Die Heilige Eucharistie  als Erfahrung des Reiches Gottes auf Erden in der Orthodoxen Kirche

Vortrag Seiner Eminenz, Metropolit Arsenios von Austria und Exarch von Ungarn auf dem Theologischen Symposium (Esztergom, 3.–4. September 2021) in Vorbereitung auf den Eucharistischen Kongress in Budapest (5.–12. September 2021)

Einführung

„Gepriesen sei das Reich des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Eminenzen, Exzellenzen, liebe Brüder und Schwestern, 

Mit diesen Worten beginnt jede Göttliche Liturgie, also jede Eucharistiefeier in der Orthodoxen Kirche. Von Anfang an wird mit großem Nachdruck deutlich gemacht, dass die Eucharistie nicht nur eine bloße Gedächtnisfeier oder eine Erinnerung an ein längst vergangenes Ereignis ist. Im Gegenteil, es wird vor allem eines in den Mittelpunkt gestellt: dass die Mitfeiernden an einer göttlichen Erfahrung im Hier und Jetzt teilnehmen. Das Reich Gottes ist der Inhalt des christlichen Glaubens, es bedeutet die Einheit mit Gott und das Leben in Ihm.[1] Wenn wir zu Beginn der Eucharistiefeier das himmlische Reich Gottes (βασιλεία τοῦ Θεοῦ) preisen, bekennen wir dieses als den höchsten Wert, als die Erfüllung unseres Verlangens, unserer Liebe und unserer Hoffnung. Wenn gleichzeitig zu diesem Ruf die Schöne Pforte in der Mitte der Ikonostase geöffnet wird, symbolisiert dies genau das: das Himmelreich steht offen, Gott lädt uns ein! Es bedeutet, dass uns schon jetzt, auf Erden, die Möglichkeit geschenkt wird, am himmlischen Reich Gottes teilzunehmen und in seine Wahrheit und Freude einzutreten. Es ist ein Hineingehen in eine neue Realität, in der das Himmlische zusammen mit dem Irdischen, die Vergangenheit zusammen mit Zukunft und Gegenwart im ewigen Jetzt Gottes verklärt werden. Es ist das Hineintreten in das trinitarische Reich, welches vor allem auch ein Reich der Liebe und Beziehung (κοινωνία, communio) ist. 

Die Heilige Eucharistie, die wir hier auf Erden erleben und an der wir teilnehmen, ist eine Teilhabe an der himmlischen Liturgie. Durch das Kreuz Christi wurde uns Menschen Anteil am Reich Gottes geschenkt. Christus ist der König dieses Reiches, das kam und stets neu kommt. Er kam durch das Kreuz und kommt mit dem Kreuz.[2] Durch Christus wird dem Menschen das himmlische Reich nicht nur offenbart, sondern die Göttliche Liturgie wird zu einem transzendentalen Erfahrungsort par excellence für den christgläubigen Menschen. Die Liturgie, und damit auch das Reich Gottes, ist also nicht eine Art „Bühnenspiel“, an dem die Zuschauenden nur passiv teilnehmen. Das Reich Gottes, das sich zu Beginn der Eucharistiefeier öffnet, wird ein Reich für alle und für jeden und vor allem in voller Fülle für die Getauften. Es ist eine aktive Hinein- und Teilnahme am Heilswirken Gottes in der Welt, welches mit allen menschlichen Sinnen gelebt wird.

In jeder Eucharistiefeier wird der gesamte Heilsplan Gottes gewissermaßen „rekapituliert“ (ἀνακεφαλαίωσις), um auf die Terminologie des hl. Irenäus von Lyon zurückzugreifen.[3]Entsprechend heißt es in der Anaphora des hl. Johannes Chrysostomos, dass wir „all dessen“ gedenken, „was für uns geschehen ist: des Kreuzes, des Grabes, der Auferstehung am dritten Tag, der Auffahrung in die Himmel, des Sitzens zur Rechten des Vaters, der künftigen glorreichen Wiederkunft“. Wie können wir uns an etwas erinnern – die glorreiche Wiederkunft Christi –, das noch nicht geschehen ist? In der Göttlichen Liturgie fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen, denn auch wenn das Mysterium der Eucharistie auf die Vergangenheit bezogen ist, nämlich auf das Abendmahl, und in Erinnerung an den Herrn und an seinen Auftrag an uns begangen wird, so hat es doch wesentlich eschatologischen Charakter. Das geht schon aus den Worten Christi selbst hervor: „Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung findet im Reich Gottes. […] Denn ich sage euch: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt.“ (Lk 22,16. 18) Die Eucharistie ist die Teilhabe am eschatologischen Festmahl und Erbe des Reiches Gottes für die Gläubigen. Auch wenn es als Eschaton innerhalb der Geschichte noch nicht vollständig Wirklichkeit ist, wird durch die Wandlung der dargebrachten Gaben von Brot und Wein aus dem irdischen und vergänglichen Leben bereits das neue, ewige und wahre Leben Wirklichkeit, nämlich in den Mysterien des Leibes und Blutes unseres Herrn.[4] Nach dem hl. Porphyrios Kavsokalyvitis ist es jenes Mysterium, das der Herr selbst gestiftet hat und in dem er sich selbst für die Kirche darbringt, die sein Leib ist und von Ihm „genährt und geheiligt wird und mit Christus lebt“[5]. Dieses Mysterium ist gewissermaßen der Höhepunkt des gesamten liturgischen Lebens. In ihm begegnen wir Christus selbst in all Seinem staunenerregenden Reichtum Seiner gottmenschlichen Person und Seines gottmenschlichen Leibes, Seiner Kirche.[6]

Bekanntlich war in der Alten Kirche die eucharistische Erfahrung dieses Reiches vor allem den Getauften vorbehalten. So gibt es, nach der Vorbereitung der Gaben (Prothesis), die nur von den Liturgen im engeren Sinn gefeiert wird, zwei große Teile der Göttliche Liturgie: Die Liturgie der Katechumenen mit verschiedenen Ektenien, den Lesungen und idealerweise der Predigt sowie die Liturgie der Gläubigen (bzw. der Getauften), die mit dem Glaubensbekenntnis beginnt und nach der Kommunion mit dem Schlusssegen ihr Ende findet. Auch wenn die förmliche Entlassung der Katechumenen nach dem ersten Teil heute kaum noch praktische Bedeutung hat, ist die Intention doch die gleiche geblieben: Durch die Taufe und Myronsalbung wird dem Menschen jene Gnade zuteil, die dazu befähigt, die Wandlung der Gaben zu erfahren und am Mysterium in Jesus Christus teilzuhaben. Erst das Ablegen des alten Menschen und durch die Auferstehung als neuer Mensch in Jesus Christus, ist es für Getaufte möglich, diese göttliche Erfahrung zu machen. In dieser Perspektive wird es verständlich, dass bis heute die Kommunion, die Teilnahme am Blut und am Leib Jesu Christi, nur den Getauften vorbehalten ist. Die Verbindung mit Christus setzt somit den Tod des alten Menschen voraus und die Teilnahme am neuen Leben in Jesus Christus. Dieses neue Leben wird sichtbar in der vollen Gemeinschaft mit der Kirche.

Die Eucharistie ist das ununterbrochene Pascha der Kirche, der Beginn des ewigen Lebens, das eintritt in das alte und es wandelt und erneuert. Es ist die geistgewirkte Gegenwart des kommenden Reiches Gottes.[7] Christus hat uns schon jetzt Sein künftiges Reich geschenkt, wie es in der Chrysostomos-Anaphora heißt, Er hat, wie der hl. Johannes Chrysostomos an anderer Stelle treffend formuliert, „den Himmel beschreitbar gemacht“[8]. Mit dem bekannten orthodoxen Metropoliten Ioannis Zizioulas gesprochen, hat die Eucharistie ihrem inneren Wesen nach eine „eschatologische Dimension“, und auch wenn sie in die Geschichte eintritt, so ist sie doch nicht mit dieser identisch.[9] Die Eucharistie als das Mysterium der Kirche stellt das eschatologische Reich Gottes zwar dar, ist aber nicht damit gleichzusetzen. Als eucharistische Darstellung des Reiches wird alles in der Kirche zugleich offenbart und doch verborgen, es ist nah und doch fern, es verkündet und erwartet uns. 

Die ganze Kirche ist also von diesem eschatologischen Charakter durchzogen und prägt das liturgische Leben der Kirche genauso wie das persönliche Gebetsleben. Dies wird beispielsweise deutlich im Herrengebet, im Vaterunser, das sowohl eschatologischen wie auch eucharistischen Charakter hat. „Geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme“ – diese Bitte ist nach dem hl. Nikodemos vom Berg Athos die vom Heiligen Geist gewirkte Befreiung aus der schmerzvollen Versklavung durch den Teufel und die Sünde. Nur durch das Kommen des Reiches kann der tyrannische Feind, der den Menschen knechtet, besiegt werden.[10] Die Bitte um das tägliche, um das notwendige Brot, zielt auf die Eucharistie und damit ebenfalls auf das Kommen des künftigen Reiches Gottes. Der hl. Nikodemos bezieht das „tägliche Brot“ auf die eucharistischen Gaben, auf den Leib und das Blut des Herrn.[11]

Die Heilige Eucharistie, die wir in der Kirche feiern, ist ein Bild (Ikone) der wahren Eucharistie, die nichts anderes ist, als die künftige Ordnung. Die „Wahrheit“ dessen, was wir in der eucharistischen Versammlung feiern, gründet sich demnach nicht auf eine präexistente Welt von „Ideen“ nach platonischen Vorstellungen, sondern auf die Realität des Kommenden, des künftigen Reiches Gottes. Nach dem hl. Maximus Confessor ist das, was wir in der Eucharistie feiern, „Bild“ und „Symbol“ der „wahren Dinge“. Das „Sichtbare“ ist Bild und Symbol des „Unsichtbaren“ und des „Mystischen“: „[…] von den Vorausbildern schreiten wir voran zum Bild und von diesem zur Wahrheit. Denn Schatten war das Alte, das Bild aber das Neue Testament, doch die Wahrheit ist das Kommende“, schreibt der hl. Maximus.[12] Die Wahrheit liegt nicht in der Vergangenheit, sondern die Eucharistie des versammelten Volkes Gottes ist „Bild“ der wahren Eucharistie. Das Urbild (Archetyp) ist für den hl. Maximus nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto weiter entfernen wir uns vom Urbild, von der Wahrheit. Das kommende Himmelreich Gottes ist der tiefste „Grund“ der Eucharistie und gibt ihr ihr wahres „Sein“.

Das Band zwischen der Eucharistie und der Kirche ist unzertrennlich und gründet sich auf die erlebte Erfahrung, dass „auf vornehmste Weise in Ort und Zeit […] die Gläubigen mit dem Leib Christi vereint werden“.[13] Der Metropolit Ioannis Zizioulas spricht in diesem Zusammenhang von der „Mit-Leib-Werdung“ (συσσωμάτωση), die ausschließlich in der Heiligen Eucharistie möglich ist, denn diese als das Mysterium schlechthin, bedeutet die Offenbarung und Realisierung der Kirche.[14] Kein Mysterium (Sakrament) kann getrennt vom eucharistischen Tun der Kirche betrachtet werden. Aus ihr fließt alles heraus und alles ordnet sich organisch in die Heilige Eucharistie ein. Der hl. Nikolaos Kabasilas unterstreicht nachdrücklich, dass wir nicht über die Eucharistie hinausgehen oder sie durch etwas Anderes ersetzen können: „Deshalb ist es auch das letzte der Mysterien, denn darüber hinaus gibt es nichts […] nach der Eucharistie gibt es nichts, wo wir sein könnten.“[15] Wenn der hl. Nikolaos Kabasilas schreibt, dass die Kirche in den unbefleckten Mysterien Christi „erkannt“ wird, dann handelt es sich nicht um eine symbolische Darstellung, sondern um eine organische Identität, genauso wie auch das Herz organisch mit dem Leib verbunden ist, oder, mit den Worten des Herrn gesprochen, wie die Zweige mit dem Weinstock (Joh 15,5). Und wenn Kabasilas schließlich von „den Mysterien“ im Plural spricht, meint er nicht viele Mysterien, sondern die Eucharistie, „denn Leib und Blut Christi sind die Mysterien“[16]. Das Mysterium der Eucharistie ist die Öffnung der Kirche für das Reich Gottes, zur „Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen (Hebr 12,23). Sie ist Voraussetzung für die eschatologische Teilhabe am himmlischen Reich Gottes.[17]

  1. Die Zeit des Reiches

Das himmlische Reich Gottes, das wir in der Liturgie leben und erleben, ist ein Zusammentreffen mehrerer Zeitdimensionen. Es ist das Zusammenkommen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Nullpunkt des Ewigkeitsmomentes Gottes. Dieser Moment der Ewigkeit in der Göttlichen Liturgie ist von ontologischer Bedeutung und hat eminent soteriologischen Charakter. Das Reich Gottes, dass die Göttliche Liturgie ist, kann daher nicht nur ein Reich sein, dessen man anamnetisch gedenkt oder das man futurisch erwartet. In beiden Fällen wäre die echte Teilnahme am Reich Gottes nicht gewährleistet; beides würde der Göttlichen Liturgie ihren Gehalt und ihre Grundlage rauben. Der russische Theologe und Philosoph des 20. Jahrhunderts, Nicolai Berdiajew, versuchte in seinem Denken die Zeit zu definieren und ist schließlich zu folgendem Entschluss gekommen: „Die Vergangenheit ist gespenstisch, weil es sie schon nicht mehr gibt. Die Zukunft, weil es sie noch nicht gibt. Der Faden innerhalb der Zeit ist in drei Teile zerrissen, es gibt keine reale Zeit. Das Auffressen eines Teiles der Zeit durch den anderen führt zu einem Schwinden jeglicher Realität und jeglichen Seins in der Zeit. In der Zeit tritt das böse Prinzip hervor, das todbringende und vernichtende, weil, wahrlich, der Tod der Vergangenheit, den jeder folgende Augenblick mitbringt, ihr Versinken in die Finsternis des Nichtseins, das von jedem Geschehen in der Zeit mitgebracht wird, ja auch das Prinzip des Todes ist. Die Zukunft ist der Mörder jedes vergangenen Augenblicks, die böse Zeit ist in Vergangenheit und Zukunft zerrissen, in deren Mitte ein gewisser ungreifbarer Punkt steht. Die Zukunft frisst die Vergangenheit, um sich hernach in ebensolch eine Vergangenheit zu verwandeln, welche selbst wieder von der weiteren Zukunft gefressen werden wird.“[18]

Somit ist für Bediajew klar, dass die geschaffene Zeit letzten Endes eine ewige Todeserfahrung ist. Sie vernichtet sich andauernd selbst, während das tatsächliche Präsens als einzige zeitliche Realität von so kleiner unbedeutender Dauer ist, dass es nur eine Überleitung von Vergangenem zum noch nicht Seienden ist. Genau hier findet die Verklärung der Zeit durch das Reich des Herrn im Jetzt statt. In der Göttlichen Liturgie wird dieser permanente Tod der Zeit gleichsam gestoppt. Im Ewigkeitsmoment der Liturgie werden sozusagen alle Zeitzonen „verklärt“ und verweilen im Jetzt Gottes. Dadurch, dass Christus in die Zeit und Geschichte hineingekommen ist, hat die Zeit gnadenhaft die Ewigkeit erfahren. Diese Symbiose zwischen Zeit und Ewigkeit findet vor allem in der Göttlichen Liturgie statt. Die von Berdiajew sogenannte „schlechte Zeit“ wandelt sich in eine „gute Zeit“, da sie nicht mehr den ewigen Todeszyklus erlebt. Das Reich Gottes wird somit ein Reich der Lebenden und nicht der Toten, da sie ewige Wirklichkeit ist. Aus diesem Grund ist die Göttliche Liturgie in gleicher Weise ein kosmisches und eschatologisches Ereignis, da sowohl die himmlischen als auch die irdischen Geschöpfe daran teilnehmen. Sowohl die Entschlafenen als auch die in der Zukunft Geborenen feiern zusammen mit den Menschen – gemeinsam finden sie in diesem Ewigkeitsmoment zusammen. Das Reich wird somit vor allem auch ein im wahrsten Sinn des Wortes „katholisches“, alles in Raum und Zeit umfassendes Reich. Es ist der Sieg des Präsens als Realität gegenüber dem Irrealen. 

In der liturgischen Tradition begegnen wir auch der Bezeichnung der Zeit der Göttlichen Liturgie als „Achter Tag“, um damit genau das zum Ausdruck zu bringen: dass die Göttliche Liturgie außerhalb unseres irdischen Tagzeitenzyklus existiert. Sie ist der achte Tag, der unsere irdischen Vorstellungen transzendiert. Allerdings ist der achte Tag auch nicht getrennt vom menschlichen Tageszyklus. Der achte Tag wird identisch, fällt zusammen mit dem Herrentag, dem ersten Tag, der gleichzeitig der letzte Tag ist, und in dem sich die Heilsgeschichte erfüllt. Der achte Tag ist die Ankunft, die schon vom ersten Tag her keimhaft existiert hat und sich durch die Geschichte hindurch wie ein roter Faden gezogen hat. Damit wird der achte Tag der Tag der vollkommenen Wiederherstellung der Kommunion zwischen Menschen und Gott. Schon seit dem christlichen Altertum gilt der achte Tag als die Krönung der Schöpfung, weil sich dort das Paradies im Königreich Christi erfüllt und der Mensch Anteil an diesem Reich erhält.

Im nächsten Abschnitt meiner Überlegungen möchte ich einen weiteren wichtigen Punkt für die Orthodoxe Theologie bezüglich der Eucharistie als Reich Gottes betonen, nämlich den eucharistischen Charakter der Schöpfung Gottes. 

  1. Eucharistie und Schöpfung

Für die orthodoxe Theologie ist die Natur nicht einfach Natur, sondern Schöpfung Gottes – und als Schöpfung hat sie ihren besonderen Platz im eucharistischen Reich des Herren. Das Große und Heilige Konzil auf Kreta im Jahr 2016 hat diesbezüglich betont: „Die Sakramente der Kirche stärken die Schöpfung und ermutigen den Menschen, als Verwalter, Hüter und Priester der Schöpfung zu handeln, indem er sie mit Lobpreis dem Schöpfer darbringt – Das Deine von Deinigen bringen wir Dir dar, in allem und für alles – und eine eucharistische Beziehung zur Schöpfung pflegt. Dieser orthodoxe Ansatz entspricht dem Evangelium und den Kirchenvätern und lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf die sozialen Ausmaße und die tragischen Konsequenzen der Zerstörung der natürlichen Umwelt“.[19]

In diesem Sinne kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt: Die Göttliche Liturgie schenkt dem gläubigen Christen nicht nur die Erfahrung des Todes, sondern sie transformiert ihn. In der orthodoxen Theologie ist in diesem Zusammenhang treffend von einer „Vergöttlichung“ des Menschen die Rede. Sie wandelt den Menschen aus seiner Selbstbezogenheit heraus zum gnadenhaften Teilhaber an der Gottheit. Er erkennt in der Schöpfung die Energien Gottes und nimmt Anteil am Heilsplan Gottes für die Schöpfung. Aus diesem Grund betont auch Kallistos Ware: „Sinn der Schöpfungslehre ist es nicht, der Welt chronologisch gesehen einen Anfangspunkt zu setzen, sondern zu bekennen, dass die Welt und ihr Bestand jetzt und immer von Gott abhängig ist“.[20] Somit nimmt die gesamte Schöpfung an dem Reich Gottes teil. Der Mensch ist in seiner Gottesähnlichkeit und in seiner priesterlichen Funktion aufgerufen, wie es im Dokument von Kreta betont wird, Bewahrer der Schöpfung zu sein. Diese priesterliche Funktion wurde im kürzlich im Auftrag des Ökumenischen Patriarchats erstellten Dokuments über das orthodoxe Sozialethos „Für das Leben der Welt. Auf dem Weg zu einem Sozialethos der Orthodoxen Kirche“[21] auf eine präzise Art und Weise wiedergegeben. In Abschnitt 68 heißt es: „Wir leben in einem Zeitalter immer schnellerer technologischer Entwicklung. Die heutige Macht der Menschheit, die materielle Realität im Guten wie im Bösen zu verändern, ist in der Menschheitsgeschichte ganz beispiellos und stellt eine Gefahr wie auch eine Verantwortung dar, auf die die Menschheit weitgehend unvorbereitet zu sein scheint. Die Orthodoxe Kirche muss daher vor allem die Christen daran erinnern, dass die Welt, in der wir leben, Gottes gute Schöpfung ist (wie sehr sie auch durch Sünde und Tod geschädigt sein mag) und ein gnadenhaftes Geschenk an alle Geschöpfe. Mit dem hl. Maximus dem Bekenner bekräftigt sie, dass die menschliche Präsenz im materiellen Kosmos auch ein geistliches Amt, eine Art kosmisches Priestertum ist. Die Menschheit nimmt den Platz eines methorios ein, der Grenze, an der sich die Bereiche des Geistigen und des Materiellen treffen und vereint sind; und durch diese priesterliche Vermittlung durchdringt das Licht des Geistes die gesamte geschaffene Natur, während die gesamte kosmische Existenz zum geistigen Leben erhoben wird“.[22]Worin versteht sich jedoch diese priesterliche Funktion des Menschen im Bezug zur Schöpfung? Vor allem in der Demut. Das Reich Gottes ist ein Reich der Demut. Der Hl. Sophronios der Athonit (von Essex) hat diesbezüglich von der umgekehrten Pyramide gesprochen, die dieses Reich charakterisiert. In der Reichsstruktur des Herren sitzt der Souverän zwar auf die Spitze der Pyramide, jedoch wird der Souverän nicht von den anderen Schichten getragen, sondern die Pyramide ist im Reich des Herren umgedreht. Er trägt die gesamte Last. Die Teilnahme also am Reich Gottes und der Akt der Vergöttlichung lässt den Menschen vor allem auch mittragenden werden. Umso mehr man sich der Theosis nähert, desto mehr wird man Mittragender der Ebene in der umgekehrten Pyramide. 

In diesem Sinne ist die eucharistische Schöpfungstheologie der Orthodoxen Kirche eine Theologie der kenotischen Demut. Erst wenn der Mensch die Größe seines Dienstes wahrnimmt und seine Verantwortung für die Schöpfung erkennt, nimmt er teil an der Gnade der Vergöttlichung. „Die Sendung des Christen, die Welt im Licht des Reiches Gottes zu verklären“, heißt es im Sozialethos-Dokument des Ökumenischen Patriarchats, „erstreckt sich auf die ganze Schöpfung das ganze Leben, jede Dimension der kosmischen Existenz aus“.[23] Somit findet durch die Erfahrung des himmlischen Reiches in der Göttlichen Liturgie eine Umwandlung des Menschen an sich statt. Er kehrt zurück zu einer harmonischen Communio mit der gesamten Schöpfung und nimmt auf diese besondere Art und Weise an Gottes Reich teil. Die Ewigkeitserfahrung der Göttlichen Liturgie wird somit nicht einfach eine Erfahrung des Achten Tages, der Göttlichen Liturgie, in welche der Mensch eintritt und sie anschließend wieder verlässt, sondern sie lädt den Menschen ein, diese Erfahrung mitzunehmen und nach ihr zu leben. Die Liturgie lädt den Menschen ein, das Reich Gottes nicht nur als einen punktuellen Erfahrungsort zu sehen, sondern dieses Reich mit hinauszunehmen und es jeden Moment des Lebens zu leben und zu erleben, mit dieser Erfahrung zu handeln und danach zu agieren. Zugespitzt könnte man daher durchaus sagen, dass alle sozialen und ökologischen Probleme wie auch unethische Handlungen aus der Nicht-Teilnahme bzw. richtigen Teilnahme am Reich des Herren im Hier und Jetzt entstehen.

  1. Ökumenischer Ausblick

Abschließend möchte ich noch in aller Kürze die ökumenische Dimension des orthodoxen Liturgieverständnisses ansprechen. Der Präsident des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch betonte: „Die größten Berührungspunkte zwischen der Theologie von Papst Benedikt XVI.  und der orthodoxen Theologie finden sich zweifellos auf dem Gebiet der Theologie der Liturgie. Sie nimmt im theologischen Denken Benedikt XVI. einen zentralen Stellenwert ein, insofern sie an dem Primat Gottes und seiner Anbetung im Leben der Kirche und im theologischen Denken gemahnt; und das ostkirchliche theologische Denken ist im Kern Theologie der Liturgie“.[24]Diesen Gedanken möchte ich nochmals unterstreichen, da Theologie tatsächlich ohne Liturgie, ohne die liturgische Erfahrung des Reiches Gottes nicht denkbar ist, erst von ihr heraus kann der Mensch Theo-logie betreiben, über Gott reden und seine Erfahrung weitergeben. In diesem Sinne haben Papst Benedikt XVI. und Kardinal Koch richtig erkannt, dass bereits der Begriff der Orthodoxie ein tief liturgischer Begriff ist. Ortho-doxie bedeutet in diesem Sinne die „richtige“ Art und Weise der Verehrung Gottes zu haben. Denn erst dadurch wird die Erfahrung des Reiches möglich. Und dies was richtige Anbetung bedeutet hat auf eine wunderbare Art und Weise der emeritierte Papst Benedikt XVI. noch als Kardinal zum Ausdruck gebracht: „Rechte Liturgie erkennt man daran, dass sie kosmisch ist, nicht gruppenmäßig, sie singt mit den Engeln. Sie schweigt mit der wartenden Tiefe des Alls. Und so erlöst sie die Erde“.[25]

Erst wenn der Mensch dieses neue kosmische Reich erkennt und erlebt, kann die Erlösung möglich werden. Dieses Erleben des Reiches hat in der Alten Kirche jedoch vor allem eines hervorgebracht. Durch das Verständnis dieser Gnade, haben die Menschen den Drang der Danksagung gespürt. In diesem Sinne ist Eucharistie vor allem Danksagung. Ein tiefstes Dankesgefühl, an diesem kosmischen und überkosmischen Ereignis teilnehmen zu dürfen und zu können. Besonders heute muss der Mensch diesen Dankescharakter als Erfahrener der überhimmlischen Geschehnisse wiedergewinnen und wiedererkennen. Alexander Schmemann hat diesen Gedanken auf den Punkt gebracht als er betonte: „Um aber heute, nach Jahrhunderten des Vergessen, die Bedeutung dieser Aussage verstehen zu können, um zu begreifen, was der frühen Kirche voller Freude selbstverständlich war und keiner Erklärung bedurfte, müssen wir uns einen Weg bahnen durch Berge von Deutungen, in denen diese Selbstverständlichkeit verloren ging. Erst dann werden wir zur ursprünglichen christlichen Bedeutung und Erfahrung der Danksagung weitergehen können. Es wäre besser zu sagen: Danksagung ist Erfahrung des Paradieses“.[26] In diesem Sinne ist es eine spirituelle Notwenigkeit, dass wir Menschen die Gnade der Liturgie wieder wahrnehmen, jene Sprache der Liturgie, die in jeder Geste und in jedem Wort die Herrlichkeit Gottes zu erkennen gibt, versteht und somit ein Teilnehmender der Erfahrung des himmlischen Reiches Gottes im Hier und Jetzt wird. Die Liturgie wird somit der Ort der Erziehung in Christus und führt, wie das Große und Heilige Konzil der Orthodoxen Kirche auf Kreta 2016 betonte, dazu, dass „im Zentrum der pastoralen Sorge der Kirche eine Erziehung [steht], die nicht allein auf die Entwicklung des Intellekts schaut, sondern ebenso auf den Aufbau und die Entwicklung der ganzen Person als eines psychosomatischen und geistigen Wesens in Übereinstimmung mit dem Dreiklang: Gott, Mensch und Welt. In ihrer katechetischen Rede ruft die Orthodoxe Kirche liebevoll das Volk Gottes, besonders die jungen Menschen, zu einer bewussten und aktiven Teilhabe am Leben der Kirche, indem sie in ihnen den vollkommenen Wunsch nach einem Leben in Christus erweckt. So kann das gesamte christliche Volk existentielle Unterstützung in der gottmenschlichen Gemeinschaft der Kirche finden und darin die österliche Perspektive der Vergöttlichung aus Gnade erfahren“.[27]

Somit sind die Eucharistie und das Erleben des Reiches Gottes der Ort, an welchem der Mensch in Christus umgewandelt wird, damit er in tiefer Dankbarkeit an der Verklärung der Welt mitwirken kann. Mit diesen Gedanken hoffe ich, dass die Menschen wieder die Gnade dieses göttlichen Reiches wahrnehmen und erkennen und mit tiefer eucharistischer (dankender) Demut Gott Loben von nun an bis in Ewigkeit. Möge uns der Herr dies gewähren.

 

[1] Zur Theologie der Eucharistie vgl. ausführlicher Alexander Schmemann, Die Eucharistie. Sakrament des Gottesreiches, Einsiedeln 2005.

[2] Vgl. Gregorios, Die Göttliche Liturgie [griech.], Berg Athos 1998, 126–129.

[3] Irenäus von Lyon, Adversus haereses (Fontes Christiani 8), Freiburg i. B. u. a. 2000–2003.

[4] Vgl. Giangazoglou, Ekklesiologie 9, S. 8. URL: https://bit.ly/3yfGfJR.

[5] Hl. Porphyrios Kavsokalyvitis, Legen und Sprüche [griech.], Chania 2003, 198 f.

[6] Vgl. Hl. Justin Popovich, Dogmatik: Orthodoxe Philosophie der Wahrheit, hg. v. P. A. Yphantis – M. Belitzanidis, übers. v. A. H. Georgopoulos [griech.], Berg Athos 2019, 736.

[7] Gregorios, Göttliche Liturgie (s. Anm. 2), 31.

[8] Hl. Johannes Chrysostomos, hom. 106.

[9] Ioannis Zizioulas, Die eucharistische Anschauung der Welt und der gegenwärtige Mensch [griech.], in: Christianikon Symposion [griech.], Athen 1967, 183–190.

[10] Vgl. Makarios Notaras, Nikodemos Hagioreites, Über die häufige Kommunion der unbefleckten Mysterien Christi [griech.], Panagopoulos 2001, 30.

[11] Ebd.

[12] Hl. Maximus Confessor, Scholia (PG 4, 137D).

[13] Ioannis Zizioulas, Die Einheit der Kirche in der Heiligen Eucharistie und mit dem Bischof während der ersten drei Jahrhunderte [griech.], Athen 1990, 16–18.

[14] Vgl. Nenad Milosevich, Die Heilige Eucharistie als Zentrum des Gottesdienstes. Die Verbindung der Mysterien mit der Heiligen Eucharistie, Thessaloniki 2001, 19.

[15] Nikolaos Kabasilas, Über das Leben in Christus, in: Philokalie der Väter der Nüchternheit [griech.], Bd. 22, Thessaloniki 1979, 410 f.

[16] Nikolaos Kabasilas, Über die Göttliche Liturgie, Logos 38 (SC 4, 222).

[17] Giangazoglou, Ekklesiologie 9 (s. Anm. 4): Das Mysterium der Kirche, 8.

[18] Nicolai Berdiajew, Der Sinn der Geschichte. Versuch einer Philosophie des Menschengeschickes, Tübingen 1949, 111

[19] Enzyklika der Heiligen und Grossen Synode der Orthodoxen Kirche, in: Einheit in Synodalität. Die offiziellen Dokumente der Orthodoxen Synode auf Kreta, 18. bis 26. Juni 2016, hg. v. Barbara Hallensleben, Münster 2016, 37–55, hier: 49.

[20] Kallistos Ware, Der Aufstieg zu Gott. Glaube und geistliches Leben nach ostkirchlicher Überlieferung, Bern 1998, 63.

[21] Für eine erste Orientierung vgl. Stefanos Athanasiou, Ein orthodoxes Sozialethos für das 21. Jahrhundert? Das neue Sozialethos-Dokument des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel und seine Bedeutung für die Welt von heute, Analysen und Argumente, Nr. 421/Dezember 2020. URL: https://bit.ly/3jM1MVy [Abruf: 20. Juli 2021].

[22] Für das Leben der Welt. Auf dem Weg zu einem Sozialethos der Orthodoxen Kirche, hg. v. Barbara Hallensleben, Münster 2020, 102 f.

[23] Ebd., 104. 

[24] Kurt Kardinal Koch, Bund zwischen Liebe und Vernunft. Das theologische Denken Papst Benedikt XVI., Freiburg 2016, 184.

[25] Joseph Kardinal Ratzinger, Das Welt- und Menschenbild der Liturgie und sein Ausdruck in der Kirchenmusik, in: Ders. Ein neues Lied für den Herrn. Christusglaube und Liturgie in der Gegenwart, Freiburg 1995, 145–164, hier: 164. 

[26] Alexander Schmemann, Eucharistie. Sakrament des Gottesreiches, Freiburg 2005, 229 f.

[27] Enzyklika des Grossen und Heiligen Konzils der Orthodoxen Kirche (s. Anm. 19), 44 f.

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