale Handlung als Stellvertreter des Bischofs durch, da er bei seiner Weihe nur einen begrenzten Teil der Fülle der Macht der Sakramentenspendung erhält. Er verwirklicht sein Amt nur in kanonischer Einheit mit dem Bischof (18). Folgen wir den Ausführungen des Metropoliten Panteleimon von Tyroloe und Serention, so gilt: “the full right to perform every mystery and every service in the Church lies with the bishop, while priests receive the right from him to celebrate at all. The right to officiate at certain mysteries and holy ceremonies is reserved for the bishop, in accordance with his archpriestly authority, while the others may be celebrated also by presbyters, who in this regard are subject to the supervision and judicial authority of their own bishop” (19).
Charismatische Ebene
Neben dem offiziellen und institutionellen Charakter der irdischen Kirche und des mit ihr verbundenen Bischofs existiert noch eine weitere Ebene, die tief mit diesen beiden verwurzelt ist. Die verschiedenen Gnadengaben, die von dem einen Geist ausgehen (vgl. 1 Kor 12,4), stellen sozusagen die “charismatische Ebene” der Kirche dar, auf welcher sich die Starzen / Gerontes bewegen. Es ist schwierig, hier eine strenge Trennlinie zu ziehen, die auch an und für sich nicht notwendig ist: beide wachsen aus dem jeweils anderem und sind stark miteinander verflochten. Oftmals sind die Altväter von den kirchlichen Zentren entfernt, befinden sich an entlegenen Orten und haben meistens keinen besonderen oder hervorstechenden Status innerhalb der Kirche erhalten. Sie müssen kein offizielles Amt in der Kirche bekleiden und nicht unbedingt die Priesterweihe empfangen haben. Für Metropolit Kallistos von Diokleia ist die Erscheinung von Heiligen und geistlichen Personen ebenso notwendig und wichtig wie die des Episkopates und der apostolischen Sukzession (20).
Die Geistliche Vaterschaft
Die Figur des Starez oder Geronda hat durch die Geschichte hindurch bis heute nicht an Wichtigkeit verloren. Sie werden nicht zu solchen ordiniert oder eingesetzt, vielmehr sind sie eine zeitliche, aktuelle Erscheinung der Kirche. Sie werden vom Kirchenvolk als Väter erkannt, die das Charisma der geistlichen Führung in einem großen Ausmaß besitzen. In der Regel geht dem Geronta eine Geschichte voran, die ihn zwar nicht legitimieren, wohl aber seine Position bestärken soll (21). Metropolit Kallistos schreibt, dass die Altväter nicht in die Einsamkeit gingen, um sich auf die Vaterschaft vorzubereiten, sondern um alleine mit Gott zu sein. Gott akzeptierte ihre Liebe, sandte sie aber oftmals zurück in die Welt, damit sie als Instrumente der Heilung jener Welt dienen, von welcher sie sich zurückgezogen hatten (22). Die Wüstenväter gelten als eines der ersten Beispiele der geistlichen Vaterschaft und jener Autorität, die neben der bereits erwähnten, offiziellen und institutionellen existiert.
Bekanntermaßen wird das Recht, die Beichte abzunehmen, nicht automatisch mit der Priesterweihe verliehen. Vor allem in der griechisch-orthodoxen Kirche erfolgt die Überantwortung dieses Dienstes gesondert durch die Erlaubnis des Bischofes, namentlich durch den “Brief der geistlichen Vaterschaft” (23). Durch diese “ordo” wird der Priester, der – wie wir ja bereits festgestellt haben – die Vollmacht über die Sakramente nur in einem begrenzten Ausmaß inne hat, von seinem Hirten beauftragt, für seine ihm anvertraute Herde auch im Bereich der “Geistlichen Vaterschaft”, vor allem in der Beichte tätig zu werden. Er wird somit im Rahmen der potestas ordinis (ἐξουσία ἱερατική) als Geistlicher Vater und Beichtvater eingesetzt.
Wie eingangs bereits erwähnt, ist die “Geistliche Vaterschaft” als solche mit einem sehr starken Gehorsamsbewusstsein (υπακοή) verbunden. Dieses ist gerade in einzelnen monastischen Schriften zu einem wichtigen Bestandteil des spirituellen Lebens ausgestaltet worden. Der Gehorsam aber hat, trotz seiner negativen Konnotationen, die im westlichen Kulturkreis oftmals hervorgerufen werden, dasselbe Ziel wie die Beichte: die Rettung des Menschen, die Überwindung der Leidenschaften, das Näherkommen und die Rückkehr zu Gott, die Reinigung der Seele und als Grundlage und Basis all dessen, das Empfinden der wahrhaftigen, ontologisch-realen Reue. “Das Ziel unseres Lebens ist das Wiedergutmachen des Sündenfalls, damit wir Eingang finden in das Paradies. Das Schlechte des Falls war der Ungehorsam”, sagte Metropolit Jeremias von Gortyn und Megalopolis in einer Predigt aus dem Jahre 1984 über den Gehorsam (24).
Im ersten Thessalonikerbrief (1 Thess 5,19-20) verbietet es der Apostel, das Prophetentum zu verachten und den Geist auszulöschen. Während das Prophetentum heutzutage eher ein negativ konnotierter Begriff ist, existiert es aber, losgelöst von der institutionellen, sakramentalen kirchlichen Hierarchie, in der Kirche weiter, wobei jede Differenzierung zwischen den Geistern und der Erkenntnis des wahren Prophetentums eine schwierige Aufgabe für die Kirche darstellt, “da die kirchliche Erfahrung gleichzeitig auch persönliche Erfahrung ist, die in Persönlichkeiten verwirklicht wird” (25).
Der geistlichen Vaterschaft und allen mit ihr verbundenen Eigenschaften liegen in erster Linie das Vertrauen und die Notwendigkeit des Seelenheils zugrunde. In einem Geronda findet jeder Mensch einen Begleiter, dem man mit Freuden seine Hand reicht, dem man gehorcht und folgt und sich anvertraut. Der Heilige Johannes Klimakos bezeichnet den geistlichen Vater treffend – und diese Bilder werden bis heute noch in der orthodoxen Pastoral verwendet – als “guten Steuermann”, “guten Hirten” und “Vermittler zu Gott”. Dem “geistlichen Gehorsam” selbst liegt der Gehorsam Christi seinem Vater gegenüber zugrunde (Phil 2, 8).
Ich möchte hier noch einmal betonen, dass der Gehorsam des Gläubigen gegenüber dem geistlichen Vater eine freiwillige Entscheidung ist. Der in Sünde gefallene Mensch bemüht sich, seine durch die Sünde getrübte Beziehung zu Gott wiederherzustellen, erkennt jedoch, dass es ihm alleine nicht gelingen kann. In dieser Situation vertraut er sich der Führung eines im geistlichen Leben erfahrenen geistigen Vaters an, um im Kampf gegen seine Sünden Unterstützung zu erhalten. Das Ziel der Unterordnung unter den geistlichen Vater ist also allein die Vertiefung der Beziehung zu Gott. Nur die Entwicklung der Seele in dieser Beziehung ist von Bedeutung, der Gehorsam gegenüber dem Höherrangigen hat keine Bedeutung an sich. Die soteriologischen und eschatologischen Aspekte stehen im Vordergrund, es handelt sich keinesfalls um eine masochistische Lebenseinstellung. Der Gedanke, dass durch möglichst großes Leiden und Ausharren im Gehorsam das Himmelreich errungen werden kann, ist der orthodoxen Kirche fremd.
Heutige Situation
Das Starzentum hat gerade in Griechenland in den letzten Jahrzehnten eine sehr starke Entwicklung genommen. Diese wurde durch die “Heiligsprechung” des Heiligen Porphyrios von Kavsokalyvia (1906-1991), des “Weitsichtigen und Wundertätigen”, im November 2013 gekrönt. Neben den Märtyrern der 1920er Jahre (26), die im Zuge des “Bevölkerungsaustausches” zwischen Griechenland und der Türkei den Tod fanden, gab es zahlreiche Heilige, die als geistliche Väter tätig waren und deren Wirken bis nach Griechenland Früchte trug. Arsenios der Kappadokier, dessen Leben vom Altvater Paissios aufgeschrieben wurde und der bis heute in der orthodoxen Welt große Verehrung findet, zählte zu jener Generation der Gerontes, die das spirituelle Erbe des geistlichen Lebens maßgeblich in eine neue Zeit trugen. Für Altvater Paissios, der auch sein geistliches Kind war, ist ganz klar: die “weltliche Freiheit führt in die geistige Knechtschaft” – die “persönliche Verwirklichung” als Bedürfnis des Menschen der Postmoderne und des 21. Jahrhunderts darzustellen, steht diametral zum orthodoxen Menschenbild. Metropolit Kallistos von Diokleia sagte in einem Vortrag, dass sich die Theologie des 21. Jahrhunderts weiterhin mit dem Problem der Ekklesiologie beschäftigen wird, zudem aber noch die Frage der Anthropologie hinzukomme: Was ist der Mensch nach dem Bild des dreieinen Gottes? Diese Frage erfordert nach wie vor viel Arbeit. Die Überwindung der Begierden und der Leidenschaften führt den Menschen schließlich, indem er in diesem Leben bereits mittels des Gehorsams die Freiheit vom “Tode nach dem Tode” erfahren hat, zur Überwindung der Trennung zwischen den Menschen und Gott. Diejenigen, denen es gelingt, den Eigenwillen abzulegen, haben “ohne Schwierigkeiten die Ketten der Leidenschaften zerbrochen und sind befreit worden von der geistigen Besetzung durch den Menschenmörder”. Das folgt auch den Aussagen des Heiligen Johannes Sinaites, wenn er für jeden, der aus Ägypten hinausziehen möchte, einen Moses, einen “Vermittler von und mit Gott, für nötig hält. Während Ägypten die Welt mit ihren “seelischen Leidenschaften” symbolisiert, erscheint Moses Gebet am Roten Meer als notwendig, um vor dem Pharao, der im Kontext des Heiligen Johannes für den Teufel steht, entkommen zu können (27).
Natürlich weckt die Institution eines absoluten Gehorsams gerade in den westlichen Ländern negative Vorstellungen. Diese Sorgen sind nicht unberechtigt, weil ein minimales Missverständnis, welches das Verhältnis des Gehorsams zu seiner eigentlichen Bestimmung verändert, fatale Folgen haben kann. Dem Gehorsam liegt die Rückkehr zur ontologischen Wirklichkeit der menschlichen Natur zugrunde, nicht das Schaffen willenloser Befehlsempfänger. Der Geronda trägt das geistliche Kind auf seinen Schultern, wie der Hirte sein Lamm. Wenn wir in den patristischen Schriften lesen, dann finden wir den Gehorsam verbunden mit dem Typus des “guten Hirten”, des “Vaters” oder des “Steuermanns”. Es gibt einen Gehorsam der Liebe, der auf einer fundamentalen Gottesliebe und einem Gottvertrauen errichtet ist, und den eines ängstlichen Befehlsempfängers, der folgt, weil er es anders nicht kann oder möchte. Letzteres entspricht nicht der Vorstellung, die im spirituellen Leben herrscht, kann aber, bedingt durch eine inadäquate geistliche Führung, die dominantere Komponente in einer geistlichen Beziehung werden.
Vater Paissios hinterlässt uns folgenden Satz: “Jene, die sich in aller Einfachheit ihrem geistigen Vater anvertrauen, wandern mit großer Sicherheit und ohne zu ermüden und gelangen glücklich ins Paradies. Jenen Jüngern hingegen, die dem Gehorsam auszuweichen suchen, ergeht es wie den unbändigen Kälblein, die ständig am Seil zerren, einmal hierhin, einmal dorthin, bis sie den Pflock ausgerissen haben und danach wie toll aus dem Gehege laufen, sich im Gebüsch verfangen und, wenn man sie nicht rechtzeitig befreit, zuletzt erwürgt werden” (28).
Wir haben festgestellt, dass die Geistliche Vaterschaft als solche soteriologisch auf den Menschen selbst bezogen ist. Während der Bischof, als Vorsteher der lokalen eucharistischen Gemeinde, die Kleriker und das Kirchenvolk um sich versammelt und die ersteren in die Ämter einsetzt und an sich bindet, so obliegt ein gewisser Teil des Hirtenamtes eben auch den Priestern und Diakonen, welche die Sakramente verwalten. Durch die Bindung an den Bischof, in dessen Vollmacht sie handeln, und das Verbleiben in der Kanonizität der lokalen Kirche sind sie in ihrem Hirtenamt vom Bischof ungelöst. So bleibt jeder Kleriker als geistliche Autorität – wenngleich auch Starzen keine geweihten Personen sein müssen – durch die Weihe an den Ortsbischof gebunden. Auch als Mönche sind diese in bestehende Strukturen eingeordnet, in deren Auftrag sie handeln: die Teilung des Gottesvolkes in Klerus und Laien, die durch den dritten Stand, nämlich den monastischen, ergänzt wird, ist an sich nicht eine exakte Wiedergabe der orthodoxen Ekklesiologie: die “eschatologische Schönheit” der himmlischen Hierarchie findet auch in der irdischen Kirche ihren Ausdruck.
Der geistliche Gehorsam ist ein grundlegendes Phänomen im spirituellen Leben der Ostkirche. Entsprechend des Neuen Testamentes und den Überlieferungen der Kirchenväter, die sich diesem Thema sehr früh annahmen, ist sie eine Grundlage des geistlichen Lebens und entwickelte sich in den Jahrhunderten weiter. Sie realisiert und verwirklicht die Liebe Christi und in persönlicher Beziehung zu Gott hin vergegenwärtigt sie das Eschata.
Fußnoten:
1. ὁ γέρων, (Alt-)Griechisch für Greis, alter Mann.
2. Vgl.: E 3,2. Die verwendeten Abkürzungen und Zitate folgen denen der Ausgabe von J. A. Fischer, Die Apostolischen Väter, Schriften der Urchristentums 1, Darmstadt 1986.
3. Die Kanones der Apostel, namentlich 38 und 40, regeln unter anderem die strenge monarchische Position des Bischofs in seiner Diözese. Vgl. Anargyros Anapliotis, Heilige Kanones der heiligen und hochverehrten Apostel (Liturgische Texte und Studien 6), St. Ottilien 2009, S. 47.
4. Sm 8,1.
5. Sm 9,1.
6. Phd 9,1.
7. Tr 2,1-3,3.
8. Tr 7,2.
9. Mg 7,1.
10. John Zizioulas, The One and the Many, Studies on God, Man, the Church and the World Today, Alhambra 2010, S. 225.
11. Michael Fiedrowicz, Theologie der Kirchenväter, Freiburg 2010, S. 69f.
[12] John Zizioulas, The One …, S. 226.
13. John Zizioulas, Being As Communion, London 2004, S. 229.
14. John Zizioulas, The One …, S. 229.
15] Karl Christian Felmy, Einführung in die orthodoxe Theologie der Gegenwart, Berlin 2011, S. 282f.
16. Vgl. Kanon 6 der Synode von Gangra, der sakramentale Handlungen außerhalb der Kirche ohne Erlaubnis des Bischofs grundsätzlich unter Anathema stellt. Darüber hinaus u.a. Kanon 17 des Quinisextum in: Heinz Ohme, Concilium Quinisextum (FC 82), Turnhout 2006, S. 206f.
17. Vgl. Kanon 39 der Apostel.
18. Sergej Bulgakov, Die Lehre der Orthodoxen Kirche, Trier 1996, S. 83f.
19. Panteleimon Rodopoulos, An Overview of Orthodox Canon Law (Orthodox Theological Library 3), Rollinsford 2007, S.161f.
20. Kallistos Ware, The Spiritual Father in Orthodox Christianity, Cross currents 24 (1974), 296-313.
21. So lebte der Heilige Antonius der Große bis zu seinem 55igsten Lebensjahr in einem verlassenen Kastell und war für niemanden zugänglich, ehe er sich Besuchern zur Verfügung stellte. Auch der Heilige Seraphim von Sarov verbrachte dreißig Jahre in Einsamkeit und absoluter Stille.
22. Kallistos Ware, The Spiritual Father in Orthodox Christianity, Cross currents 24 (1974), S. 300: “Without this intense ascetic preparation, without this radical flight into solitude, could St. Antony or St. Seraphim have acted in the same degree as guide to those of their generation? Not that they withdrew in order to become masters and guides of others. “They fled, not, in order to prepare themselves for some other task, but out of a consuming desire to be alone with God. God accepted their love, but then sent them back as instruments of healing in the world from which they had withdrawn”
23. Im Statut der Kirche von Griechenland wird dieser Brief als «γράμμα πνευματικής πατρότητας» bezeichnet.
24. Die Predigt ist auf Neugriechischer Sprache hier nachzulesen:
http://xristianoss.blogspot.de/2011/10/blog-post_25.html (Abgerufen am: 29. März 2014)
25. Sergej Bulgakov, a.a.O., S. 90.
26. Allen voran steht in der Verehrung heute der Volks- und Erzmärtyrer Chrysostomus von Smyrna, der 1922 unter grausamen Bedingungen von einem türkischen Mob ermordet wurde.
27. Andreas Müller, Das Konzept des geistlichen Gehorsams bei Johannes Sinaites (Studien und Texte zu Antike und Christentum 37), Tübingen 2006, S. 208ff.
28. Altvater Paissios, der Agiorit, Briefe, Kloster des Hl. Evangelisten Johannes des Theologen (Hg.), Vasiliká 2008, S. 116.