Das Kreuz als Gelegenheit für die Auferstehung

Einleitung

Die Kreuzigung des Herrn ist ein einzigartiges und unwiederholbares Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Das Kreuz – in der Antike als Mittel zu einem schändlichen Tod bekannt – wird zum „Kreuz Christi“, zum Symbol der überwältigenden Macht der Liebe. Der Herr, der aus freiem Willen für das Heil der Menschen leidet, lehrt von Seinem Kreuz aus die äußerste Nächstenliebe, die opferbereite Kenosis. Christus ist der Weg, der zur Wahrheit führt und Sein Geschöpf wieder mit dem Leben verbindet, indem Er den Tod durch den Tod zertritt. Das Kreuz wird dadurch zur Quelle des Lebens und des Heils. 

Die Kirche verehrt und verherrlicht das heilige und lebensspendende Kreuz des Herrn und bittet den darauf erhobenen Herrn, das Leben und den geistlichen Kampf der Gläubigen zu stärken. Der hl. Niketas Paphlagon betont die wesentliche Beziehung zwischen dem Kreuz und dem Gekreuzigten: „Indem ich das Kreuz verehre, ehre und bete ich den Herrn Jesus Christus an, der daran gekreuzigt ist. Indem ich den Gekreuzigten und Erhabenen verehre, bete ich das Kreuz an, das Werkzeug des Opfers des Herrn am Kreuz, das Mittel zur Erlösung des Menschengeschlechts.“[1]

Das Kreuz hat die ganze Welt mit Freue über die Erlösung erfüllt, wie der hl. Kyrill von Jerusalem schreibt.[2] In unserer Kirche werden die Ereignisse im Zusammenhang mit dem heiligen Kreuz, seiner Entdeckung, seiner Erhöhung und seiner Verehrung mit besonderen Festen begangen. Doch das Gedenken der Passion des Herrn in der Hohen und Heiligen Woche und Seiner Auferstehung ist vielleicht die beste Zeit, um die Tiefe und Weite des Geheimnisses des Kreuzes zu ergründen. Die Gottesdienste, Hymnen und Lesungen helfen dem Christen, das Kreuz mit den Augen seiner Seele zu sehen, im Licht der Auferstehung, als „Zeichen“, das den Beginn einer neuen Anstrengung im unaufhörlichen Kampf um die Rückkehr zum liebenden Vater und die Teilnahme an seinem unaussprechlichen Reich markiert.

 

Das Kreuz Christi

Das Kreuz ist der Altar, auf dem der Herr nach den Worten des Apostels Paulus Sein einzigartiges Opfer dargebracht hat, um die Sünden vieler zu tragen.[3] Als Werkzeug der Erlösung der Menschheit war es eine Quelle der Inspiration für viele heilige Väter und Kirchenschriftsteller. Für den hl. Johannes Chrysostomos ist der Tag des Kreuzes ein Anlass zum Feiern und ein geistliches Fest. Das Holz, das früher Verdammnis bedeutete, ist nun Gegenstand der Ehre und eine Bedingung unseres Heils geworden. Es ist die Ursache dafür geworden, dass wir viele Güter erlangt haben, es hat uns vom Irrtum befreit, es hat uns erleuchtet, die wir in der Finsternis saßen; es hat uns im Kampf erleuchtet und uns mit Gott versöhnt. Wir waren entfremdet und er hat uns zur Familie gemacht, wir waren fern und er hat uns nahe gebracht. Das Kreuz ist das Verderben des Feindes, die Sicherheit des Friedens; es ist für uns ein Schatz mit tausend Gütern geworden.“[4]

Der göttliche Heilsplan durch das Kreuz ruft Worte der Bewunderung eines anderen großen Vaters unserer Kirche hervor, nämlich bei Athanasius dem Großen: „O göttliche wahre Weisheit und himmlisches Werk! Das Kreuz wurde erhöht, und der Götzendienst wurde zerstört. Das Kreuz wurde aufgerichtet, und die teuflische Herrschaft wurde vernichtet.“[5] Nach Athanasius dem Großen führt das Kreuz die Gläubigen zur Erlösung, es besiegt und beseitigt das Werk des Teufels. Gleichzeitig wird es zum Vermittler, zum Bindeglied und zur Versöhnung zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Himmlischen und dem Himmlischen.[6]

Der heilige Germanos II., Patriarch von Konstantinopel, versteht das Kreuz als Altar: „Als deinen geliebten Altar, o Herr der Heerscharen, auf dem du wie ein Lamm opferst, aber für die Sünde der Welt betest...“[7].

Der Hymnograph des Gottesdienstes der Heiligen Leiden des Herrn preist und verherrlicht den Erlöser, der aus unendlicher Liebe zu seiner Kreatur durch sein heiliges Blut und seinen Tod am Kreuz den Menschen von der Sünde und der Macht des Bösen erlöst und ihm Unsterblichkeit geschenkt hat.[8]

Der Evangelist Matthäus beschreibt das Opfer des Gottmenschen als „Lösegeld“ (lytron): „Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“.[9]Auch der Apostel Paulus verwendet in seinem Brief an Timotheus den Begriff des Lösegelds (antilytron): „der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle“.[10] Die beiden griechischen Wörter haben dieselbe Bedeutung und bezeichnen den Preis der Erlösung, wie der Evangelist Lukas sagt: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn Er hat Sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen.“[11]

Viele Theologen haben sich mit dem Begriff der „Erlösung“ auseinandergesetzt und darüber diskutiert; verschiedene Interpretationen wurden entwickelt.[12] Nach einer legalistischen Auffassung hat Christus am Kreuz einen Preis für jeden Sünder bezahlt, so dass er, frei von der Erbsünde und allen anderen Sünden, mit ihm der Sieger über den Tod und ein zukünftiger Teilhaber des ewigen Reiches sein würde. Die patristische Theologie betonte dagegen die Selbstaufopferung des Lebens Christi in Seinem Opfer am Kreuz, das nicht als Preis für die Gerechtigkeit gezahlt wurde, sondern die Selbstaufgabe des individuellen Selbstseins und die Unterwerfung des Gottmenschen unter den Willen des Vaters ist, der Seine Liebe offenbarte, indem er Seinen eingeborenen Sohn sandte.[13] Die endgültige Erniedrigung Jesu Christi geschieht aus Liebe, denn Sein Opfer zielt darauf ab, „die individuellen Gewissheiten des eingeschlossenen Ichs zu vernichten und sich der Transzendenz des Ichs in Bezug auf Gott und den kirchlichen Leib zuzuwenden. Dieses Opfer ist kein Zeichen für irgendeinen moralischen Bezug, sondern bezieht sich auf die Art und Weise der Existenz Christi, die Koexistenz des Geschaffenen mit dem Ungeschaffenen“[14].

Der heilige Andreas, Erzbischof von Kreta, bezeichnet in seiner Predigt auf die Erhebung des heiligen und lebenspendenden Kreuzes das Kreuz Christi als einen Schatz: „Ich nenne es einen Schatz, durch den die ganze Verheißung unserer Erlösung vollbracht wurde, denn wenn es nicht gewesen wäre, wäre Christus nicht gekreuzigt worden. Christus – das wahre Leben – wäre nicht an das Holz genagelt worden ... die Quellen der Unvergänglichkeit, Blut und Wasser, die Reinigung der ganzen Welt, wären nicht aus seiner Seite geflossen. Der Schuldschein der Sünde wäre nicht zerrissen worden; wir hätten weder unsere geistige Freiheit noch könnten wir uns des Lebensbaumes erfreuen; der Himmel wäre nicht geöffnet worden; das flammende Schwert hätte den Eingang zu Eden nicht wieder freigegeben; der Schächer wäre nicht in den Himmel gekommen ... Wenn es das Kreuz nicht gegeben hätte, wäre Christus nicht auf die Erde gekommen; und wenn Er nicht gekommen wäre, hätte es keine Jungfrau gegeben. Und wenn es die Jungfrau nicht gegeben hätte, hätte es keine zweite Geburt Christi [d.h. die Auferstehung] gegeben. Es gäbe keine Begegnung Gottes unter den Menschen; es gäbe keine Geburt, keine Krippe, keine Leinentücher, keine Beschneidung am achten Tag, keine Unterordnung unter Seine Eltern, keine Zunahme des Alters, noch die Zunahme des Körpers, noch Sein Erscheinen, noch die Taufe, noch die Wunder, noch den Verräter Judas, noch den Prozess vor Pilatus, noch die Anmaßung der Judäer, die beharrlich die Kreuzigung des Unschuldigen forderten. Und wenn es kein Kreuz gegeben hätte, wäre der Tod nicht zertreten worden, noch wäre der Hades vernichtet worden, noch wäre die böse Schlange, der Teufel, erschlagen worden …“[15].

Die „Seligpreisungen“, die zur Hymnologie des Gottesdienstes vom Leiden des Herrn gehören, beziehen sich darin unmittelbar auf die rettende Wirkung des Kreuzes, auf die Öffnung des Paradieses und die Wiederherstellung in Christus. „Durch den Baum, Adam, wurdest aus dem Paradies vertrieben, durch das Holz des Kreuzes, wurde der Schächer des Paradieses gewürdigt. Wer es gekostet hat, der hat das Gebot dessen getan, der es geschaffen hat. Der aber, der mitgekreuzigt wurde, bekannte den verborgenen Gott“[16]. Der am Kreuz hängende Herr nimmt das Bekenntnis und die Bitte des reuigen Schächers an und sagt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“[17], aus dem Adam wegen seines Ungehorsams und des Kostens von der Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse vertrieben wurde. Ein Stück Holz wurde zur Ursache für die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies und ein anderes Stück Holz, das des Kreuzes, wird zur Ursache für die Rückkehr des Menschen in das geistige Eden.

Der heilige Johannes Chrysostomus bezeichnet „die Öffnung des Paradieses und den Eintritt des Schächers in das Paradies als Großtaten des Kreuzes“. Der Heilige Vater hält fest: „Er hat heute das Paradies für uns geöffnet .... Heute hat Gott uns unsere alte Heimat zurückgegeben, heute hat Er uns in die Stadt unserer Vorfahren zurückgebracht und dem ganzen Menschengeschlecht eine Wohnung gegeben“.[18]

Die Rückkehr ins Paradies wurde möglich nach der Abschaffung des lodernden Flammenschwertes, das Gott zusammen mit den Cherubim am Eingang des Paradieses aufgestellt hatte, um es zu verschließen und den Eintritt und den Zugang zum Baum des Lebens zu verhindern.[19]

Das Flammenschwert wurde durch die Macht des Kreuzes wieder abgeschafft, und so wurde das Paradies nach dem Sieg über den Tod wieder geöffnet, wie es etwa im Kontakion des dritten Fastensonntags heißt: „Nicht mehr bewacht das Flammenschwert die Pforte von Eden. Denn es nahte sich ihm eine neue Versöhnung, der Baum des Kreuzes. Des Todes Stachel und des Hades Sieg ist zerschmettert. Du tratest, mein Heiland, herzu, den Bewohnern der Unterwelt zurufend: Lasst euch zurückführen ins Paradies.“[20]

Christus am Kreuz war, obwohl er scheinbar schwach und unfähig war sich zu wehren, war in Wirklichkeit stark und mächtig. Obwohl er gekreuzigt wurde, schenkt Er den Menschen in Person des Schächers durch das Kreuz seine verlorene Heimat, das Paradies.

Wie kann der Gekreuzigte dem Schächer das Paradies versprechen? Das ist für die menschliche Logik nicht nachvollziehbar. Nach Johannes Chrysostomus weist diese Zusage auf Seine Vollmacht am Kreuz an. Er schreibt: „Weil das Ereignis betrüblich war,... um die Macht des Gekreuzigten am Kreuz zu erkennen, vollbringt Er das Wunder...  Denn weder als Er die Toten auferweckte, noch als Er das Meer und die Winde erhob, noch als Er die Dämonen austrieb, gelang es Ihm, den bösen Sinn des Schächers zu ändern, sondern nur, als Er gekreuzigt wurde, als Er ans Kreuz geschlagen wurde, als Er verspottet wurde – sodass du Seine Macht von beiden Seiten sehen kann. Und Er erschütterte die ganze Schöpfung und zerbrach die Steine und bewegte und ehrte die Seele des Schächers, die noch unempfindlicher war als alle Steine.“[21]

Der Schächer ist die Person des Tages der Leiden des Herrn, so der hl. Johannes Chrysostomos: „Möchtest du, dass ich dir kurz von seiner Heldentat erzähle? Petrus verleugnete Ihn [Christus], als Er noch nicht einmal am Kreuz hing, während dieser Ihm am Kreuz glaubte... Der Schächer, obwohl er um sich herum eine Menge von Menschen sah, die wütend schrien und lästerten und spotteten, beachtete sie nicht, noch achtete er auf dessen scheinbare Schwäche, sondern, all dies mit den Augen des Glaubens übersehend, erkannte den Herrn des Himmels und flehte Ihn an: ‚Gedenke meiner, Herr, wenn Du in Dein Reich kommst.‘“[22] Der hl. Vater ermahnt uns, nicht leichtfertig den Schächer zu übersehen und uns nicht zu schämen, ihn als unseren Lehrer zu betrachten, denn unser Herr schämte sich nicht, ihn als ersten ins Paradies zu führen und ihn zum ersten Bürger des Himmelreiches zu machen.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  

Diejenigen, die bei der Kreuzigung Jesu anwesend waren, blieben angesichts der wunderbaren Ereignisse und Phänomene teilnahmslos und nahmen nicht an der göttlichen Passion teil. Nur der römische Zenturion, der Hauptmann, ahnte das große Verbrechen, und als er sah, was geschah, verherrlichte er Gott und sagte: „Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter.“[23] Er wurde gewürdigt, der erste Heide zu sein, der an Christus glaubte. Die neugierigen Juden, die am Ort der Kreuzigung anwesend waren, schlugen sich dagegen scheinheilig und ohne Reue an die Brust, inspiriert von vorübergehender emotionaler Erregung und Angst. Sie blieben gleichgültig und gleichgültig gegenüber der Gelegenheit, die sich ihnen bot. 

Das Kreuz ist ein kostbares und großes Geschenk. „Groß, weil viele gute Dinge und Wohltaten durch es geschehen sind. So viele, dass sie zusammen mit den Wundern und dem Leiden Christi alle Macht der Rede und des Ausdrucks übersteigen. Kostbar, weil das Kreuz auf das göttliche Leiden und den Sieg hinweist. Leiden, weil der betrogene Christus aus freiem Willen den Tod am Kreuz erlitt; und Sieg, weil der Teufel durch das Kreuz verwundet wurde und mit ihm auch der Tod besiegt wurde. Die Pforten der Hölle wurden niedergerissen, und schließlich wurde das Kreuz zur gemeinsamen Rettung der ganzen Welt,“[24] schreibt der heilige Andreas von Kreta.

Das Kreuz ist die Herrlichkeit Christi, wie es im Evangelium heißt. Jesus sagte vor Seinem Leiden zu Seinen Jüngern: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.“[25] Und: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.“[26] Die Passion Christi nach dem Verrat seines Jüngers wird als Seine Verherrlichung verstanden. In der Orthodoxen Kirche wird statt der von Pilatus am Kreuz angebrachten historischen Inschrift „Jesus von Nazareth, König der Juden“ oft die Inschrift um „... König der Herrlichkeit“ ergänzt, um die Bedeutung der Passion am Kreuz zu hervorzuheben.

„Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war!“[27] Außerdem: „Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.“[28]  Zu diesen Passagen bemerkt der heilige Andreas: „Er nennt die Veränderungen und das Mitleiden der Elemente der Natur, die damals die Kreuzigung des Herrn miterlebten, Herrlichkeit, weil auch diese Geschöpfe am Leiden des Schöpfers teilhaben mussten.“[29]

Die wundersame Beteiligung der Natur und ihrer Elemente am Leiden des Herrn am Kreuz überraschte der Überlieferung zufolge den damals noch heidnischen Dionysius den Areopagiten in Athen und er rief aus: „Gott leidet oder alles ist verloren“. In der Hymnographie der heiligen Väter wird die universale Teilhabe eindrucksvoll beschrieben: „Die ganze Schöpfung wurde in Furcht verwandelt, als sie Dich auf dem Kreuz hängen sah, Christus Die Sonne verdunkelte sich und die Fundamente der Erde erbebten. Alles litt mit Dir, dem Schöpfer aller Dinge, der dies aus freiem Willen erlitten hat. Herr, Ehre sei Dir!“[30] In einem anderen Troparion spricht der Dichter Christus an: „Als Dich, den Gekreuzigten, die ganze Welt sah, erzitterten, Christus, die Fundamente der Erde und erbebten in Furch vor Deiner Macht.“[31] Das erste übernatürliche Phänomen war die unerklärliche Finsternis, die über die ganze Erde hereinbrach, als die Sonne plötzlich erlosch; das zweite war der Riss im Vorhang des Jerusalemer Tempels; und das dritte war das große Erdbeben, das den Planeten erschütterte. Die Erde war schockiert und erschüttert, weil sich auf ihr das schrecklichste Ereignis der Geschichte abspielte. Das vierte Ereignis war das Zerreißen der Felsen. Das letzte und schrecklichste übernatürliche Phänomen war die Öffnung der Denkmäler und die Auferstehung der heiligen Väter von einst. Sowohl die Hymnographie als auch die göttlichen Väter stellen in ihren Werken fest, dass zur Ehre des Herrn die Teilnahme der Natur am göttlichen Leiden und die wundersamen Ereignisse geschahen, die keinen Präzedenzfall haben und sich seither auf der Erde nicht wiederholt haben.

Seine Erhöhung am Kreuz wurde von Christus selbst vorhergesagt. „wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.“[32] „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.“[33] Die Erhöhung wird dabei mit der Herrlichkeit gleichgesetzt: „Erhebe dich über den Himmel, Gott! Deine Herrlichkeit sei über der ganzen Erde!“[34], singt der Psalmist. Der Prophet Jesaja spricht für den Herrn: „Jetzt stehe ich auf, spricht der Herr, jetzt erhebe ich mich, jetzt richte ich mich auf.“[35] Das Werkzeug für die Erhöhung und Verherrlichung des Herrn Jesus war Sein Kreuz.

Das Kreuz für den Menschen

Im Sakrament der Taufe wappnet sich der Christ mit dem Zeichen des Heiligen Kreuzes, das er als Rüstung trägt, um sich in seinem geistlichen Kampf gegen die Mächte des Teufels zu stärken. Er nimmt die Ermahnung des Herrn ernst, in der es heißt: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“[36]

Der heilige Andreas von Kreta hat in beredten Worten zusammengefasst, was das Kreuz für den Menschen sein kann: „Das Kreuz ist die Hoffnung der Christen, der Retter der Hoffnungslosen, der Erlöser der Leidenden, der Spender der Gesundheit, das Leben der Verdammten, Anleitung für die Frömmigkeit, der Maulkorb der Gotteslästerung. Das Kreuz ist eine Waffe gegen Feinde, eine Zepter des Königreiches, ein Diadem der Schönheit, ein ungeschriebenes Bild, ein Stab der Macht, ein Stab der Stärke, ein Fundament des Glaubens, ein Stock des Alters, ein Führer der Blinden, ein Licht für alle in der Dunkelheit, ein Lehrer der Toren, ein Erzieher der Unmündigen, die Aufhebung der Sünde, ein Zeichen der Reue, ein Zeichen der Gerechtigkeit. Das Kreuz ist eine Himmelsleiter, ein Weg zur Tugend, ein Konsul des Lebens, das Ende des Todes, ein Beseitiger des Verderbens, ein Löschwasser des Feuers, Fürsprache bei Gott, ein Schlüssel zum Himmelreich. Das Kreuz ist ein Wächter in der Nacht, ein Turm am Tag, ein Führer für alle in der Dunkelheit, ein Maß in der Fröhlichkeit, ein Seelenführer in der Verzagtheit, ein Versöhner, ein Bittsteller, ein Freund, ein Fürsprecher, ein Verteidiger, ein Beschützer, ein Aufseher.“[37]

Jeder Christ muss sein eigenes Kreuz auf sich nehmen, das zugleich das Kreuz des Herrn ist, denn das Kreuz ist die Erfüllung der Gebote des Herrn. Am Kreuz der Askese kreuzigt er fortwährend sein altes sündiges Selbst samt allen seinen „Leidenschaften und Begierden“[38]. Das Kreuz sind auch die Leiden und Schmerzen des irdischen Lebens, sündige Schwächen und Leidenschaften, Fasten, Wachen und andere geistliche Übungen, durch die das Fleisch gedemütigt und der Geist Gott untergeordnet wird.

Das „Aufnehmen“ des Kreuzes durch den Christen ist eine Pflicht und offenbart die Unterordnung aus freiem Willen, ebenso wie die Nachahmung Christi, das Mitgefühl und die Teilnahme am göttlichen Leiden. Es erfordert seinerseits Kämpfe, Opfer, Konsequenz, Einübung und Geduld. Der Gläubige nimmt sein Kreuz dann würdig auf sich, wenn er akzeptiert, dass Bedrängnisse für seine Umwandlung in Christus, für seine Ähnlichkeit mit Ihm und für sein Heil notwendig sind. Das Kreuz von Herzen auf sich zu nehmen bedeutet, sich seiner Sündhaftigkeit bewusst zu werden und wahre Reue zu zeigen. Indem er sein Kreuz auf sich nimmt, bekennt der Christ den heiligen Willen des Herrn, er klagt sich selbst an, demütigt sich, tut Buße und wartet auf die große Begegnung mit Christus, seinem Weggefährten und Helfer bei der Bewältigung seiner vielen Verfehlungen. Christus hört dem Sünder zu, Er unterhält sich mit ihm, schenkt ihm die Gelegenheit, Ihn kennenzulernen. Schließlich nimmt Er ihn zu sich und macht ihn zu einem Teilhaber und Bewohner des Paradieses. Angesichts dieses Segens verherrlicht der Christ den Herrn und setzt seinen Weg fort. Doch nun ist die Last Jesu leicht und sein Joch „sanft“. Der hl. Isaak der Syrer vergleicht das Kreuz des Jüngers mit einer Straße: „Der Weg Gottes ist ein tägliches Kreuz. Das Kreuz ist das tägliche Kreuz, denn niemand im Himmel ist in Bequemlichkeit aufgestiegen. Denn wir wissen, wo dieser Weg endet.“[39]

Obwohl das Kreuz Christi für Menschen in der Welt schwer ist, ist es für den gläubigen Christen eine unerschöpfliche Quelle unaussprechlicher geistlicher Freude. Diese Freude ist so groß, dass sie Kummer und Schmerz nicht erscheinen lässt. Das Kreuz ist die Kraft und der Ruhm der Heiligen aller Zeiten, die Heilung von Leiden und die Vernichtung von Dämonen. Es erhebt den gekreuzigten Menschen über die Erde. Wenn der Christ die Bedeutung der Kreuzerhöhung versteht, dankt er dem Herrn für das Geschenk, das Er ihm im Kreuz macht, und für die Möglichkeit, Sein erlösendes Leiden nachzuahmen und daran teilzuhaben. Dann begreift er, dass es ohne das Kreuz keine wahre Gotteserkenntnis gibt.

Der Christ, der in Christus lebt und geduldig die Nöte auf sich nimmt, ist auf die ewigen und unvergänglichen Güter bedacht, er lebt von diesem Leben an im Himmel und schaut die Mysterien Gottes. So wird er auch ein Teilhaber am Reich Gottes und ein Bewohner des Himmels.

All das zeigt, dass durch die Kraft des Kreuzes Christi unsere menschlichen Kreuze, die Bedrängnisse, die Sorgen, die Leiden und die Sünde, in eine große Gelegenheit zur geistigen Erhebung und zur Auferstehung verwandelt werden können und zu einer Gelegenheit für den Eintritt in das Leben in Christus und zu einem Vorgeschmack auf die himmlischen Güter werden können, „was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“[40].

Der Apostel Paulus, der Mund des Heiligen Geistes, hat die grundlegendste zeitlose Aussage über das Kreuz des Herrn in einfachen Worten ausgedrückt: „Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird.“[41]

Die Botschaft von der unendlichen Liebe Gottes zu seinem Geschöpf, die vom kostbaren und lebensspendenden Kreuz ausgeht, und die Erlösung, die sich daraus ergießt, wird nicht von allen in gleicher Weise verstanden. Die bereits „Verlorenen“, die verlorenen Schafe, die nicht an das Wort Gottes geglaubt haben und Ihm nicht zu folgen wollen, halten die Botschaft des Kreuzes für törichte und leere Worte. Für alle jedoch, die auf dem Weg des Heils sind und an das glauben, was das Kreuz ausdrückt, wird es hingegen zu einer Kraft Gottes, die sie in ihrem Ringen unterstützt. Die Lehre vom Kreuz führt sie auf den Weg der Gerechtigkeit, der in der ewigen Ruhe in der Nähe des gekreuzigten Überwinders der Sünde, Jesus, endet.

Der Weg des Christen zum Kreuz ist steil wie der Weg Christi nach Golgatha, aber sein Herz ist voller Hoffnung. Wie der Herr bei Simon von Cyrene Unterstützung fand, so findet der Gläubige in seinem Ringen um Vollkommenheit in Christus Unterstützung beim Herrn selbst. Die „Geretteten“ leben in der Gegenwart und genießen schon auf Erden die Freuden des Himmels. Die „Verlorenen“ hingegen, die von ihrem eigenen Willen überwältigt sind und keine Aussicht auf Erlösung haben, leben auf der Erde in einem ausweglosen Zustand, den nur ihre radikale Umkehr und ihre Beziehung zu Christus umkehren kann.

Der Christ zieht, mit dem Kreuz bewaffnet, gegen die Mächte des Bösen, denn der alte Feind ist unfähig, sich der Macht Kreuzes zu stellen, er erschrickt und zittert bei seinem Anblick. Gregorios Palamas beschreibt das Kreuz als Siegeszeichen, „dessen bloßer Anblick den Erzfeind vertreibt, verwirrt und vernichtet. Es verkündet seine Niederlage und Zertrümmerung, doch es verherrlicht Christus und offenbart der Welt Seinen Sieg“[42]. Durch die Kraft des heiligen Kreuzes stellt sich der Christ seinen Problemen und leeren Gedankenbildern mit dem Ziel seiner Auferstehung zum ewigen Leben. Die Überzeugung, dass der Herr durch das Kreuz den Menschen die Auferstehung und das Heil geschenkt hat, kommt in den Hymnen der Kirche feierlich zum Ausdruck: „Dein Kreuz, o Herr, ist Leben und Auferstehung für Dein Volk; und wir haben daran geglaubt, wir preisen dich, den Gekreuzigten, unseren Gott, erbarme dich unser.“[43]

Das Kreuz, das Holz, auf dem der Herr nach Seinem freiwilligen Leiden Seinen Geist hingab, ist viel mehr als ein bloßes Symbol oder ein Gegenstand der Verehrung, es stellt den tieferen Sinn des christlichen Glaubens dar und ist der Kern der Theologie und Spiritualität der Kirche. Es ist der Träger der Liebe, des Opfers und des Sieges des Erlösers; es ist für sein Volk der mystische Weg hin zum wahren Leben und zur verheißenen Auferstehung, die das irdische Leben mit dem wahren Licht, Christus, erfüllt. Nur durch das Kreuz werden wir zur Auferstehung geführt, wo „…alles mit Licht erfüllt wird, Himmel und Erde und alles unter der Erde …“[44].

 

[1] Niketas Paphlagos, Zweite Rede auf die Erhebung des Kostbaren und Lebenspendenden Kreuzes (PG 105, 28B).

[2] Vgl. Kyrill von Jerusalem, Ad illuminandos (PG 33, 468–469, hier: 469A).

[3] Hebr 9,28.

[4] Johannes Chrysostomos, Rede auf das Kreuz und den Schächer (PG 49, 399–408, hier: 399).

[5] Vgl. Athanasius der Große, Rede auf das Leiden des Herrn (PG 28, 1053–1062, hier: 1055C).

[6] Vgl. Athanasius der Große, Rede auf das Leden des Herrn und auf das Kreuz (PG 28, 158–250, hier: 237).

[7] Germanos II. von Konstantinopel, Predigt auf die Erhöhung des kostbaren Kreuzes und gegen die Bogomilen (PG 140, 621–643, hier: 637D).

[8] Kathisma aus dem Gottesdienst der Heiligen Leiden: „Freigekauft hast Du uns von dem Fluch des Gesetzes durch Dein kostbares Blut, ans Kreuz genagelt und mit einer Lanze durchbohrt, hast du die Unsterblichkeit hervorquellen lassen. Unser Retter, Ehre sei Dir!“

[9] Mt 20,28.

[10] 1 Tim 2,6.

[11] Lk 1,68.

[12] Vgl. P. Demetropoulos, Lytron, in: Threskeutike und Ethike Egkyklopaideia, Bd. 8, Athen 1966, hier: 420.

[13] Vgl. 1 Joh 4,9–10: „Darin offenbarte sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Darin besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.“

[14] Christos Yannaras, Das Alphabet des Glaubens, Athen 2016, 168.

[15] Andreas von Kreta, Erste Rede auf die Erhebung des kostbaren und lebenspendenden Kreuzes (PG 97, 1017–1036, hier: 1020B).

[16] Seligpreisungen des Gottesdienstes vom Leiden des Herrn.

[17] Lk 23,43.

[18] Johannes Chrysostomos, Rede auf das Kreuz und den Schächer (PG 49, 401).

[19] Vgl. Gen 3,23–24: „Da schickte Gott, der Herr, ihn aus dem Garten Eden weg, damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war. Er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Kerubim wohnen und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.“

[20] Kontakion des Dritten Fastensonntags.

[21] Johannes Chrysostomos, Rede auf das Kreuz und den Schächer (PG 49, 401).

[22] Ebd., 402.

[23] Lk 23,47.

[24] Andreas von Kreta, Erste Rede auf die Erhöhung des Kostbaren und Lebenspendenden Kreuzes (PG 97, 1020D).

[25] Joh 12,23.

[26] Joh 13,31.

[27] Joh 17,5

[28] Joh 12,28.

[29] Andreas von Kreta, Erste Rede (PG 97, 1021D).

[30] Erstes Troparion der Aposticha vom Orthros des Hohen Freitags.

[31] Drittes Troparion der Ainoi vom Orthros des Hohen Freitags.

[32] Joh 12,32.

[33] Joh 3,14–15.

[34] Ps 56,6.

[35] Jes 33,10.

[36] Mk 8,34.

[37] Andreas von Kreta, Erste Rede (PG 97, 1020–1021A).

[38]

[39] Isaak der Syrer, Asketische Worte, Vierte Rede, in: Philokalie, Bd. 8, 134.

[40] 1 Kor 2,9.

[41] 1 Kor 1,17.

[42] Gregorios Palamas, Predigt auf das kostbare und lebenspendende Kreuz, 11,27, in: Gregorios Palamas Werke, Bd. 9.

[43] Auferstehungssticheron der Ainoi, Sechster Ton.

[44] Osterkanon, Troparion der dritten Ode.

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